4. Tag, Montag, 17.05.2010

BEIJING
Ein ganzer Tag Freizeit in Chinas Metropole. Vielleicht für einen Streifzug durch eines der traditionellen Hutong-Viertel? Oder Sie begleiten Ihren Scout auf den Halbtagesausflug zur Großen Mauer bei Mutianyu, um das Staunen neu zu definieren. Wenn Sie lieber in Beijing bleiben möchten, lockt in Hotelnähe die Shoppingmall des Oriental Plaza – aber dort können Sie auch noch nach der Rückkehr von der Mauertour Ihre Freigepäckgrenze ausloten.

Ein ganzer Tag Freizeit? Niemals, denn was gäbe es fataleres, als jetzt schlapp zu machen und aus dem Rhythmus heraus zu kommen… Außerdem soll die Große Mauer sehr beeindruckend sein, zumal sie oft das erste ist, was man mit China verbindet.
Also machen wir uns nach einem ausgiebigen Frühstück (die Erfahrung der letzten Tage zeigt, dass das dringend nötig ist, da ja laut Scout Essen Zeitverschwendung ist – jetzt wird mir auch klar, warum die Chinesen so klein und schmächtig sind) auf in Richtung Mutianyu, eine Stelle fernab des Massentourismus.
Auf dem Weg vom Busparkplatz zur Seilbahn werden wir von Straßenhändlern belagert und penetrant dazu aufgefordert irgendwelchen Schrott zu kaufen. Der Lockspruch ist „Two T-Shirts one dollar“, was mich ein wenig traurig macht, denn wenn diese Straßenhändler bei einem Dollar für zwei T-Shirts noch Gewinn machen, was bekommen dann wohl diejenigen, die die T-Shirts herstellen und bedrucken? Und wo versackt die Differenz zwischen diesem Preis und dem deutschen Preis? Natürlich kenne ich die Antworten, aber in dem Moment zählt das nicht. Ein wenig beruhigt bin ich, als ich später von Mitreisenden erfahre, dass das wirklich nur ein Lockspruch war und das T-Shirt im Endeffekt vierzig Yuan kostete, was in etwa (je nach Wechselkurs) sechs Euro sind. Aber dafür gab es dann ein schönes T-Shirt mit der Aufschrift „I climbed the Great Wall“.
Ach ja, bevor das hier jetzt untergeht: Auf die Mauer laufen wir ja auch noch. Mein lieber Herr Gesangsverein, ich sitze gerade im Bus auf der Rückfahrt von Mutianyu nach Beijing und fühle spüre meine Beine nicht mehr. Da ist einfach nur dieser unbeschreibliche Schmerz und ich werde mich heute wohl bei meinen Beinen und Füßen mittels einer ausgiebigen Massage entschuldigen müssen. Es ist mir auch nicht peinlich zu berichten, dass ich auf der Mauer schlapp gemacht habe. Die letzten fünf Stufen des Hinwegs hat mich Julia hochgezogen, weil ich faktisch auf der Treppe lag. Dafür bedanke ich mich bei Julia und ernenne sie zum Held des Tages.
Schön ist auch das Wetter, denn dadurch, dass es total neblig ist, werden wir nicht von der Landschaft abgelenkt. Es gibt nur uns und die Mauer und es hat fast schon etwas gespenstisches, die Mauer im dichten Nebel verschwinden zu sehen. Aber Stonehenge wirkt ja im dichten Nebel auch viel mystischer als bei klarem Himmel und Sonnenschein, von daher passt das für mich schon. Und auf den letzten Metern des Rückweges werden auch die übrigen entschädigt, denn der Nebel lichtet sich ein kleines bisschen und gibt ein wenig den Blick frei auf die Wälder und das Tal.
Der Rückweg von der Seilbahn zum Bus ist eigentlich identisch mit dem Hinweg: Genau die gleichen Händler, genau der gleiche Schrott, genau das gleiche penetrante Verhalten. Einziger Unterschied: Die Laufrichtung und somit die Reihenfolge der Läden ist entgegengesetzt dem Hinweg.
Die neunzigminütige Rückfahrt nach Beijing verläuft so ruhig wie kaum eine andere Fahrt bisher: Wäre da nicht das Röhren des Motors und die verzweifelten Hilfeschreie des Getriebes (die Gänge werden ohne Treten des Kupplungspedals reingeprügelt), könnte man eine Stecknadel fallen hören. Ein Großteil der Mitreisenden schöpft neue Kraft für den Rest des Tages: Wir haben einen halben Tag frei und somit zum ersten Mal die Gelegenheit, Beijing auf eigene Faust zu erkunden, fernab jeglicher Sehenswürdigkeiten dem Kapitalismus frönen und shoppen bis der Arzt kommt. Meine Damen und Herren, auch ich klinke mich jetzt aus und werde ein paar Minuten schlafen, denn gleich möchte ich fit sein.
Bei Euch ist es jetzt 7:15h, ich wünsche Euch einen wunderschönen Montag!

****Nachtrag****
Der Rest des Tages darf nicht unerwähnt bleiben:
Nach einer kurzen Verschnaufpause fahre ich mit Jan in die Innenstadt um mir ein wenig das Beijing abseits jeglicher Tempel und sonstiger Besichtigung zu erkunden. Auf der Rückfahrt mit dem Bus zum Hotel sind wir durch eine Straße mit vielen kleinen Geschäften gefahren und wir beschließen, dass wir uns diese einmal genauer anschauen wollen. Der Taxifahrer kann kein Englisch (so wie eigentlich überhaupt niemand in Beijing Englisch spricht) und so bringen wir ihm gestikulierend bei, dass er eigentlich nur die Straße runter fahren muss bis wir „Stop“ rufen. Gut, ich muss zugeben: Das hat jetzt gar nicht so gut funktioniert. Er biegt irgendwo ab, so dass wir keine Ahnung mehr haben wo wir sind. Daher lassen wir uns so lange mit dem Taxi durch die Stadt kutschieren, bis wir anhand von Reiseführer und Stadtplan wissen, wo wir denn eigentlich nun genau hinwollen. Das ist wahre Dekadenz: Ins Taxi einsteigen und dann überlegen wo man hin will.
Nach einer gefühlten halben Stunde haben wir unser Ziel gefunden. Ein Abgleich des momentanen Standortes mit der Karte ergibt, dass wir uns ganz rechts oben befinden, das Hotel liegt ziemlich in der Mitte, unser gewünschtes Ziel links unten auf der Karte. Das bedeutet folgendes: (1) wir sind ca. eine gefühlte halbe Stunde genau in die falsche Richtung gefahren (worden). (2) Wir befinden uns nun genau am anderen Ende von Beijing. (3) Das ist uns egal, denn auf dem Taxameter stehen erst umgerechnet 3,50€.
Irgendwann während der Fahrt steigen wir dann an einer roten Ampel mitten auf einer vierspurigen Straße aus, der Fahrer schaut uns irritiert an, wir drücken ihm den Fahrpreis und ein unverschämt hohes Trinkgeld in die Hand und kämpfen uns durch die Automassen.
Nach einem ausgiebigen Spaziergang kommen wir an einer der vielen Garküchen vorbei und beschließen, einfach mal alles zu probieren, was es dort gibt.
Das lukullische Erlebnis rangiert irgendwo zwischen „ausgezeichnet“ und „mir kommt da grade ein bisschen Kotze hoch“, mit einem starken Schwerpunkt auf „kann man das wirklich essen?“.
Eine kleine Auswahl an Beispielen: Die Hackfleischspieße gehörten zur ersten Kategorie, die Nieren zur zweiten. Der Oktopus ist der dritten Kategorie zugeordnet und die frittierten Küken (mit Kopf!) verbinden Kategorie zwei und drei. Das war schätzungsweise das Schlimmste, was ich seit langem gegessen habe…
Nach einem kurzen Abstecher ins Hotel fahren wir an einen kleinen See innerhalb der Stadt. Dieser liegt innerhalb der Baihai-Parks und es ist brechend voll, denn hier den Abend zu verbringen gilt wohl als hip. Auf dem See fahren Leute Tretboot, die Restaurants ringsum sind gut besucht. Das hier geplante Abendessen fällt aus, da wir das anvisierte Lokal nicht finden, daher wird daraus ein Drink, dann sind wir auch schon wieder weg, weil einige noch vor 23.00h ihre Koffer vor die Zimmertür stellen müssen.
Das hängt damit zusammen, dass wir bereits um 6.30h das Hotel Richtung Flughafen verlassen, denn es geht weiter nach Shanghai. Jan und ich streifen noch durch die Stadt, der restliche Abend ist größtenteils unspektakulär (mal abgesehen davon, das vier Prostituierte mit ihm auf Tuchfühlung gehen). Mein persönliches Highlight es Abends ist: „You look like my next boyfriend“ (Sagte eine „käufliche Dame“ zu Jan).
Als wir im Hotel ankommen, ist es bereits wieder 1:30h, was diesmal umso grausamer ist, als der Weckruf bereits um 5:15h erfolgen wird. Na dann mal Prost!
Da dies der letzte Abend in Beijing ist, wird es Zeit für ein Zwischenfazit.


Fazit Beijing
Mit über 14 Millionen Einwohnern ist Beijing wohl ein Vorzeigebeispiel fpr das, was man als Megametropole bezeichnet. Die Stadt wird bestimmt durch die Nord.Süd-Achse, entlang derer sich touristisch wie national bedeutsame Objekte wie der Tian’anmen-Plaz. der Kaiserplatz und die Olympiabauten aufreihen. 
Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir einen guten Einblick in die chinesische Kultur bekommen haben, leider ist das „weltliche“ Beijing für mich ein wenig zu kurz gekommen. Durch unseren spontanen Trip durch die Hutongs (ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob der Begriff „Slums“ hier treffend ist, doch handelt es sich um einfachste Häuser ohne Küche und sanitäre Einrichtungen) haben Jan und ich dennoch einen Einblick in das einfache Leben der Menschen fern abseits des touristischen Beijing bekommen.
Für ausgiebiges Shopping blieb leider keine Zeit, doch das werden wir am letzten Tag unserer Reise ausgiebig nachholen.
Ein Besuch in Beijing ist definitiv ein prägendes Erlebnis, doch wohnen möchte ich hier nicht.
Die Stadt an sich ist zu unübersichtlich und die englische Sprache ist den meisten unbekannt, was vor allem das Taxifahren zu einer Herausforderung macht.
Es mag sich blöd anhören, doch sind wir hier als absolute Analphabeten unterwegs, weder der Schrift noch der gesprochenen Sprache mächtig. Da sich dies uneingeschränkt auf jedes weitere Land übertragen lässt, ist auch dies eine wertvolle Erfahrung…


 

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