Caminho Português – Tag 12: Von Santiago de Compostela nach Negreira

Ich werde um 07:00 Uhr wach. Die Betten neben mir – leer. Es fühlt sich an, als wäre ich gerade unvermittelt aus einem wunderschönen Traum gerissen worden. Ein großes schwarzes Loch tut sich auf, ich darf aber nicht reinfallen, sondern muss nach vorne schauen. Und so quäle ich mich aus dem Bett, mache mich fertig und verlasse um Viertel nach acht das Hostel. Kaum fünf Minuten später laufe ich über den Praza do Obradoiro, den großen Platz vor der Kathedrale und biege am Parador-Hotel links ab.
DSC_0813Am Dienstboteneingang steht einsam eine junge Pilgerin – Simona aus Litauen -, die ich in den letzten Tagen desöfteren auf dem Weg gesehen habe. Aufgefallen ist sie mir aufgrund ihres markanten grünen Umhangs, den sie sich (so erzählt sie mir später) während ihrer Pilgerreise seit Lissabon eslbst genäht hat. Ich stelle mich neben sie und wir warten gemeinsam darauf, dass es 09:00 Uhr wird. Es ist nämlich so, dass das Parador eine langgehegte Tradition hat. Dazu muss man zunächst wissen, dass das Parador im Jahr 1499 von den katholischen Königen Ferdinand und Isabella als Krankenhaus für die Pilger gebaut wurde, die ihren Pilgerweg hier in Santiago beendeten. Sie bekamen hier Unterkunft, Verpflegung und (ganz wichtig) medizinische Versorgung für drei Tage. Im Jahr 1953 wurde das Gebäude geräumt um es in Wahrzeichen der Stadt zu verwandeln. Ein Jahr später wurde es wiedereröffnet als Hotel „Hostal dos Reis Catolicos“ („Die heiligen zwei katholischen Könige“).
DSC_0811Eine Tradition aber hat diese Verwandlung überlebt: Noch heute werden zu jeder Mahlzeit (Frühstück, Mittagessen und Abendesssen) des Tages zehn Pilger eingeladen, die ihren Pilgerweg nach Santiago mittels der Compostela nachweisen können. Einzige Voraussetzung: Die Compostela darf nicht älter sein als drei Tage.
Das trifft auf uns beide zu und so warten wir darauf, dass sich die Pforte öffnet und wir hereingebeten werden. In der Zwischenzeit kommen wir miteinander ins Gespräch. Sie fragt mich, in welchem Hostel ich in Negreira unterzukommen gedenke und sagt auf meine Antwort, sie werde es in einem anderen Hostel versuchen, und zwar in der staatlichen Herberge, die koste nur sechs Euro. „In Lithuania we don’t have so much money like the Germans. We only have about eleven refugees.“ Dabei grinst sie mich mit einem verschmitzten Lächeln an. Ich kann gerade nicht lachen, das ist mir heute morgen vergangen.
DiDSC_0809e Pforte öffnet sich, wir werden hereingebeten. Auf die Kontrolle der Compostela wird verzichtet, denn wir sind eh nur zu zehnt, da ist das gleich mal egal. Kreuz und quer durch die Katakomben des Gebäude, die so überhaupt nicht nach einem Fünf-Sterne-Hotel aussehen, gelangen wir in die Küche, wo drei von uns mit Tabletts und Thermoskannen beladen werden. Das Frühstück, das uns kredenzt wird, ist einfach gehalten: Es gibt Milchkaffee, kleine Croissants und Zimtschnecken, das aber in einer Menge, die locker für die doppelte Anzahl an Pilgern gereicht hätte. DSC_0810Kaum habe ich eine Zimtschnecke aufgegessen, legen mir die anderen eine weitere auf meine Serviette (Teller bekommen wir nicht, aber das ist in Ordnung, denn so hat das Personal weniger Arbeit mit uns) und strahlen mich an. Dabei sagt einer von ihnen mehrfach, ich sähe so aus, als könne ich die Kalorien gebrauchen. Stimmt wahrscheinlich auch, aber in erster Linie esse ich so viel wie möglich, weil die Backwaren einfach unverschämt lecker sind. Außerdem sind sie noch warm und dem Geruch im Küchentrakt nach zu schließen, sind sie hier frisch zubereitet worden.
Nach dem Frühstück verabschieden Simona und ich uns voneinander, denn nachdem sie es gestern zweimal nicht geschafft hat zur Messe in die Kathedrale gelassen zu werden, möchte sie es heute um 11:00 Uhr nochmal versuchen. Ich versorge sie noch mit Tipps, wo sie ihr Gepäck während der Messe unterbringen kann und über welchen Zugang sie es am Besten versuchen sollte, dann trennen wir uns und ich ziehe los.
In meinem Kopf macht sich eine vertraute Leere breit, die ich in den vergangenen Tagen nicht hatte und auch nicht vermisst habe. Stupide setze ich einen Fuß vor den anderen und folge den gelben Pfeilen. Über den Rest des Tages gibt es nichts zu berichten, denn es wird deutlich, dass diese Etappe lediglich der Distanzbewältigung dient – Es gibt absolut nichts zu sehen, außer der zugegebenermaßen schönen Landschaft. Das bestätigt auch mein Wanderführer, der sich ungewohnt wortkarg zeigt.
DSC_0817Zu meiner Unterkunft für diese Nacht (Albergue El Carmen) kann ich sagen: Der Name ist das schönste daran. Vielleicht sogar das einzig schöne. Vor allem das Personal strahlt eine unangenehme Mischung aus Unfreindlichkeit und Inkompetenz aus, was ich vor allem dann erfahren darf, als ich es wage, die Waschmaschine benutzen zu wollen. Hätte ich vorher gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich gleich zur Kernseife gegriffen und meine Wäsche per Hand gewaschen. So verbringe ich eine halbe Stunde damit zuzuschauen, wie zwei gestandene Machos Männer daran scheitern, die Maschine in Gang zu bringen, nur um anschließend die Frau des Hauses zu rufen, die sich dann darum kümmern muss.

Zu meiner Überraschung treffe ich, als ich in den Aufenthaltsraum zurückkehre, Simona. Zwar wollte sie in eine andere Herberge, wie sie mir ja schon in Santiago erzählt hatte, diese hat jedoch geschlossen. Auch gut, so haben wir noch ausgiebig Zeit uns miteinander zu unterhalten.

Abends kaufe ich mir im einzigen Supermarkt von Negreira etwas zu essen und verbringe den Abend damit, die vergangenen Tage schriftlich aufzuarbeiten und in den schönen Erinnerungen zu schwelgen.
Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

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