3. Tag, Mittwoch, 26.02.2014: NEGOMBO – KALPITIYA – East meets West

Eingewöhnen à la Sri Lanka: In Chilaw sind wir gleich mittendrin im richtigen Leben – auf dem Fischmarkt wird lautstark um den Fang der Nacht gefeilscht, und im Hindu-Tempel ist die Andacht in vollem Gang. „Ihr könnt euch gerne das Allerheiligste anschauen“, meint Gayesh, „aber für die Männer gilt: oben ohne!“ Andere Länder, andere Sitten – und den Gläubigen machen so ein paar bleiche Oberkörper gar nichts aus, sie freuen sich vielmehr über unseren Respekt und unser Interesse. Anschließend weiter gen Norden an die Lagune von Puttalam zu unserem Strandresort der coolen Sorte: klimatisierte Safarizelte im Palmenhain, direkt am Meer. Und abends ist Beachparty angesagt!

Den Vortag haben wir dann doch nicht wie geschireben komplett am Strand verbracht. Wobei ich gestehen muss, dass ich dem nicht abgeneigt gewesen wäre, denn ich bin noch immer total zerstört. Den anderen geht es aber auch nicht anders und so verziehen wir uns alle für ein bis zwei Stunden auf unsere Zimmer.
Um fünf Uhr heißt es „Antreten!“, denn Viraj (so heißt unser Scout) möchte mit uns das Programm der nächsten Tage durchgehen. Dabei bereitet er uns auch schon auf einige Änderungen vor, die seiner Meinung nach mehr Sinn machen. Erscheint mir auch so, die Kollegen von Marco Polo hätten da sicherlich zugestimmt, aber wahrscheinlich waren sie selbst noch nie in Sri Lanka.
Um sieben Uhr findet das gemeinsame Abendessen statt. Es gibt ein Curry-Buffet, das uns schon mal auf das typisch scharfe Essen in Sri Lanka einstimmen soll. Ich sterbe bereits im Vorfeld tausend Tode, denn ich habe Angst vor diesem Feuer-Inferno, das meinen Gaumen erwartet. Insofern bin ich fast ein wenig enttäuscht, denn von Schärfe kann man bei diesem Abendessen nicht reden.
Nachdem wir gegen acht Uhr feststellen, dass wir bereits seit ewiger Zeit auf den Beinen sind, trinken wir die Veranstaltung mit einem Glas Arrak unter den Tisch und fallen um halb Neun halb tot ins Bett.
Das nenne ich mal Aktivurlaub!

In der Nacht gegen halb vier werde ich wach, ich bin total durchgeschwitzt. Es ist schier unerträglich heiß in meinem Zimmer. An der gegenüberliegenden Wand kann ich die Fernbedienung für die Klimaanlage hängen sehen, doch ich bin zu träge und faul um mich aufzuraffen und die Kühlung einzuschalten. Stattdessen schwitze ich eine Weile still vor mich hin, bis ich dann endlich irgendwann doch wieder einschlafe.

Um kurz vor Sieben klingelt der Wecker. Ich fühle mich erstaunlich fit und beschließe, diesen Zustand mittels einer Dusche noch zu optimieren.  Das System ist faszinierend: Es handelt sich um eine Zwei-Hahn-Mischbatterie, die beim Aufdrehen des Hahns für kaltes Wasser auch tatsächlich kaltes Wasser liefert. Berührt man daraufhin auch nur flüchtig den Hahn für warmes Wasser, dann tut es einfach nur noch weh. Seit diesem Moment kann ich nachvollziehen, wie sich ein Suppenhuhn fühlen muss.
Nach einer Weile gebe ich die Hoffnung auf eine wohltemperierte Dusche auf und mache mich mit gepacktem Koffer auf den Weg zum Frühstück.

Das Frühstück besteht aus Reis und diversen Currys, was wohl daran liegt, dass hier einfach mal jede Mahlzeit aus Reis und Currys besteht. Lediglich der Schärfegrad scheint eine Unterscheidung zu Mittag- und Abendessen möglich zu machen. Obwohl ich mich für meine Verhältnisse topfit fühle, merke ich so langsam aber sicher, dass mir meine tägliche Ration Kaffee fehlt. Es heißt also Abwarten und Tee trinken. Meine Mitreisenden tun mir jetzt schon ein wenig leid, denn ich kann die Folgen des kalten Entzugs, den ich in den kommenden Tagen durchmachen werde, noch nicht so ganz absehen.

Um acht Uhr machen wir uns auf den Weg zum Fischmarkt. Viraj war so nett den Fischmarkt in Chilaw vom Programm zu streichen, denn dafür hätten wir um fünf Uhr in der Früh aufbrechen müssen. Stattdessen besuchen wir das Pendant in Negombo, das genauso aussieht. Fischmärkte fallen also unter das Motto: „Kennste einen, kennste alle“. Fischmärkte sind somit offensichtlich Tempeln gleichzusetzen.

DSCF5359Wir erreichen unser erstes Etappenziel und die Bustüren öffnen sich. Ein unbeschreiblicher Geruch sucht sich den Weg zu meinen Riechzellen. Gleich werden wir wohl auch erfahren, woher dieser Geruch kommt. Diese Befürchtung wird natürlich auch sofort erfüllt, als wir die Füße auf festen Boden setzen. Der ganze Strand ist voll von schwarzen Kunststoffplanen, wie ich sie aus meiner Heimat von den Spargelfeldern her kenne. Auf diesen Planen liegen fein säuberlich aufgereiht die unterschiedlichsten Fischsorten. Den ganzen Strand voll. Soweit das Auge reicht. In der prallen Sonne. Bei 30° Grad im Schatten. Kein Wunder, dass es stinkt wie Hölle, aber den Fischern ist das egal, sie sind das halt gewohnt. Ich stelle mir kurz vor, was ein deutscher Inspektor vom Gesundheitsamt dazu sagen würde, wenn er das sähe.
Er würde wohl einen Herzinfarkt bekommen, denn das was hier ganz normal ist, erscheint mir surreal: Die Fische werden über Nacht gefangen, dann auf dem Strand zu Bergen aufgetürmt und mit besagten schwarzen Folien abgedeckt. Wenn die Fischer dann Zeit haben, werden die Fische weiterverarbeitet. Soll heißen, sie werden an Marktständen verkauft, wobei die Marktstände aus einfachen Tischen bestehen, auf denen die Fische neben lebenden Krabben, Hummern und sonstigen Schalentieren liegen. Werden sie verkauft, dann werden sie auf dem gleichen Tisch ausgenommen.
Über die Innereien freuen sich die Krähen, die so zahlreich auf dem Markt und am Strand vertreten sind, dass man hier ohne Probleme spontan Hitchcocks Klassiker nachstellen könnte.
Zwei Tage bleiben die Fische so hier auf dem Markt. Sind sie dann noch nicht verkauft worden, werden sie geschuppt, in Salz gepökelt und anschließend auf die schon erwähnten Planen zum Trocknen gelegt. Danach liegt der Wassergehalt praktisch bei null und die Fische sind zwei bis drei Monate haltbar. Sollen diese Fische später gekocht werden, müssen sie zunächst für mehrere Stunden in Wasser eingeweicht werden, um ihnen das Salz wieder zu entziehen.
Das Pökeln an sich ist ja jetzt gerade für mich als Kind vom Lande nichts Unbekanntes, jedoch finde ich es durchaus bedenklich, dass der Fisch vor dem Pökeln zunächst zwei Tage bei Temperaturen um die dreißig Grad im Schatten auf schwarzen Planen  in der Sonne dahinvegetieren muss (wobei das  Wort „vegetieren“ ja eigentlich nicht  sehr treffend ist, immerhin sind die Fische ja schon tot).
Ich werde daraufhin meine Essensgewohnheiten für die nächsten Tage noch einmal überdenken und von meinem Vorsatz, mich hauptsächlich von Fisch zu ernähren, Abstand nehmen.

Trotz der Gedanken, die ich mir zum Thema Hygiene hier mache, darf man auch nicht vergessen, dass die Einwohner diesen Fisch schon immer gegessen haben und die Herstellung des Fisches sich seit Jahrhunderten nicht geändert hat.

DSCF5367Wir erleben ein geschäftiges Treiben, denn die Fischerei ist eine Tätigkeit für die ganze Familie, Männer und Frauen puhlen gemeinsam die Fische aus den Netzen, waschen sie körbeweise im Meer und verteilen sie auf den Planen. Dazwischen wuseln die Kinder umher und balgen sich, die älteren Kinder helfen schon fleißig mit. Insgesamt ist es ein wirklich interessantes Erlebnis, da es uns einen tiefen Einblick in das tägliche Leben der Menschen gewährt. Über den Geruchsaspekt sehen wir da gerne hinweg.

Das Programm für heute ist sehr entspannt, dennoch müssen wir uns wieder auf den Weg machen, denn wir müssen nach Chilaw, wo wir ja eigentlich schon hätten sein müssen, da ja eigentlich der dortige Fischmarkt auf dem Programm gestanden hätte.
Vier Kilometer östlich vDSCF5380on Chilaw befindet der Munnesvaram Kovil, eines der fünf bedeutsamsten Hindu-Heiligtümer auf Sri Lanka. Die heutige Anlage geht auf den König von Kandy zurück, der sie im Jahr 1753 erbauen ließ. Die ursprüngliche Anlage wurde etwa 1578 von den Portugiesen zerstört.
Mittelpunkt der Anlage ist das Heiligtum, welches das Geschlechtsteil von Shiva beherbergt. Von großer Bedeutung ist dieses vor allem für junge Paare, deren Kinderwunsch nicht in Erfüllung gegangen ist. Die Frau wäscht das Geschlechtsteil, das auch Lingam genannt wird, mit Kuhmilch und Bienenhonig. Diese Zutaten werden in einer kleinen Schale aufgefangen und von der Frau innerhalb der nächsten drei Tage verzehrt. Dem Glauben nach soll das zur Erfüllung des Kinderwunsches beitragen.
Auch andere Wünsche werden hier den Göttern vorgetragen. Dies geschieht mithilfe einer Kokosnuss, auf der Menthol angezündet wird. Solange, wie das Menthol brennt, umrunden die Menschen das Heiligtum und teilen der Flamme ihre Sorgen und Wünsche mit. Diese Aussprache mit den Göttern (es gibt drei Hauptgötter im Hiduismus (Brahma, Vishnu und Shiva; sie bilden die Trinität) und zusätzlich weitere 33 Millionen (!!!) Untergötter – da sollte also für jeden etwas dabei sein) endet damit, dass die Kokosnuss im Hof der Tempelanlage auf einem Stein zerschlagen wird. Das Herausspritzen des Kokoswassers symbolisiert dabei das Verschwinden des Unglücks, und daran, ob die Kokosnuss leicht oder mühsam auf dem Stein gespalten werden kann, können die Gläubigen ablesen, ob ihre Anliegen leicht oder nur unter großen Mühen erfüllt werden.
Heute ist es leer hier im Tempel, wir sind – neben ein paar Mönchen – die einzigen Besucher. Morgen wird es brechend voll sein, denn dann feiern die Gläubigen das Shivaraththrie-Fest.
Dabei wird die Statue der Gottheit Shiva zur Verehrung auf einer Sänfte in einer Prozession sieben Mal um das Heiligtum getragen.

Das innerste Heiligtum dieser Tempelanlage entwickelt sich im Laufe unseres Besuches für einen unserer Mitreisenden zu einem wahren Trauma, denn in der Reisebeschreibung (und übereinstimmend auch in den einschlägigen Reiseführern) stand geschrieben, dass dieses von Männern nur mit nacktem Oberkörper betreten werden darf. Um einen bleibenden Eindruck bei der mitreisenden Frauenwelt zu hinterlassen, hat er nämlich keine Kosten und Mühen gescheut, seinen Astralkörper zu stählen, damit die Frauenwelt vor Begeisterung ekstatisch in Ohnmacht fallen möge.
Ich möchte an dieser Stelle meine Hochachtung aussprechen, auch wenn die besagten drei Fitnessstudio-Besuche nun wohl doch überflüssig waren, da auch die Männer ihre T-Shirts anbehalten dürfen.
Allerdings muss ich gestehen, dass auch ich da nicht viel besser dran bin. Gut, ich habe jetzt kein Fitnessstudio besucht, aber da ich finde, dass ich anatomisch inzwischen einige Ähnlichkeit mit dem „Happy Buddha“ habe, hatte ich extra für den heutigen Tag eine Choreografie einstudiert, um zu den Klängen der Windspiele im Tempel meine Buddha-Plauze rhythmisch von links nach rechts zu schwenken. Dieser Plan ging nun also auch für mich nicht auf, und so überlege ich nun ernsthaft, ob ich mit meinem Leidensgenossen eine Selbsthilfegruppe gründen soll.

Zurück zum Thema:
Anhand des soeben Geschilderten (nicht das Fitnessstudio-Thema, sondern die Fruchtbarkeitsbitten junger Paare) wird die Rollenverteilung in der Srilankanischen Kultur recht deutlich:
DSCF5377Wie gestern schon berichtet, ist das Thema Eheschließung streng reglementiert. Ist die Partnerwahl für die Eltern erfolgreich verlaufen (an dieser Stelle muss man wirklich sagen, dass es für die Eltern der Fall ist, denn – machen wir uns nichts vor  – es handelt sich halt mal ausschließlich um arrangierte Ehen), dann geht die Party erst richtig los. Von Frauen wird erwartet, dass sie innerhalb der ersten zwei Jahre nach Eheschließung ein Kind zur Welt bringen. Erst wenn das passiert ist, dürfen die Ehepartner zusammen in eine eigene Wohnung ziehen, bis dahin leben sie bei ihren Eltern.
Übrigens stellt sich die Frage überhaupt nicht, ob der nicht erfüllte Kinderwunsch vielleicht durch den Ehemann zu verantworten ist – grundsätzlich wird die Schuld der Frau zugeschrieben. Diese muss dann damit rechnen, von den Dorfbewohnern verstoßen zu werden. Es liegt also ein großer Druck auf den Frauen in Sri Lanka. Daher sind oft Paare im Shiva-Tempel anzutreffen, die dort versuchen die Götter milde zu stimmen.

Es gibt insgesamt fünf Aspekte, die die Auswahl einer Frau bestimmen (richtig: bestimmen, nicht beeinflussen, denn es handelt sich bei jedem einzelnen um ein Killerargument. Wird ein Aspekt nicht erfüllt, ist das Thema erledigt):

1.    Religion/Kaste
2.    Schönheit
3.    Mitgift
4.    Erziehung
5.    Charakter

Darüber hinaus ist natürlich auch hier wieder das Horoskop entscheidend:
Es enthält insgesamt 22 Aspekte, von denen mindestens 18 übereinstimmen müssen. Wird diese Quote nicht erreicht, darf ein Paar nicht heiraten.
Hier findet sich das nächste Kuriosum, das für uns Europäer schwer verständlich ist: Wenn ein Kind geboren wird, dann gehen die Srilankaner nicht zum Einwohnermeldeamt, um eine Geburtsurkunde zu besorgen – sie gehen zum Wahrsager und lassen ein Horoskop erstellen. Dieses ist von hoher Bedeutung, denn es muss ständig vorgelegt werden, zum Beispiel, wenn man ein Auto kaufen möchte, wenn man eine Wohnung mieten oder kaufen möchte, wenn man sich um eine Arbeit bewirbt, und eben halt auch, wenn eine Heirat ansteht.
Interessant ist übrigens, dass trotz der offiziell herrschenden Gleichberechtigung von Mann und Frau der Mann nur drei der oben genannten Kriterien erfüllen muss, um in Frage zu kommen.  Diese sind:
1.    Religion/Kaste
2.    Schönheit
3.    Erziehung
Geld muss dann halt die Frau mitbringen…

Am Abend steigt die Beach-Party. Erstaunlicherweise teilt sich die Gruppe gleich zu Beginn in zwei Hälften und so verbringen wir einen Abend in beschaulichem Rahmen.

Vom weiteren Verlauf bekommt Team München nicht wirklich etwas mit, weil wir uns zu fünft an den Strand verziehen.

Zu den restlichen Stunden werde ich jetzt einfach mal elegant schweigen. Nur so viel: Irgendwann gegen elf Uhr gehe ich noch mal Richtung Beach-Bar und mich empfängt gähnende Leere. Fast die gesamte Reisegruppe hat es anscheinend geschafft, sich in dieser kurzen Zeit komplett zu zerstören.

Ich gehe wieder an den Strand, wo die fünf letzten Mohikaner sitzen und wir verbringen noch einen Abend bei  tiefgründigen Gesprächen, bis wir dann gegen drei Uhr in der Früh auch den Posten räumen.

Das Kapitel „Beach-Party“ werde ich in den nächsten Tagen noch weiter ausführen, jedoch muss ich erst noch die Beteiligten fragen, was da so alles passiert ist. Keine Ahnung warum, aber ich habe ein paar Erinnerungslücken…

*to be continued*

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