2. Tag, Freitag, 05.11.2010

HAVANNA Auf Hemingways Spuren

Die Wellen des Golfs von Mexiko überspülen den Malecón, die berühmte Uferpromenade Havannas. In den Straßen heiße Rhythmen und alte Chevys, Lincolns und Buicks – liebevoll restauriert oder notdürftig zusammengeflickt. Mit José schlendern wir über den Prado und durch die Gassen von Alt-Havanna zur Kathedrale und zur Plaza de Armas. Nachmittags Freizeit. Einige von uns lassen sich im historischen Straßenkreuzer-Taxi durch Havanna chauffieren – was für ein Feeling! Andere wandeln auf den Spuren Hemingways und besuchen „seine“ Kneipe Bodeguita del Medio. Für einen Mojito aus Rum, Limone und Minze muss man allerdings Schlange stehen – dennoch sollten wir die Chance nutzen, es lohnt sich! Spätestens abends beim Begrüßungsessen ergibt sich die Gelegenheit, die Gruppe besser kennenzulernen.

Irgendwann erwache ich aus meinem tiefen Schlaf und fühle mich wie gerädert. Ich führe das auf den Jetlag zurück und beschließe, noch so lange liegen zu bleiben, bis um 07:30h der Wecker klingelt. Lange kann das ja nicht mehr dauern, denke ich mir. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaue ich auf mein Handy, nur um mich zu vergewissern, dass ich überhaupt die Weckfunktion eingeschaltet habe. Es ist 02:58h und ich schalte das Handy aus Protest komplett aus. Irgendwann muss ich dann wohl doch noch mal eingedöst sein, Anja reißt mich um kurz vor acht aus meiner Lethargie und wir gehen zum Frühstück.

Der Kaffee ist indiskutabel, die Zubereitung der Speisen äußerst individuell: Zum ersten (und sicherlich auch letzten) Mal in meinem Leben esse ich Schinken-Blätterteigtaschen mit Zuckerguss überzogen.

Um 09:00h, also gleich nach dem Frühstück (und gefühlt mitten in der Nacht) treffen wir uns in der Lobby und Mikkel erzählt uns ein paar Basics über Kuba und das Programm der nächsten Tage. Mit deutscher Pünktlichkeit treffen die letzten paar Leute nach und nach ein, was Mikkel dazu veranlasst, eine Regel aufzustellen: Wer als Letzter verspätet am Treffpunkt erscheint, muss abends für die gesamte Gruppe eine Runde Rum spendieren.

Ich überschlage die Kosten kurz im Kopf und möchte eigentlich nachfragen, ob ich schon mal präventiv eine Flatrate buchen kann, entscheide mich dann aber doch dagegen. Die Chancen, nicht als Letzter aufzuschlagen, stehen gut. Außerdem hat Mikkel uns erzählt, dass in Kuba eine Stunde 75 Minuten hat, und nicht 60 Minuten wie in Europa – eine Steilvorlage für eine eventuelle Verspätung!

Um 10.00h beginnt der Stadtrundgang, der auf etwa drei Stunden angesetzt ist. Kaum aus dem Hotel herausgetreten, stehen wir schon mitten in der ersten Sehenswürdigkeit: Dem Parque Central, einer – wie Mikkel uns sagt – Kopie des berühmten Central Park in New York. Zwar stehen im New Yorker Central Park meines Wissens nach keine Königspalmen und ein Verkehrsknotenpunkt ist er auch nicht, aber ich denke, das kann man vernachlässigen, denn der Parque Central ist immerhin eine schöne Kulisse für die umliegenden Grand Hotels.

Das Motiv des Plagiats wird sich wie ein roter Faden durch den gesamten Tag schlängeln, denn abgesehen von der alles beherrschenden Grundregel, dass Kuba in jeder Kategorie entweder das größte oder das erste Objekt (oder die Kombination aus beidem) vorweisen kann, so trifft man doch hier und da auch auf (mehr oder weniger) exakte Kopien US-amerikanischer Gebäude.

Eine solche Kopie ist das Capitolio Nacional, das (wen wundert’s) eine Kopie des Capitols aus Washington ist. Zunächst als Symbol für den Kolonialismus und die damit verbundene Abhängigkeit von den USA verpönt, hat sich das Ansehen in den letzten Jahrzehnten doch gewandelt: Einerseits ist die Kopie nämlich doch nicht so exakt (das Capitolio Nacional ist eher rund gebaut), andererseits ist es immerhin einen ganzen Meter höher als das Original.

Im Capitolio liegt eine Kopie des legendären 24-karätigen Diamanten, dessen Original in der Zeit Batistas verdunstet ist. Der Punkt, an dem diese Kopie liegt, gilt als Nullpunkt Kubas, das heißt, dass alle Entfernungen ab Havanna von diesem Punkt aus gerechnet werden. Überdies ist auch hier wieder ein Superlativ anzutreffen: die La República ist mit 14 Metern Höhe die dritthöchste Statue der Welt, die in einem Gebäude steht.

Die Reihenfolge, in der wir die übrigen Sehenswürdigkeiten gesehen haben, ist mir nicht mehr geläufig, abgesehen davon würde eine Auflistung aller Objekte jeden Rahmen sprengen.

Eigentlich ist die ganze Stadt und vor allem der alte Teil La Habana Vieja beeindruckend, dennoch möchte ich einige Orte hervorheben:

Der Plaza de la Catedral ist ein wohl einzigartiger Platz: Der Ort, an dem die Kathedrale steht, war früher ein Sumpfgebiet und das erklärt auch die asymmetrische Bauweise des Gebäudes:

Nachdem die Kathedrale und der rechte Glockenturm fertiggestellt waren, sollte auf der linken Seite des Gebäudes ebenfalls ein Turm gebaut werden. Dabei stellten die Bauherren aber fest, dass dies nicht möglich ist, da der Turm aufgrund seiner Größe und seines Gewichtes im Boden versinken würde. Daher ist der linke Turm kleiner ausgefallen als der rechte und hat im Gegensatz zum rechten Turm keine Glocken. Gut, dass da vor Baubeginn drüber nachgedacht wurde…

Gegenüber der Kathedrale steht ein Wohnhaus einer einfachen (sprich: armen) Bürgerfamilie, später wurden an den verbleibenden zwei Seiten des Platzes von reichen Familien Häuser gebaut. Eine Trennung von arm und reich, wie sie sonst normal ist, findet man hier nicht vor.­

Am Plaza de Armes in Habana Vieja steht das Museo de la Ciudad. Im 19. Jahrhundert war das Gebäude noch der Palacio de los Capitanos Generales, also der Regierungspalast, in dem der Gouverneur Havannas gelebt und gearbeitet hat. In den 1840er Jahren war Miguel de Tacón Gouverneur und rückblickend lässt sich sagen, dass er und seine Frau keine einfachen Zeitgenossen waren: Es war zu dieser Zeit Tradition, dass am Fortaleza de San Carlo de la Cabana (diese Festung wird morgen noch einmal erwähnt werden) mit zwanzig Kanonen eine Salve abgeschossen wurde, die die Schließung der Tore markierte. Diese Zeremonie wurde täglich um 20.00h durchgeführt. Nun hatte allerdings Miguel de Tacón die Angewohnheit, zu dieser Zeit seinen Kaffee zu sich zu nehmen und die Kanonenschüsse schlugen ihm auf den Magen (Merke: Kaffee und Kanonen vertragen sich nicht!). Daher veranlasste er die Verschiebung der Tradition um eine Stunde, die Tore wurden somit im Folgenden erst um 21.00h geschlossen, damit de Tacón in Ruhe seinen Kaffee genießen konnte.

Seine Frau hatte ebenfalls schwerste Sorgen: Die Pferdekutschen, die am Haus vorbeifuhren, machten einen Lärm, der für sie inakzeptabel war. Sie beschwerte sich darüber bei ihrem Mann, der in seiner Funktion als Gouverneur veranlasste, dass die Straße vor dem Haus aufgerissen, die Pflastersteine entfernt und durch Holzparkett ersetzt wurden (jawohl: HOLZparkett!). Dieser Straßenbelag ist auch heute noch erhalten, somit ist Havanna die einzige Stadt, die ich kenne, die eine Straße aus Holzparkett ihr Eigen nennt.

Während der Stadtführung wandeln wir auch auf den Spuren Hemingways: Im Hotel Ambos Mundos hat Hemingway sieben Jahre lang gewohnt und gewirkt. Wir machen hier einen Zwischenstopp und genießen einen Lunch auf der Dachterrasse. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch Hemingway hier oben gesessen hat, als er „Wem die Stunde schlägt“ schrieb.

Zwei weitere Stätten haben durch Hemingway Berühmtheit erlangt: Das „La Bodeguita del Medio“, eine kleine unscheinbare Bar in der Calle Emperdrado, in der Hemingway Stammgast war. Hier durfte er kostenlos essen und trinken, unter der Voraussetzung, dass er dies an einem kleinen Tisch in der Mitte der Gasse tat, damit jeder sehen konnte, dass er Gast dieser Bodeguita war. Sicherlich war das keine schlechte Werbung…

Ebenfalls Stammgast war Hemingway in der Bar „El Floridita“. Hier hat Hemingway den Dompapa kreiert, einen doppelten Daiquiri ohne Zucker. Unbestätigten Gerüchten zufolge hat er davon einmal fünfzehn Stück (also insgesamt dreißig einfache Daiquiri) getrunken und konnte immernoch problemlos nach Hause gehen. Da stellt sich mir die Frage, ob das nun an seiner Kondition oder an der (dann wohl eher mangelnden) Qualität der Drinks gelegen hat…

Am späten Nachmittag gönnen wir uns eine Fahrt im Cabrio durch die Straßen Havannas. Der Autokorso besteht aus einem 52er Chevy, einem 53er Oldsmobile, einem 54er Buick und einem 52er Lincoln.

Während der Fahrt passieren wir auch den Cemeterio Colón, den größten Friedhof Kubas und den drittgrößten der Welt. Er erstreckt sich über eine Fläche von 56 Hektar und beherbergt etwa 800.000 Gräber. Neben dem Cemeterio Colón gibt es in Havanna noch cirka 120 weitere Friedhöfe. Merke: Auch im Sozialismus sterben Menschen.

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