3. Tag, Sonntag, 16.05.2010

BEIJING
Aufstehen mit Tai-Chi-Crashkurs und chinesischem Frühstück. Warum die Paläste der Verbotenen Stadt° nur 9999 ½ Räume haben, erfahren Sie an Ort und Stelle von Ihrem Scout. Feng-Shui-Prinzipien platzierten den Kohlehügel° exakt an den Nordrand der Kaiserstadt. Die Lehre hat was – denn der Ausblick von dort ist optimal. Am Nachmittag erleben Sie in den Künstlerateliers des 798 Art District, dass Chinas zeitgenössische Künstler keineswegs an alten Doktrinen hängen. Hier können Sie nach Herzenslust stöbern. Den Insiderkompass fürs Dinner hat Ihr Scout: Er empfiehlt die Restaurants am Hinteren See oder Lounges im Sanlitun-Viertel.

Mitten in der Nacht klingelt das Telefon, denn unser Scout hat bereits am gestrigen Abend in weiser Vorausschau einen Weckruf für die die ganze Gruppe bestellt. Dafür bin ich ihr dankbar, aber die Uhrzeit (7.00h) ist absolut pervers.
Egal, ich schleppe mich in die Dusche und sitze um 7.15h beim chinesischen Frühstück. Der Anblick reicht mir schon, wenn ich jetzt schon Nudeln in Sojasauce mit Rindfleisch esse, ist der Tag gelaufen. Daher entscheide ich mich für ein amerikanisches Frühstück wie ich es während meines Studiums in Kanada jeden Morgen gegessen habe (dadurch weiß ich wenigstens, dass ich es vertrage): gebratenes Toastbrot, Rührei-Omelett, Rostbratwürstchen, Minihamburger, weiße Bohnen in Tomatensauce, gebratener Speck, dazu Orangensaft und Kaffee. So sieht ein solider Start in den Tag aus.
Das Frühstück ist in der Menge auch dringend nötig, denn der Tag wird hart. Das Programm wird unseren Bedürfnissen angepasst: Wir haben uns gegen den Tai-Chi-Crashkurs entschieden, da wir dafür während der Kreuzfahrt genug Zeit haben, das Künstlerviertel haben wir ja bereits gestern gesehen.
Dafür holen wir nun den Besuch im Himmelstempel nach, den wir gestern ausgelassen haben.
Der Himmelstempel ist kurz abgehandelt, denn ich persönlich kann nichts damit anfangen. Noch immer bin ich zu sehr beeindruckt von der Detailverliebtheit der Thailänder beim Bau ihrer Tempel. Dagegen erscheint die Verzierung der Gebäude im Himmeltempel schon fast als schlampige Arbeit. Ich weiß, dass das unfair ist, denn man sieht auch hier, dass viel Arbeit darin steckt, nur -wie gesagt- ich kann halt nichts damit anfangen. Der Reiseführer China von Baedeker hingegen bezeichnet die Anlage als die „größte, älteste, kultisch bedeutendste und architektonisch vollkommendste der kaiserlichen Kultstätten“.
An diesem Punkt muss ich meine Aussage ein wenig relativieren, den architektonisch vollkommen ist sie definitiv.
Die Terrasse des Himmelsaltars ist kreisrund (der Kreis symbolisiert den Himmel), und auch die himmliche Yang-Zahl 3 spielt eine bedeutende Rolle: Die Terrasse geht über drei Ebenen, die jeweils über eine Treppe bestehend aus 9 Stufen (3×3) verbunden sind. Hier wird die nächste Symbolik deutlich: die Zahl 9. Sie ist die größte einstellige ungerade Zahl und gilt damit als männliche Zahl.
Also weiter mit der Beschreibung des Aufbaus: Die oberste Ebene hat einen Durchmesser von 9 zhang, was in etwa 27 Metern entspricht. Um den zentralen runden Stein sind ringförmig Bodenplatten angeordnet, im ersten Ring sind es 9 Platten, im zweiten Ring sind es 2×9 Platten und so zieht sich die Regelmäßigkeit durch bis zum äußersten Kreis der untersten Ebene, die aus 3x9x9 = 243 Platten besteht. Diese Ausrichtung der Architektur auf die Symbolik ist dann doch sehr beeindruckend.

Im Anschluss absolvieren wir die erste Etappe der Kaffeefahrt. Es geht in einen Verkaufsraum für Perlenschmuck. Wir bekommen eine kurze Videopräsentation über eine Süßwasserperlenfarm, anschließend wird vor unseren Augen eine Muschel geöffnet und die Perlen herausgeholt. Dann dürfen wir geschlagene zwanzig Minuten durch den Verkaufsraum schlendern, auf Schritt und Tritt verfolgt von den Angestellten, die er natürlich nur darauf abgesehen haben uns irgendwelchen Perlenschmuck zu verkaufen.
Endlich sind wir erlöst und es geht weiter mit dem Bus zum Platz des Himmlischen Friedens. Hier verweilen wir einige Zeit und schauen uns die zahlreichen Bauwerke näher an.

 


 

Exkurs: Tian’anmen-Platz
Der Tian’anmen-Platz liegt am südlichen Ende des Kaiserpalastes. Voneinander getrennt werden beide durch das Himmelsfriedenstor, das dem Platz seinen Namen gab. Korrekt übersetzt heißt der Platz Tian’anmen Guangchang nämlich „Platz am Himmelsfriedenstor“ und nicht „Platz des Himmlischen Friedens“. Aufgrund seiner Geschichte ist letztere Bezeichnung auch der blanke Hohn, erlangte er doch zu trauriger und zweifelhafter Berühmtheit durch die Niederschlagung der Studentenproteste am 4. Juni 1989. 
Dieser Platz ist gelebte Propaganda. Beherrscht wir er vom Tor des Himmlischen Friedens (dieser Begriff wird synonym mit der Bezeichnung Himmelsfriedenstor verwendet). Von diesem Bauwerk aus hat Mao 1949 die Volksrepublik China ausgerufen. Auch heute ist er hier noch präsent, denn hier hängt das berühmte Mao-Porträit.
Gegenüber dem Tor wurde 1976 das Mao-Mausoleum erbaut. Hier kann täglich (außer Montags) von 8-12 Uhr der Leichnam Maos besichtigt werden, der in einem Kristallsarg aufgebahrt ist. Die restliche Zeit verschwindet der Leichnam in einer Kühlkammer. Da es eine ziemliche Herausforderung ist, den Leichnam auf diese Weise erfolgreich zu konservieren, vermute ich mal, dass heute hauptsächlich die Wachsnachbildung, unmittelbar nach Maos Tod angefertigt, „ausgestellt“ wird. Taufrisch dürfte der „echte“ Leichnam jedenfalls nicht mehr aussehen…
Vom Tor auf das Mausoleum blickend befindet sich auf der rechten Seite  die Große Halles des Volkes, und die ist wirklich groß: Sie ist 350 Meter lang, der große Saal bietet Platz für 10.000 Menschen und dient als Versammlungsort des Volkskongresses (wenn dieser denn mal zusammentritt, denn das findet anscheinend nur sehr unregelmäßig statt). Für jede Volks- und Minderheitsgruppe gibt es einen eigenen Raum für Versammlungen. Die Ausmaße des gesamten Baus sind dementsprechend gigantisch.
Der Großen Halle des Volkes gegenüber befindet sich auf der Ostseite das Nationalmuseum, welches bis 2003 noch Geschichts- und Revolutionsmuseum hieß.
An der Fassade ist eine rückwärtslaufende Uhr angebracht, welche immer wieder für verschiedene Anlässe eingesetzt wurde, z.B. für den Countdown bis zur Rückgabe Taiwans, die Rückgabe Macaus, vor den Olympischen Spielen und vor der Expo 2010. Zur Zeit zählt sie die vergangenen Tage der Expo an und zeigt die aktuelle Besucherzahl an.


Was folgt ist ein kilometerlanger und gefühlt auch stundenlanger Gewaltmarsch durch die Verbotene Stadt. Der Name ist nicht übertrieben, denn das Areal, auf dem der Kaiser residierte, ist von der Größe her definitiv eine eigene Stadt.
Mein persönliches Highlight ist ein „kleiner“ Garten innerhalb der Anlage, wobei „klein“ aufgrund der Dimension der gesamten Anlage als relativ zu betrachten ist.  
Der 09. September ist ein Tag, an dem die Chinesen traditionell einen Berg besteigen. Der Kaiser wollte dies seiner Mutter ermöglichen und hat extra dafür innerhalb des Gartens einen künstlichen Berg aufschütten lassen und auf die spitze einen Pavillon gebaut.
Und da wir am heutigen Tag noch nicht genug gelaufen sind, geht es direkt von diesem Garten aus noch auf den Kohlehügel der nördlich des Tempels liegt. Dieser Hügel diente als Kohlelager zur Beheizung der gesamten Anlage. Dementsprechend hoch ist er auch. Belohnt werden wir für die Tortur durch einen gigantischen Ausblick über Beijing. Nach kurzer Zeit steigen wir hinunter, stürmen den Bus und fahren zu einer Kung-Fu-Aufführung.
Der aufmerksame Leser wird sich spätestens jetzt wahrscheinlich fragen, warum ich bisher noch nicht über das chinesische Essen berichtet habe. Richtig, es gab keins. Die Reiseleitung hat beschlossen, dass wir uns die Zeit, die wir mit dem Essen vergeuden würden, besser sparen und dafür die Besichtigung zeitlich ausdehnen. Und so sitzen wir (es ist mittlerweile 16:45h und das Frühstück somit achteinhalb Stunden her) im Bus, der Magen hängt uns in den Knien und wir fahren zu dieser Kung-Fu-Aufführung, die wir frisch gestärkt durch eine kleine Mahlzeit zwischendurch sicherlich viel mehr genießen könnten.
Ich kann an dieser Stelle schon einmal ankündigen: Wenn die das morgen wieder so knallhart durchziehen, gibt es hier einen Aufstand vom Allerfeinsten… 
Nach 90minütiger Show ist das Fazit: Viele haben gekämpft, einige verloren. Nach diesem Tag bin ich gepflegt am Ende und ich habe das Gefühl, den anderen geht es auch so. Einige von uns haben die Show nur auszugsweise mitbekommen, das was ich mitbekommen habe war aber toll. Wer die Möglichkeit hat, eine Vorstellung des Zirkus Krone anzuschauen: Dort werden Auszüge aus dieser Show gezeigt. Teilweise tut es schon beim Zuschauen weh, aber es lohnt sich.

 

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