Kategorie: Nine Million Bicycles

„Nine Million Bicycles“ ist während meiner China-Reise mit Marco Polo entstanden und live ins Netz gesetzt worden. Es gibt unzensiert (ganz im Gegenteil zu anderen Publikationen aus China) meine Eindrücke während der Fahrt wieder und mag eine Entscheidungshilfe für diejenigen sein, die darüber nachdenken, diese Reise zu buchen. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!
Während der Reise sind unzählige Bilder entstanden, einen kleinen Auszug findet Ihr unter „photos.“

Prolog

Meine Damen und Herren, morgen ist es so weit: Roman finally goes China *yeeha*!
Die Voraussetzungen waren alles andere als ideal, dass es endlich doch geklappt hat, grenzt an ein Wunder.
Die verschiedenen Stationen, die ich in Bezug auf meinen Urlaub durchlaufen habe:
Erstes geplantes Urlaubsziel: Usbekistan. Hört sich individuell an, ist es auch. Zumindest so individuell, dass sich selbst die durchführende Reisegesellschaft nicht an diese Tour erinnern konnte. Und das, obwohl ich nach meinem Thailand-Urlaub einen Brief bekommen hatte, in dem diese Reise explizit angeboten wurde. Dennoch: Die hochmotivierte Mitarbeiterin im Reisebüro wusste nichts davon (obwohl sie offenbar den gesamten Katalog auswendig kannte), ihr Computer hatte auch keine Ahnung, und ein Anruf in der Firmenzentrale des Reiseanbieters endete auch nur darin, dass die Usbekistan-Abteilung erklärte, es gäbe diese Reise nicht.
Blöd, dass ich meinen Urlaub für diesen Zeitraum bereits beantragt hatte. Da half nur eins: Alternativen suchen. Das führt uns direkt zum zweiten geplanten Urlaubsziel.
Zweites geplantes Urlaubsziel: Japan. So ungewöhnlich, dass es schon direkt wieder interessant war. Immerhin ist es ja die gleiche Himmelsrichtung wie Usbekistan. Leider dauerte die Tour zwei Tage länger als mein genehmigter Urlaub. Außerdem war die Tour ausgebucht, ich stand aber jetzt immerhin auf Platz 1 der Warteliste. Da half nur eins: Urlaubsverlängerung beantragen und beten. Ersteres hat geklappt, letzteres leider nicht geholfen. Die Reise blieb ausgebucht, keiner war zurückgetreten. Somit war nach Usbekistan auch Japan gestorben (also nicht das Land, sondern die Reise, und auch das nur für mich, denn andere fuhren ja dorthin *grummel*)
Und die Urlaubsverlängerung kam auch leider einen Tag zu spät um das dritte geplante Urlaubsziel zu erreichen.
Drittes geplantes Urlaubsziel: Kuba. Liegt jetzt nicht so direkt in der Gegend von Ziel Nummer eins und zwei, eher so die ganz andere Richtung, Aber Sonne, Strand und Palmen, einen Cuba Libre in der Hand (und einen Eimer voll davon auf dem Rücken) und den Salsa-Rhythmus in den Beinen, das wäre bestimmt auch schön gewesen…
Die hochmotivierte Mitarbeiterin im Reisebüro war leider nicht da, hatte wohl eine Woche Urlaub. Dafür saß ich nun ihrer ebenfalls hochmotivierten Kollegin gegenüber, die mir auf meine Frage „Gibt es denn überhaupt irgendwas, wo ich hinfahren kann, egal was?“ sagte: „Es gibt China“. China, aha. Dass es das Land gibt, wusste ich auch vorher schon. Es liegt irgendwo zwischen Usbekistan und Japan und somit definitiv ganz weit weg von Kuba. Aber da Urlaub machen? Wieso eigentlich nicht! Damit wurde China also offiziell als viertes Urlaubsziel nominiert.
Viertes geplantes Urlaubsziel: Nun also China. Ich brauche ein wenig Bedenkzeit, sagte ich der Mitarbeiterin im Reisebüro. Ich schnappte mir die Unterlagen, verließ das Reisebüro, setzte mich auf der Kaufinger Straße in ein OpenAir-Café (wie nennt man eigentlich diese Cafés, die mitten in der Fußgängerzone ihre Tische aufbauen?), rief meinen Dad an, trank meinen Kaffee aus, ging zurück ins Reisebüro, buchte die Reise, fuhr zum Konsulat, beantragte mein Visum, merkte, dass ich kein Passfoto dabei hatte, lief zur nächsten U-Bahn-Station, stieg in den FotoFix-Automaten, bemerkte das Schild „Außer Betrieb“, stieg in die nächste U-Bahn, fuhr zum nächstgelegenen Fotoladen, fuhr mit Passbildern zurück zum Konsulat, beantragte erneut mein Visum und wartete.
Sechs lange Tage, dann bekam ich gleich zwei Anrufe: Meine Unterlagen waren im Reisebüro angekommen und mein Visum war auch fertig. Ich muss gestehen, dass ich da schon nicht mehr mit gerechnet hatte.

Am Sonntag wurde der Flughafen wieder mal wegen der Vulkanasche gesperrt, zwar nur für sieben Stunden. Das macht nicht wirklich Mut, denn eine Sperrung für sieben Stunden am Freitag  würde mir den gesamten Urlaub verhageln (oder heißt es in diesem Fall „veraschen“?). Also Leute: Drückt mir die Daumen!

1. Tag, Freitag, 14.05.2010

FLUG NACH BEIJING

„Abends Flug mit Hainan Airlines von Berlin-Tegel nach Beijing (nonstop, Flugdauer ca. 9 Std.)“

Mittlerweile habe ich meinen Zubringerflug München-Berlin hinter mich gebracht und sitze am Abfluggate in Berlin-Tegel.
Vor mir liegt ein cirka neunstündiger Flug nach Beijing und so werde ich genügend Zeit haben, mich bereits mental vorzubereiten.

„There are nine million bicycles in Beijing“ hat Katie Melua im Jahre 2005 gesungen, und ich habe mir fest vorgenommen, diese These wissenschaftlich zu be- oder widerlegen.
Dafür habe ich mehrere Ansätze entwickelt und auf Durchführbarkeit geprüft:

Ansatz 1: Einfach wild drauf loszuzählen, doch soviel Zeit habe ich nicht.
Außerdem bräuchte ich dann ungefähr neun Millionen Aufkleber, um jedes bereits gezählte Fahrrad markieren zu können. Somit habe ich diesen Ansatz verworfen.

Ansatz 2: Die Einwohner Beijings alphabetisch antreten zu lassen und den Besitz eines oder mehrerer Fahrräder abzufragen. Dies würde (a) zu lange dauern, (b) ein Verkehrschaos hervorrufen, denn die Schlange dürfte ziemlich lang werden, und (c) eine Schadenersatzklage ungeahnten Ausmaßes auf mich zukommen lassen, denn die Berufstätigen könnten mehrere Tage/Wochen nicht zur Arbeit erscheinen, da sie ja in der von mir initiierten Schlange stünden.
Unbeachtet in beiden genannten Ansätzen ist die Rolle der Berufspendler, die zwar mit dem Fahrrad in Beijing unterwegs sind, jedoch nicht in der Stadt wohnen.
Hier stellt sich mir die Frage, ob und wie Katie Melua da unterschieden hat. Daher habe ich mich für Ansatz 3 entschieden.

Ansatz 3: Ich werde bereits im Vorfeld mit Hilfe eines Stadtplans die Stadt in eine noch undefinierte Anzahl von Quadranten unterteilen, in zwei bis vier dieser Quadranten die Anzahl der Fahrräder zählen, den Durchschnitt der Fahrräder in den gezählten Quadraten errechnen und näherungsweise die Gesamtheit der Fahrräder nach der folgenden Formel ermitteln:

G(F) = Σ(n(Q) * D(F(Q))), wobei G(F) die Gesamtheit aller vorhandenen Fahrräder ist, n(Q) die  Anzahl der Quadranten und D(F(Q)) der Durchschnitt der Fahrräder innerhalb der Quadranten.

Immer noch habe ich das leichte Gefühl aus meinen Soziologieseminaren und –vorlesungen einen Schaden davon getragen zu haben. Oder kommt das von meinen Wirtschaftsinformatikvorlesungen? Hmmm… Wirtschaftsinformatik!
Wie hoch ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass auf Basis der oben erläuterten Formel alle bzw. nicht alle Fahrräder gezählt werden? Und was ist mit Mehrfachregistrierungen? Ich merke schon jetzt, dass ich während des Fluges voll ausgelastet sein werde…

2. Tag, Samstag, 15.05.2010

BEIJING

Ni hao! Vormittags Touchdown in Chinas Hauptstadt. Mit Ihrem Marco Polo-Scout fahren Sie zum Hotel mit Zwischenstopps bei den architektonischen Glanzpunkten der Olympischen Sommerspiele 2008: Das Vogelnest-Stadion weckt Erinnerungen an die fantastische Eröffnungsfeier, und im „Wasserwürfel“ hat Rekordschwimmer Michael Phelps die in China als Glückszahl geltende Zahl Acht in Goldmedaillen gewürfelt. Nachmittags Zeit zum Ankommen – oder wollen Sie es wie einst Marco Polo gleich persönlich angehen? Ihr Scout nimmt Sie gern mit zum Himmelstempel, wo die chinesischen Kaiser für eine gute Ernte beteten. Was Chinas Boden heute hervorbringt, können Sie dann bei einem Spezialitätendinner kosten. Drei
Übernachtungen im Zentrum.

Ich verlasse den Flughafen gegen 12.00h mit knappen 90 Minuten Verspätung. Wenn ich den Flug beschreiben müsste, würde ich sagen: entspannend ist anders. Zunächst sind wir ungefähr zwei Stunden zu spät gestartet, laut Durchsage der Besatzung wegen technischer Mängel. In Zusammenspiel mit dem unruhigen Flugverhalten der Maschine hat mir das die letzten Nerven geraubt, und ich habe bei der Landung dafür gebetet, dass wir heil herunter kommen.
In Beijing ist es brühend warm: 29°C zeigt das Thermometer an. Das wäre unter normalen Umständen gut erträglich, doch habe ich mich extra warm angezogen, weil ich sonst auf Langstreckenflügen über Nacht leicht friere. Diese Tatsache rächt sich bereits bei der Ankunft, denn wir bekommen gesagt, dass wir erst gegen 16.00h ins Hotel können und daher einige Programmpunkte des Folgetages vorziehen. Na dann mal. Prost!
Der Bus fährt uns zunächst ins 798 Art District, einem Künstlerviertel mitten in einer alten Industrieanlage. Die dort ansässigen Firmen waren allesamt staatlich und wurden daher in den siebziger Jahren stillgelegt.
Nun hat sich in den dortigen Industrieruinen eine Künstlerkommune angesiedelt und junge Paare lassen sich vor dieser Kulisse für ihre Hochzeitsfotografien.
Nach einem ausgiebigem Spaziergang durch das Viertel und der Betrachtung einiger nicht jugendfreier Kunstwerke steigen wir in den Bus und fahren zum Vogelnest.
Das Vogelnest ist das imposante Olympiastadion in Beijing. Auf einem Gelände so groß wie das Auge blicken kann reihen sich die Sportstätten links und rechts der Nord-Süd-Achse aneinander. Dabei treffen sich sogar Himmel und Erde in der Architektur: Das Vogelnest ist rund und symbolisiert somit den Himmel, während das Schwimmstadion viereckig ist und für die Erde steht.
Die Chinesen sind nahezu euphorisch uns Exoten zu sehen und so werde ich von einigen Chinesinnen gebeten mich mit Ihnen fotografieren zu lassen. Zwei weiteren aus meiner Reisegruppe geht es genauso.
Klimatisch sind für mich inzwischen natürliche Grenzen erreicht und überschritten, denn die Temperaturen machen mir schon sehr zu schaffen. Daher bin ich auch froh, dass es nun ins Hotel geht, wo ich endlich duschen und mich umziehen kann. Überraschung: Unser gebuchtes Hotel ist nicht verfügbar, da wohl die Regierung dieses in Beschlag genommen hat. Wir kommen somit in den Genuss eines 5*-Hotels vom Allerfeinsten.
Wir haben neunzig Minuten Freizeit bis zum Abendessen und so erkunde ich nach einer Dusche den Weg zum nächsten Supermarkt. Auf die Leistung bin ich stolz, denn obwohl dieser Supermarkt direkt gegenüber vom Hotel auf der anderen Straßenseite liegt, ist es doch nur unter Einsatz des Lebens möglich, diesen zu erreichen. Zur Fahrweise der Chinesen werde ich mich ganz sicher später noch äußern.
Um 19:30h treffen wir uns wieder vor dem Hotel, der Weg führt uns in ein Restaurant, das bekannt ist für seine Peking-Ente. Dort sitzen wir mit der gesamten Gruppe um einen runden Tisch, auf dem eine große Drehscheibe aus Glas angebracht ist. Die folgende Zeit wirbeln ständig irgendwelche kleinen Chinesinnen um uns herum, die den Tisch mit irgendwelchen kleinen Tellern meist undefinierbaren Inhalts füllen. Das Essen gerät zu einer Materialschlacht und auch wenn einiges recht gewöhnungsbedürftig ist, schmeckt es doch erstaunlich gut.
Da ich mich bereits bei meinem Reisebericht nicht vor Kritik am Reiseveranstalter gescheut habe, muss ich auch hier wieder meckern.
Die Reise ist nicht preiswert. Zwar auch nicht wirklich teuer, aber ich möchte es mal so ausdrücken: Wer hier mitfährt, dem tut es nicht weh, wenn die Reise fünf Euro mehr kostet.
Die Reiseleiter durften nicht mitessen, da der Veranstalter für sie die Kosten für das Essen nicht übernimmt. Warum zum Teufel wird so etwas nicht auf die Reiseteilnehmer umgelegt?
Ich persönlich fand es schade und auch störend, dass die Reiseleiter uns alleine lassen mussten. Aber vielleicht wird hier ja irgendwann mal nachgebessert…
Nach dem Essen fahren wir zurück zum Hotel und hier scheidet sich die Spreu vom Weizen.
Während der eine Teil dem Jetlag Tribut zollt, macht sich der andere Teil auf den Weg, zu Fuß den Platz des Himmlischen Friedens zu erkunden.
Die Aktion ähnelt einem Himmelfahrtskommando, denn erstens ist der Platz großräumig abgesperrt und zweitens ist er viel zu groß um ihn überblicken zu können. Unbestätigten Gerüchten zufolge haben zwei Mitreisende den Platz allerdings zu Fuß umlaufen.
Der Abend endet hier und die ganze Truppe begibt sich zurück zum Hotel. Die ganze Truppe? Nein, eine kleine Truppe Unermüdlicher (wir sind zu dritt), erkundet noch das Nachtleben von Beijing wir nehmen ein Taxi und fahren zum Grand Hotel, denn dort soll sich eine gute Bar mit tollem Ausblick auf die Stadt befinden. Dort angekommen lernen wir, dass es sich dabei allerdings um eine Dachterasse handelt, die nur im Sommer aufhat und somit zur Zeit geschlossen ist. Das ist auch gut so, denn bei den 19°C, die das Thermometer anzeigt, hätten wir bestimmt gefroren. Aber dafür gibt es im Hotel die Fountain Bar, in der wir es uns an einem Tisch gemütlich machen. Der Raum ist gigantisch, die Deckenhöhe schätze ich auf fünfzehn Meter, rund um den Raum gibt es in fünf Etagen Galerien, die zu den Zimmern führen.
Für das Ambiente sind die Drinks recht preiswert, daher bleiben wir etwas länger hier.
Im Reiseführer wird die LAN-Bar als Must-See empfohlen, wir steigen also ins Taxi und los gehts.
Die LAN-Bar ist ein Studio im Rohbau, wobei ihr besonderer Charme darin liegt, dass an der Decke Ölgemälde in dicken Goldrahmen befestigt sind: Eine geniale Alternative zur Tapete. Auch sonst zeichnet sich die Einrichtung dadurch ein, dass eigentlich nichts zueinander passt.
Die Musik ist gut, eine gesunde Mischung aus Rock, Pop und Electro. Hier lässt es sich aushalten und so machen wir es uns an der Bar bequem.
C. kommt auf die Idee, dass ihr ein Typ auf der anderen Seite des Raumes gut gefällt, Jan geht hin und spricht ihn an. Blöderweise hat er den falschen angesprochen, was die Situation recht lustig macht, vor allem vor dem Hintergrund, dass die ganze Story inszeniert ist.
Irgendwann gehen wir und fahren ins Hotel zurück. Jan und ich versacken noch in der Hotelbar. Um zwei Uhr beschließen wir zu gehen, unmittelbar nachdem wir rausgeflogen sind (nicht weil wir uns daneben benommen haben, sondern weil die Bar schließt).
Ein gelungener Tag geht zu Ende, die Nacht verspricht kurz zu werden.

3. Tag, Sonntag, 16.05.2010

BEIJING
Aufstehen mit Tai-Chi-Crashkurs und chinesischem Frühstück. Warum die Paläste der Verbotenen Stadt° nur 9999 ½ Räume haben, erfahren Sie an Ort und Stelle von Ihrem Scout. Feng-Shui-Prinzipien platzierten den Kohlehügel° exakt an den Nordrand der Kaiserstadt. Die Lehre hat was – denn der Ausblick von dort ist optimal. Am Nachmittag erleben Sie in den Künstlerateliers des 798 Art District, dass Chinas zeitgenössische Künstler keineswegs an alten Doktrinen hängen. Hier können Sie nach Herzenslust stöbern. Den Insiderkompass fürs Dinner hat Ihr Scout: Er empfiehlt die Restaurants am Hinteren See oder Lounges im Sanlitun-Viertel.

Mitten in der Nacht klingelt das Telefon, denn unser Scout hat bereits am gestrigen Abend in weiser Vorausschau einen Weckruf für die die ganze Gruppe bestellt. Dafür bin ich ihr dankbar, aber die Uhrzeit (7.00h) ist absolut pervers.
Egal, ich schleppe mich in die Dusche und sitze um 7.15h beim chinesischen Frühstück. Der Anblick reicht mir schon, wenn ich jetzt schon Nudeln in Sojasauce mit Rindfleisch esse, ist der Tag gelaufen. Daher entscheide ich mich für ein amerikanisches Frühstück wie ich es während meines Studiums in Kanada jeden Morgen gegessen habe (dadurch weiß ich wenigstens, dass ich es vertrage): gebratenes Toastbrot, Rührei-Omelett, Rostbratwürstchen, Minihamburger, weiße Bohnen in Tomatensauce, gebratener Speck, dazu Orangensaft und Kaffee. So sieht ein solider Start in den Tag aus.
Das Frühstück ist in der Menge auch dringend nötig, denn der Tag wird hart. Das Programm wird unseren Bedürfnissen angepasst: Wir haben uns gegen den Tai-Chi-Crashkurs entschieden, da wir dafür während der Kreuzfahrt genug Zeit haben, das Künstlerviertel haben wir ja bereits gestern gesehen.
Dafür holen wir nun den Besuch im Himmelstempel nach, den wir gestern ausgelassen haben.
Der Himmelstempel ist kurz abgehandelt, denn ich persönlich kann nichts damit anfangen. Noch immer bin ich zu sehr beeindruckt von der Detailverliebtheit der Thailänder beim Bau ihrer Tempel. Dagegen erscheint die Verzierung der Gebäude im Himmeltempel schon fast als schlampige Arbeit. Ich weiß, dass das unfair ist, denn man sieht auch hier, dass viel Arbeit darin steckt, nur -wie gesagt- ich kann halt nichts damit anfangen. Der Reiseführer China von Baedeker hingegen bezeichnet die Anlage als die „größte, älteste, kultisch bedeutendste und architektonisch vollkommendste der kaiserlichen Kultstätten“.
An diesem Punkt muss ich meine Aussage ein wenig relativieren, den architektonisch vollkommen ist sie definitiv.
Die Terrasse des Himmelsaltars ist kreisrund (der Kreis symbolisiert den Himmel), und auch die himmliche Yang-Zahl 3 spielt eine bedeutende Rolle: Die Terrasse geht über drei Ebenen, die jeweils über eine Treppe bestehend aus 9 Stufen (3×3) verbunden sind. Hier wird die nächste Symbolik deutlich: die Zahl 9. Sie ist die größte einstellige ungerade Zahl und gilt damit als männliche Zahl.
Also weiter mit der Beschreibung des Aufbaus: Die oberste Ebene hat einen Durchmesser von 9 zhang, was in etwa 27 Metern entspricht. Um den zentralen runden Stein sind ringförmig Bodenplatten angeordnet, im ersten Ring sind es 9 Platten, im zweiten Ring sind es 2×9 Platten und so zieht sich die Regelmäßigkeit durch bis zum äußersten Kreis der untersten Ebene, die aus 3x9x9 = 243 Platten besteht. Diese Ausrichtung der Architektur auf die Symbolik ist dann doch sehr beeindruckend.

Im Anschluss absolvieren wir die erste Etappe der Kaffeefahrt. Es geht in einen Verkaufsraum für Perlenschmuck. Wir bekommen eine kurze Videopräsentation über eine Süßwasserperlenfarm, anschließend wird vor unseren Augen eine Muschel geöffnet und die Perlen herausgeholt. Dann dürfen wir geschlagene zwanzig Minuten durch den Verkaufsraum schlendern, auf Schritt und Tritt verfolgt von den Angestellten, die er natürlich nur darauf abgesehen haben uns irgendwelchen Perlenschmuck zu verkaufen.
Endlich sind wir erlöst und es geht weiter mit dem Bus zum Platz des Himmlischen Friedens. Hier verweilen wir einige Zeit und schauen uns die zahlreichen Bauwerke näher an.

 


 

Exkurs: Tian’anmen-Platz
Der Tian’anmen-Platz liegt am südlichen Ende des Kaiserpalastes. Voneinander getrennt werden beide durch das Himmelsfriedenstor, das dem Platz seinen Namen gab. Korrekt übersetzt heißt der Platz Tian’anmen Guangchang nämlich „Platz am Himmelsfriedenstor“ und nicht „Platz des Himmlischen Friedens“. Aufgrund seiner Geschichte ist letztere Bezeichnung auch der blanke Hohn, erlangte er doch zu trauriger und zweifelhafter Berühmtheit durch die Niederschlagung der Studentenproteste am 4. Juni 1989. 
Dieser Platz ist gelebte Propaganda. Beherrscht wir er vom Tor des Himmlischen Friedens (dieser Begriff wird synonym mit der Bezeichnung Himmelsfriedenstor verwendet). Von diesem Bauwerk aus hat Mao 1949 die Volksrepublik China ausgerufen. Auch heute ist er hier noch präsent, denn hier hängt das berühmte Mao-Porträit.
Gegenüber dem Tor wurde 1976 das Mao-Mausoleum erbaut. Hier kann täglich (außer Montags) von 8-12 Uhr der Leichnam Maos besichtigt werden, der in einem Kristallsarg aufgebahrt ist. Die restliche Zeit verschwindet der Leichnam in einer Kühlkammer. Da es eine ziemliche Herausforderung ist, den Leichnam auf diese Weise erfolgreich zu konservieren, vermute ich mal, dass heute hauptsächlich die Wachsnachbildung, unmittelbar nach Maos Tod angefertigt, „ausgestellt“ wird. Taufrisch dürfte der „echte“ Leichnam jedenfalls nicht mehr aussehen…
Vom Tor auf das Mausoleum blickend befindet sich auf der rechten Seite  die Große Halles des Volkes, und die ist wirklich groß: Sie ist 350 Meter lang, der große Saal bietet Platz für 10.000 Menschen und dient als Versammlungsort des Volkskongresses (wenn dieser denn mal zusammentritt, denn das findet anscheinend nur sehr unregelmäßig statt). Für jede Volks- und Minderheitsgruppe gibt es einen eigenen Raum für Versammlungen. Die Ausmaße des gesamten Baus sind dementsprechend gigantisch.
Der Großen Halle des Volkes gegenüber befindet sich auf der Ostseite das Nationalmuseum, welches bis 2003 noch Geschichts- und Revolutionsmuseum hieß.
An der Fassade ist eine rückwärtslaufende Uhr angebracht, welche immer wieder für verschiedene Anlässe eingesetzt wurde, z.B. für den Countdown bis zur Rückgabe Taiwans, die Rückgabe Macaus, vor den Olympischen Spielen und vor der Expo 2010. Zur Zeit zählt sie die vergangenen Tage der Expo an und zeigt die aktuelle Besucherzahl an.


Was folgt ist ein kilometerlanger und gefühlt auch stundenlanger Gewaltmarsch durch die Verbotene Stadt. Der Name ist nicht übertrieben, denn das Areal, auf dem der Kaiser residierte, ist von der Größe her definitiv eine eigene Stadt.
Mein persönliches Highlight ist ein „kleiner“ Garten innerhalb der Anlage, wobei „klein“ aufgrund der Dimension der gesamten Anlage als relativ zu betrachten ist.  
Der 09. September ist ein Tag, an dem die Chinesen traditionell einen Berg besteigen. Der Kaiser wollte dies seiner Mutter ermöglichen und hat extra dafür innerhalb des Gartens einen künstlichen Berg aufschütten lassen und auf die spitze einen Pavillon gebaut.
Und da wir am heutigen Tag noch nicht genug gelaufen sind, geht es direkt von diesem Garten aus noch auf den Kohlehügel der nördlich des Tempels liegt. Dieser Hügel diente als Kohlelager zur Beheizung der gesamten Anlage. Dementsprechend hoch ist er auch. Belohnt werden wir für die Tortur durch einen gigantischen Ausblick über Beijing. Nach kurzer Zeit steigen wir hinunter, stürmen den Bus und fahren zu einer Kung-Fu-Aufführung.
Der aufmerksame Leser wird sich spätestens jetzt wahrscheinlich fragen, warum ich bisher noch nicht über das chinesische Essen berichtet habe. Richtig, es gab keins. Die Reiseleitung hat beschlossen, dass wir uns die Zeit, die wir mit dem Essen vergeuden würden, besser sparen und dafür die Besichtigung zeitlich ausdehnen. Und so sitzen wir (es ist mittlerweile 16:45h und das Frühstück somit achteinhalb Stunden her) im Bus, der Magen hängt uns in den Knien und wir fahren zu dieser Kung-Fu-Aufführung, die wir frisch gestärkt durch eine kleine Mahlzeit zwischendurch sicherlich viel mehr genießen könnten.
Ich kann an dieser Stelle schon einmal ankündigen: Wenn die das morgen wieder so knallhart durchziehen, gibt es hier einen Aufstand vom Allerfeinsten… 
Nach 90minütiger Show ist das Fazit: Viele haben gekämpft, einige verloren. Nach diesem Tag bin ich gepflegt am Ende und ich habe das Gefühl, den anderen geht es auch so. Einige von uns haben die Show nur auszugsweise mitbekommen, das was ich mitbekommen habe war aber toll. Wer die Möglichkeit hat, eine Vorstellung des Zirkus Krone anzuschauen: Dort werden Auszüge aus dieser Show gezeigt. Teilweise tut es schon beim Zuschauen weh, aber es lohnt sich.

 

4. Tag, Montag, 17.05.2010

BEIJING
Ein ganzer Tag Freizeit in Chinas Metropole. Vielleicht für einen Streifzug durch eines der traditionellen Hutong-Viertel? Oder Sie begleiten Ihren Scout auf den Halbtagesausflug zur Großen Mauer bei Mutianyu, um das Staunen neu zu definieren. Wenn Sie lieber in Beijing bleiben möchten, lockt in Hotelnähe die Shoppingmall des Oriental Plaza – aber dort können Sie auch noch nach der Rückkehr von der Mauertour Ihre Freigepäckgrenze ausloten.

Ein ganzer Tag Freizeit? Niemals, denn was gäbe es fataleres, als jetzt schlapp zu machen und aus dem Rhythmus heraus zu kommen… Außerdem soll die Große Mauer sehr beeindruckend sein, zumal sie oft das erste ist, was man mit China verbindet.
Also machen wir uns nach einem ausgiebigen Frühstück (die Erfahrung der letzten Tage zeigt, dass das dringend nötig ist, da ja laut Scout Essen Zeitverschwendung ist – jetzt wird mir auch klar, warum die Chinesen so klein und schmächtig sind) auf in Richtung Mutianyu, eine Stelle fernab des Massentourismus.
Auf dem Weg vom Busparkplatz zur Seilbahn werden wir von Straßenhändlern belagert und penetrant dazu aufgefordert irgendwelchen Schrott zu kaufen. Der Lockspruch ist „Two T-Shirts one dollar“, was mich ein wenig traurig macht, denn wenn diese Straßenhändler bei einem Dollar für zwei T-Shirts noch Gewinn machen, was bekommen dann wohl diejenigen, die die T-Shirts herstellen und bedrucken? Und wo versackt die Differenz zwischen diesem Preis und dem deutschen Preis? Natürlich kenne ich die Antworten, aber in dem Moment zählt das nicht. Ein wenig beruhigt bin ich, als ich später von Mitreisenden erfahre, dass das wirklich nur ein Lockspruch war und das T-Shirt im Endeffekt vierzig Yuan kostete, was in etwa (je nach Wechselkurs) sechs Euro sind. Aber dafür gab es dann ein schönes T-Shirt mit der Aufschrift „I climbed the Great Wall“.
Ach ja, bevor das hier jetzt untergeht: Auf die Mauer laufen wir ja auch noch. Mein lieber Herr Gesangsverein, ich sitze gerade im Bus auf der Rückfahrt von Mutianyu nach Beijing und fühle spüre meine Beine nicht mehr. Da ist einfach nur dieser unbeschreibliche Schmerz und ich werde mich heute wohl bei meinen Beinen und Füßen mittels einer ausgiebigen Massage entschuldigen müssen. Es ist mir auch nicht peinlich zu berichten, dass ich auf der Mauer schlapp gemacht habe. Die letzten fünf Stufen des Hinwegs hat mich Julia hochgezogen, weil ich faktisch auf der Treppe lag. Dafür bedanke ich mich bei Julia und ernenne sie zum Held des Tages.
Schön ist auch das Wetter, denn dadurch, dass es total neblig ist, werden wir nicht von der Landschaft abgelenkt. Es gibt nur uns und die Mauer und es hat fast schon etwas gespenstisches, die Mauer im dichten Nebel verschwinden zu sehen. Aber Stonehenge wirkt ja im dichten Nebel auch viel mystischer als bei klarem Himmel und Sonnenschein, von daher passt das für mich schon. Und auf den letzten Metern des Rückweges werden auch die übrigen entschädigt, denn der Nebel lichtet sich ein kleines bisschen und gibt ein wenig den Blick frei auf die Wälder und das Tal.
Der Rückweg von der Seilbahn zum Bus ist eigentlich identisch mit dem Hinweg: Genau die gleichen Händler, genau der gleiche Schrott, genau das gleiche penetrante Verhalten. Einziger Unterschied: Die Laufrichtung und somit die Reihenfolge der Läden ist entgegengesetzt dem Hinweg.
Die neunzigminütige Rückfahrt nach Beijing verläuft so ruhig wie kaum eine andere Fahrt bisher: Wäre da nicht das Röhren des Motors und die verzweifelten Hilfeschreie des Getriebes (die Gänge werden ohne Treten des Kupplungspedals reingeprügelt), könnte man eine Stecknadel fallen hören. Ein Großteil der Mitreisenden schöpft neue Kraft für den Rest des Tages: Wir haben einen halben Tag frei und somit zum ersten Mal die Gelegenheit, Beijing auf eigene Faust zu erkunden, fernab jeglicher Sehenswürdigkeiten dem Kapitalismus frönen und shoppen bis der Arzt kommt. Meine Damen und Herren, auch ich klinke mich jetzt aus und werde ein paar Minuten schlafen, denn gleich möchte ich fit sein.
Bei Euch ist es jetzt 7:15h, ich wünsche Euch einen wunderschönen Montag!

****Nachtrag****
Der Rest des Tages darf nicht unerwähnt bleiben:
Nach einer kurzen Verschnaufpause fahre ich mit Jan in die Innenstadt um mir ein wenig das Beijing abseits jeglicher Tempel und sonstiger Besichtigung zu erkunden. Auf der Rückfahrt mit dem Bus zum Hotel sind wir durch eine Straße mit vielen kleinen Geschäften gefahren und wir beschließen, dass wir uns diese einmal genauer anschauen wollen. Der Taxifahrer kann kein Englisch (so wie eigentlich überhaupt niemand in Beijing Englisch spricht) und so bringen wir ihm gestikulierend bei, dass er eigentlich nur die Straße runter fahren muss bis wir „Stop“ rufen. Gut, ich muss zugeben: Das hat jetzt gar nicht so gut funktioniert. Er biegt irgendwo ab, so dass wir keine Ahnung mehr haben wo wir sind. Daher lassen wir uns so lange mit dem Taxi durch die Stadt kutschieren, bis wir anhand von Reiseführer und Stadtplan wissen, wo wir denn eigentlich nun genau hinwollen. Das ist wahre Dekadenz: Ins Taxi einsteigen und dann überlegen wo man hin will.
Nach einer gefühlten halben Stunde haben wir unser Ziel gefunden. Ein Abgleich des momentanen Standortes mit der Karte ergibt, dass wir uns ganz rechts oben befinden, das Hotel liegt ziemlich in der Mitte, unser gewünschtes Ziel links unten auf der Karte. Das bedeutet folgendes: (1) wir sind ca. eine gefühlte halbe Stunde genau in die falsche Richtung gefahren (worden). (2) Wir befinden uns nun genau am anderen Ende von Beijing. (3) Das ist uns egal, denn auf dem Taxameter stehen erst umgerechnet 3,50€.
Irgendwann während der Fahrt steigen wir dann an einer roten Ampel mitten auf einer vierspurigen Straße aus, der Fahrer schaut uns irritiert an, wir drücken ihm den Fahrpreis und ein unverschämt hohes Trinkgeld in die Hand und kämpfen uns durch die Automassen.
Nach einem ausgiebigen Spaziergang kommen wir an einer der vielen Garküchen vorbei und beschließen, einfach mal alles zu probieren, was es dort gibt.
Das lukullische Erlebnis rangiert irgendwo zwischen „ausgezeichnet“ und „mir kommt da grade ein bisschen Kotze hoch“, mit einem starken Schwerpunkt auf „kann man das wirklich essen?“.
Eine kleine Auswahl an Beispielen: Die Hackfleischspieße gehörten zur ersten Kategorie, die Nieren zur zweiten. Der Oktopus ist der dritten Kategorie zugeordnet und die frittierten Küken (mit Kopf!) verbinden Kategorie zwei und drei. Das war schätzungsweise das Schlimmste, was ich seit langem gegessen habe…
Nach einem kurzen Abstecher ins Hotel fahren wir an einen kleinen See innerhalb der Stadt. Dieser liegt innerhalb der Baihai-Parks und es ist brechend voll, denn hier den Abend zu verbringen gilt wohl als hip. Auf dem See fahren Leute Tretboot, die Restaurants ringsum sind gut besucht. Das hier geplante Abendessen fällt aus, da wir das anvisierte Lokal nicht finden, daher wird daraus ein Drink, dann sind wir auch schon wieder weg, weil einige noch vor 23.00h ihre Koffer vor die Zimmertür stellen müssen.
Das hängt damit zusammen, dass wir bereits um 6.30h das Hotel Richtung Flughafen verlassen, denn es geht weiter nach Shanghai. Jan und ich streifen noch durch die Stadt, der restliche Abend ist größtenteils unspektakulär (mal abgesehen davon, das vier Prostituierte mit ihm auf Tuchfühlung gehen). Mein persönliches Highlight es Abends ist: „You look like my next boyfriend“ (Sagte eine „käufliche Dame“ zu Jan).
Als wir im Hotel ankommen, ist es bereits wieder 1:30h, was diesmal umso grausamer ist, als der Weckruf bereits um 5:15h erfolgen wird. Na dann mal Prost!
Da dies der letzte Abend in Beijing ist, wird es Zeit für ein Zwischenfazit.


Fazit Beijing
Mit über 14 Millionen Einwohnern ist Beijing wohl ein Vorzeigebeispiel fpr das, was man als Megametropole bezeichnet. Die Stadt wird bestimmt durch die Nord.Süd-Achse, entlang derer sich touristisch wie national bedeutsame Objekte wie der Tian’anmen-Plaz. der Kaiserplatz und die Olympiabauten aufreihen. 
Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir einen guten Einblick in die chinesische Kultur bekommen haben, leider ist das „weltliche“ Beijing für mich ein wenig zu kurz gekommen. Durch unseren spontanen Trip durch die Hutongs (ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob der Begriff „Slums“ hier treffend ist, doch handelt es sich um einfachste Häuser ohne Küche und sanitäre Einrichtungen) haben Jan und ich dennoch einen Einblick in das einfache Leben der Menschen fern abseits des touristischen Beijing bekommen.
Für ausgiebiges Shopping blieb leider keine Zeit, doch das werden wir am letzten Tag unserer Reise ausgiebig nachholen.
Ein Besuch in Beijing ist definitiv ein prägendes Erlebnis, doch wohnen möchte ich hier nicht.
Die Stadt an sich ist zu unübersichtlich und die englische Sprache ist den meisten unbekannt, was vor allem das Taxifahren zu einer Herausforderung macht.
Es mag sich blöd anhören, doch sind wir hier als absolute Analphabeten unterwegs, weder der Schrift noch der gesprochenen Sprache mächtig. Da sich dies uneingeschränkt auf jedes weitere Land übertragen lässt, ist auch dies eine wertvolle Erfahrung…


 

5. Tag, Dienstag, 18.05.2010

BEIJING – SHANGHAI
Morgens Flug nach Shanghai, Chinas Tor zur Welt am Huangpu-Fluss. In der Nanjing Road flaniert Shanghai – und Sie sind mittendrin. An der Uferpromenade, dem Bund, prächtige Kolonialbauten und lebhafter Schiffsverkehr. Gegenüber im Stadtteil Pudong hat sich die Sonderwirtschaftszone zu einem Brutkasten für Wolkenkratzer entwickelt. Wollen Sie nach dem Walk durch die Megametropole mal nach oben fallen? Bei gutem Wetter können Sie sich fast mit Fallgeschwindigkeit in den 88. Stock des Jin Mao Tower liften lassen. Und wer sich da noch nicht am futuristischen Fassadenwald sattgesehen hat, kommt am Abend noch mal mit durch den Neondschungel der Nanjing Road zu einer Night-Cruise – Shanghai als Nachtstadt ist schlichtweg der Hammer! Zwei Übernachtungen.

Beijing
Da möchte ich nicht lange drum herum reden: Der Weckruf war menschenverachtend grausam. Ich habe geschlagene fünf Minuten versucht ihn zu ignorieren, aber wenn sich ein Chinese einmal etwas in seinen kleinen Kopf gesetzt hat, dann zieht er das auch eiskalt durch. Irgendwann habe ich dann doch den Hörer abgehoben, bloß um meine Ruhe zu haben. Das nächste, was ich bewusst wahrnehme, ist, dass ich in der Sicherheitskontrolle des Flughafens stehe und mein Rucksack nach dem Röntgen rausgezogen wird. Dabei lerne ich, dass Rasierschaum wohl eine schwere Waffe ist und abgegeben werden muss.

Shanghai
Ich habe ein Déjà-Vu: Da die Hotelzimmer möglicherweise noch nicht fertig sind, beschließt die Reiseleiterin, dass wir nicht ins Hotel fahren sondern sofort mit dem Programm beginnen.
Nach einem kurzen Volksaufstand gibt sie sich geschlagen und jetzt sitzen wir im Bus auf dem Weg ins Hotel.
Die Sicht ist stark eingeschränkt, mehr als die erste Häuserzeile links und rechts der Autobahn ist nicht drin. Ich bin mir noch nicht sicher, ob das alles Smog ist oder nicht. Die Luftfeuchtigkeit ist der Hammer, ich fühle mich wie Bangkok; es ist einfach nur drückend schwül…
Im Hotel haben wir eine Pause um uns ein bisschen frisch zu machen. Gegenüber des Hotels gibt es einen Starbucks und ich stürme sofort diesen Laden. Leider ist der Kaffee hier genauso schlecht wie im Starbucks in Beijing. Nach einem kurzen Streifzug durch das Viertel muss ich auch schon wieder zum Hotel zurück, denn der Bus bringt uns zum Bund, der prachtvollen Uferpromenade von Shanghai. Von hier hat man einen guten Blick auf die Skyline von Pudong. Da wir aber auch die Skyline von Shanghai bewundern wollen, setzen wir mit der Fähre über. Der Bus bringt uns von dort aus wieder ins Hotel; das dieser Ausflug auch zu Fuß locker zu realisieren gewesen wäre, sei einmal als These in den Raum gestellt.
Es scheint, als hätten Jan und ich unser letztes Garküchen-Erlebnis bereits erfoolgreich verdrängt, denn es verschlägt uns auf die Flaniermeile, in der Hoffnung dort etwas Essbares zu finden.
Aus aktuellem Anlass werde ich nun also die Kategorien von gestern noch einmal heranziehen und ergänzen: Der Kategorie 3 füge ich noch den frittierten Kuheuter hinzu, den wir heute „genossen“ haben, obwohl ich ernsthaft überlege, dafür eine vierte Kategorie („so schlimm, dass es nicht mehr in Kategorie 3 passt“, alternativ auch „wurde anscheinend schon einmal gegessen, sieht auch so aus“) zu eröffnen.
Gottseidank schließt sich unmittelbar daran das Highlight des heutigen Tages an: Der River-Cruise. Bei Dunkelheit fahren wir mit einem kleinen Boot über den Fluß durch das hellerleuchtete Shanghai. Die Aussicht ist beeindruckend, denn China liefert ein selbstbewusstes Bild ab. In der Nacht treffen Sozialismus und Kapitalismus aufeinander, die Stadt ist auf Außenwirkung bedacht. Sämtliche Gebäude sind hell erleuchtet und wir kommen zu dem Schluss, dass eine Reduzierung auf die Hälfte des Aufwands dem Ergebnis keinen Abbruch getan hätte…
Den Abend lassen wir gemütlich ausklingen. Geplant haben wir ein Abendessen in der Altstadt Shanghais, leider sind dort bereits alle Lichter aus und die Lokale geschlossen. Für eine Pseudo-Weltstadt wie Shanghai finde ich das doch sehr ungewöhnlich.
Das Leben konzentriert sich somit auf die Hotel-Bars und wir besuchen eine Bar, die eine Aussicht über das nächtliche Shanghei bietet.
Ausklingen lassen wir den Abend in der „Red Bar“, einer Bar im siebten Stock eines Bürogebäudes direkt an am Bund,  wo auch nachts um 1.30h noch der Bär los ist.
Sympathischerweise gibt es morgen keinen Weckruf, was uns dazu verleitet, den Abend noch ein wenig auszudehnen.

6. Tag, Mittwoch, 19.05.2010

Shanghai
Freizeit in Shanghai! Durchstreifen Sie die Altstadt oder gleich ins Shanghai Museum, wo chinesische Kunst aller Zeiten gehortet wird. Wollen Sie wissen, wie das Feng-Shui der Hochhausarchitekten aussieht? In der Stadtplanungsausstellung kommen die Modellbauer mit dem Nachbasteln der Veränderungen kaum noch nach. Oder lieber mit Ihrem Scout auf einen Vormittagstrip zum Wasserdorf Zhujiajiao? Mörtellos gebaute Brücken bieten ein außerordentlich fotogenes Ambiente aus der Zeit der Ming-Dynastie. Am Abend die Qual der Wahl: In einer Zirkusshow Tellerakrobaten bestaunen oder schauen, was in den angesagten Restaurants im In-Viertel Xintiandi auf dem Teller landet? Oder auf einen Drink ins Grand Hyatt, das höchste Hotel der Welt, oder ins legendäre Peace Hotel?

Der Weckruf wäre doch eine geniale Lösung gewesen. Abfahrt ist planmäßig um zehn Uhr, wann wird Roman wach? Um 9:45h. Na super, das Frühstück ist damit wohl gelaufen. Ich springe unter die Dusche und stehe um 9:55h am Ausgang bereit. Unsere Reiseleiterin hat mich wohl beim Frühstück schon vermisst, nur kurze Zeit, nachdem sie mich gesehen hat, drückt sie mir ein Lunchpaket in die Hand. Da war ich ihr echt dankbar, denn das kann ich gut gebrauchen…
Es geht pünktlich los, vor uns liegt eine Fahrt von 65 Kilometern, also ungefähr eine Stunde. Das Ziel ist die Wasserstadt Zhujiajiao, eine uralte Handelsstadt vor den Toren Shanghais.
Ich habe gestern Abend kurzzeitig überlegt, diesen Ausflug auszulassen, um mir stattdessen Shanghai noch einmal auf eigene Faust anzusehen. Da wir aber morgen noch ein paar Stunden Freizeit haben, bin auch ich bei dem Ausflug dabei.
Leider habe ich in Geschichte nicht besonders gut aufgepasst, aber da die Gebäude in der Stadt teilweise 400 bis 500 Jahre alt sind, müssten sie aus einer Ming-Dynastie stammen. Die Häuser sind in ihrer Form sehr ungewöhnlich: Die Fronten sind oft nur wenige Meter breit, dafür erstreckt sich das Haus in die Tiefe über 30-40 Meter. Leider ist sonst nicht viel über die Stadt zu sagen: Es sieht aus wie Klein-Venedig, denn alles spielt sich entlang mehrerer Kanäle ab, die alle in einen See münden. Über den Kanal sind viele alte und eine sehr alte Brücken gebaut, teilweise ohne Mörtel. Einziger Unterschied zu Venedig: Es stinkt nicht so sehr (wenn man mal von diesem typisch-penetranten Essensgeruch absieht, der überall da wahrnehmbar ist, wo Chinesen kochen, doch den nehme ich kaum noch wahr).
Sonst ist über das Dorf nicht viel zu sagen. Wir machen eine kleine Bootstour und schauen uns die Gebäude von der Wasserseite an. Anschließend wechseln wir die Seiten und flanieren durch die engen Gassen. Ich finde es wahnsinnig störend, dass man an keinem dieser Geschäfte (und davon gibt es auf der 1,5 Kilometer langen Straße ungelogen über 750 Stück) vorbeigehen kann, ohne dass einer der Händler uns irgendwelchen Schrott andrehen möchte. In einigen der Läden wird aber auch solide Handwerkskunst verkauft, dass sei der Fairness halber an dieser Stelle erwähnt.
Als wir aus Zhujiajiao zurückkehren, ist es schon 14.00 Uhr, wir haben den Rest des Tages frei.
Als letzte Amtshandlung des Tages fahren wir daher auf den Jin Bao Tower. Von der 88. Etage aus soll man einen tollen Blick über Shanghai haben. Hätte man bestimmt auch, wenn die Luft nicht derart dreckig wäre, dass bereits die Sicht auf das benachbarte Hochhaus stark eingeschränkt ist. Was allerdings wahnsinnig beeindruckend ist, ist der Blick in das Grand Marriott Hotel.
Diese ist in den Etagen 53 bis 87 beheimatet und verfügt über ein offenes Atrium, dass von Etage 56 bis 87 reicht. Damit hat die Lobby eine Deckenhöhe von gigantischen 152 Metern bei einem Durchmesser von 27 Metern. Die Zimmer sind übrigens kreisförmig um das Atrium herum angeordnet.
Von der Aussichtsplattform im 88. Stock hat man einen beeindruckenden (weil nicht durch Smog getrübten) Blick auf dieses Bauwerk.

In einer Zirkusshow Tellerakrobaten bestaunen muss ich jetzt nicht, das kann ich auch in Deutschland in einem Zirkus. Abgesehen wäre die Vorstellung von 19.30 bis 21.00 Uhr, was bedeutet, dass der Abend dann gelaufen wäre, denn die Geschäfte machen meist um 21.00 Uhr zu (zumindest die staatlichen) und es ist erfahrungsgemäß schwierig, dann noch etwas zu essen zu bekommen, denn der Chinese isst bereits vor 20.00 Uhr zu Abend. Was in den angesagten Restaurants im In-Viertel Xintiandi auf dem Teller landet muss ich auch nicht sehen, denn mein Bedarf an Überraschungen in Bezug auf das Essen ist aufgrund der Erfahrungen der letzten Tage, besonders nach dem frittierten Kuheiter, den ich gestern „genießen“ durfte, erst einmal gedeckt.
Ich fahre also zunächst nach Pudong, dort steht die größte Shoppingmall Chinas, und kämpfe mich anschließend mit dem Taxi quer durch die Stadt an den östlichen Stadtrand, denn dort gibt es das erlesenste Teegeschäft der Stadt.
Den Abend lassen wir zu sechst in einem netten thailändischen Restaurant bei ausgezeichnetem Essen ausklingen.

7. Tag, Donnerstag, 20.05.2010

SHANGHAI – WUHAN
Noch ein freier Vormittag in Shanghai, zum Shoppen oder für einen Bummel über das Gelände der Expo (geöffnet 1.5.-31.10.). Mittags geht’s mit bis zu 300 Sachen im Hochgeschwindigkeitszug nach Wuhan. Nach so viel Tempo kommt Ihnen die Gelegenheit zu einem geruhsamen Spaziergang auf Wuhans Yangze-Promenade sicher nicht ungelegen.

Als hätten wir nicht damit gerechnet: Der freie Vormittag ist uns gestern Abend gestrichen worden. Der Zug fährt schon gegen neun Uhr morgens ab, was wohl bedeutet, dass wir verdammt früh aufstehen müssten, wollten wir noch einen freien Morgen in der Stadt genießen. Fraglich ist auch, ob das Expo-Gelände um diese Uhrzeit (also gegen sechs Uhr morgens) schon geöffnet ist. Ich gehe nicht davon aus…

Um 5:45h klingelt mein Wecker. Da wir wenigstens noch etwas von Shanghai sehen wollen, haben wir uns für 6:00h verabredet. Unser Weg führt uns auf den Bund, die Uferpromenade. Dort lassen alte Männer Drachen steigen und Gruppen von Leuten machen zusammen Tai Chi. Für uns ist das ein gelungener Start in den Tag, den Morgen mit Frühsport zu beginnen, auch wenn wir streng genommen ja nur zuschauen.

Der Bus fährt pünktlich 7 Minuten zu spät ab, denn obwohl es im Hotel vier Aufzüge gibt, schaffen wir es nicht pünktlich zum Bus. Die Chinesen sind wie wilde Tiere, wenn es um die Futteraufnahme geht. Jegliche Höflichkeit (wenn vorhanden) wird über Bord geworfen, plötzlich passen in den Aufzug auch doppelt so viele Leute, die Hauptsache ist, dass man schnell beim Frühstück ist. Hier versagt der Kommunismus und der Kapitalismus siegt, denn obwohl es Frühstück für alle gibt (Kommunismus), ist sich in dem Moment doch jeder selbst der Nächste (Kapitalismus).
Geschlagene 15 Minuten benötige ich daher, um vom 9. Stock in die Lobby zu kommen. Wenigstens bin ich nicht der Einzige mit diesem Problem, es kommen noch Gruppenmitglieder nach mir aus dem Lift.

Nun sitzen wir mittlerweile im Schnellzug auf dem Weg nach Wuhan. Es ist 11.00h und wir haben noch etwa fünfeinhalb Stunden Fahrt vor uns…

Wir erreichen pünktlich den Bahnhof von Wuhan. Die Fahrt war rasant, aber auch eindrucksvoll. Mit bis zu 250 km/h sind wir an privat betriebenen Feldern vorbeigerast. Diese Felder werden von der Regierung an Privatpersonen verpachtet, was diese damit machen, ist ihnen selbst überlassen. Wir sehen größtenteils Reis- und Gemüsefelder, ich bilde mir ein, zwischendurch auch das ein oder andere Mohnfeld gesehen zu haben.

Heute haben wir kein Programm, so dass wir direkt nach dem Abendessen in das Holiday Inn Riverside Wuhan einchecken und den Rest des Abends uns selbst überlassen sind. So ganz korrekt ist das allerdings nicht, denn wir streifen noch über einen typischen Markt, auf dem von Gemüse bis zu lebenden Hühnern und Gänsen alles verkauft wird. Die Hallen sind voll von Menschen, die Stände sind auf engstem Raum aufgebaut. Ein Hauch von Basar liegt in der Luft und wir bekommen einen Eindruck davon, wo und wie die Chinesen ihre Lebensmittel einkaufen.

Nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, ziehen Jan und ich los um die Stadt zu erkunden.
Was uns direkt bei der Ankunft aufgefallen ist, zieht sich den ganzen Abend über durch: Zwar fahren auch hier die Chinesen wie die gesengte Sau, doch wird nur sehr wenig bis gar nicht gehupt. Es herrscht schon fast eine gespenstische Stille in dieser Stadt. Auch frage ich mich, ob man hier überhaupt von einer Stadt sprechen kann, ist Wuhan doch mit knapp neun Millionen Einwohnern die mit Abstand kleinste Menschenansammlung auf unserer bisherigen Reise.
Dass wir hier fernab der westlich geprägten Welt sind, merken wir auch daran, dass die bereits in Peking und Shanghai kaum vorhandenen Englischkenntnisse hier noch einmal drastisch reduziert sind. Keines der Geschäfte ist in englischer Sprache beschriftet und unser Ziel erreichen wir auch nur deshalb, weil uns der Concierge im Hotel unser Ziel mit chinesischen Schriftzeichen aufgeschrieben hat.
Wir halten dem erstbesten Taxifahrer diesen Zettel unter die Nase und landen mitten in der Einkaufsstraße Wuhans. Hier pulsiert das Leben und wieder einmal fallen wir unfreiwillig auf, denn wir die einzigen Langnasen weit und breit. Wo sich die anderen Langnasen versteckt haben, wissen wir nicht, doch laut unserem Reiseführer leben in dieser 9-Millionen-Metropole cirka 30 Deutsche und 700 Franzosen. Dennoch sind wir Exoten, denn wir erkunden das „Hinterland“, also die kleinen Gassen abseits der belebten Einkaufsstraßen.
Auf dem Weg dorthin werde ich an einem Stand beinahe schwach, denn dort werden T-Shirts der weltberühmten italienischen Designer Golce&Dabbana angepriesen, die nach Aussage der Händler nicht nur preiswert sind, sondern sogar „better than original“. Ach so!
Den Abend lassen wir bei einem Kronenbourg 1664 im hoteleigenen Irish Pub ausklingen und ich mache mir schon fast Sorgen um meine Kondition, denn es ist gerade einmal 00:20h, als ich auf mein Zimmer gehe. Voller Vorfreude warte ich nun also auf den Weckruf um 8.00h.
Normalerweise würde ich ja jetzt sagen „Gute Nacht Deutschland“, da es bei Euch aber erst 18:23h ist, wünsche ich Euch noch einen schönen Abend!

8. Tag, Freitag, 21.05.2010

WUHAN – YICHANG
City-Tour in der Yangze-Metropole: Ihr Scout zeigt Ihnen den Turm des Gelben Kranichs und den Guiyuan-Tempel. Nachmittags per Bus durch die Yangze-Ebene und Stopp in Shashi mit seiner imposanten Stadtmauer. In Yichang erwartet Sie am Abend Ihr Flusskreuzfahrtschiff. Vier Übernachtungen an Bord.

Ni hao! Pünktlich um 8.00 Uhr klingelt das Telefon. Heute bekomme ich den Weckruf bewusst mit, denn ich bin bereits eine halbe Stunde wach. Der Koffer ist auch gepackt und ich warte darauf, dass der Page ihn abholt und zum Bus bringt. Um 8.15h steht er vor der Tür und ich kann beruhigt zum Frühstück gehen.
Auch wenn wir erst gestern hier angekommen sind, so endet unser Aufenthalt in Wuhan heute schon wieder. Nach dem Frühstück geht es los auf den Schlangenberg, auf dem der berühmte Turm des Gelben Kranichs steht. Laut Reiseführer hat man von ihm aus einen tollen Ausblick auf den Yangze, was ich aber nicht bestätigen kann: Es regnet in Strömen, doch selbst bei gutem Wetter wage ich die Behauptung anzuzweifeln, denn in allen Städten, die wir bisher besucht haben, war die Luft so dreckig, dass die Sicht dadurch sehr stark eingeschränkt war.
Um die Yangze-Blick tut es mir auch deshalb nicht leid, weil wir heute abend auf dem Kreuzfahrtschiff einchecken und von da an drei Tage und vier Nächte eine wundervolle Aussicht auf den Yangze haben werden.
Der Turm an sich hat dadurch Berühmtheit erlangt, dass er bereits mehrfach zerstört und komplett wieder aufgebaut wurde, zuletzt 1985. Beherrscht wird das Turminnere durch ein riesiges Relief, dass den Turm zeigt und einen darüber fliegenden Kranich.
Unser nächstes Ziel ist das Kloster Guiyuan Si, das vor 300 Jahren am Ort eines alten Gartens errichtet wurde. Es gilt als das schönste Kloster Wuhans, und zumindest was den Tempel angeht, kann ich das bestätigen. Er kommt in keinster Weise an die prunk- und prachtvollen buddhistischen Tempel Thailands heran, aber für chinesische Verhältnisse ist er recht schön. Beeindruckend ist die Halle der fünfhundert vergoldeten Luohan, mit deren Hilfe der Besucher seine Zukunft und sein Schicksal erfahren kann. Es funktioniert so, dass der Besucher an den fünfhundert Luohan entlang schreitet und irgendwann bei einer beliebigen Figur anfängt zu zählen. Dann zählt er so viele Louhan ab, wie er alt ist (also läuft ein fünfundzwanzigjähriger bis zum fünfundzwanzigsten Luohan. Jeder Luohan hat einen charakteristischen Gesichtsausdruck, der schon einmal erahnen lässt, wie die Geschichte ausgeht. Des Weiteren ist jedem Luohan eine Zahl zugordnet, meine ist die dreiundzwanzig. In einem kleinen Kiosk neben dem Tempel kann man dann für zehn Yuan eine Bronzeplakette erwerben, die eine Kopie aus dem Buch der Deutungen darstellt. Die drei Euro ist mir der Spaß wert. Leider ist die Plakette auf chinesisch beschriftet. Der lokale Reiseleiter versucht zwar mir zu erklären, was der Inhalt ist, leider scheitert mein Verständnis aber an der Sprachbarriere. Ich werde während der nächsten Tage noch einmal unsere Reiseleiterin fragen. Das Ergebnis kann ich allerdings bereits jetzt erahnen: Ich wette, dass ich in meinem vorherigen Leben ein Edelmann war oder mindestens ein reicher, guter Mann. Kein Wahrsager würde jemals zu jemandem sagen, dass er in seinem vorherigen Leben ein Bettler war oder ein Tyrann. Dennoch bin ich bereit mich überraschen zu lassen.
Was folgt, ist eine fünfstündige Busfahrt nach Yishang, denn der Besuch in Shashi mit Besichtigung der Stadtmauer fällt aus wegen ist nicht.
Gegen 16:30 Uhr kommen wir am Kreuzfahrtschiff an. Es ist erstaunlich leer auf dem Kai, woher das kommt, erfahren wir später: Außer unserer Gruppe ist nur noch eine einzige Gruppe eingebucht, so dass wir mit dreißig Gästen auf einem Schiff unterwegs sein werden, dass für ungefähr zweihundert Gäste ausgelegt ist. Bei einer Besatzungsstärke von 106 Personen ist das ein guter Schnitt, denn das Verhältnis Besatzung zu Gästen liegt bei 3,54. Ich habe das leichte Gefühl, dass wir die nächsten Tage behandelt werden wie Könige.
Den Rest des Abends verbringen wir mit einer Schiffsführung und einem anschließenden Beisammensein in der Bar. Ungewöhnlich früh löst sich die Gruppe um 22:30 Uhr auf. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass um 6:50 Uhr der Weckruf erschallen wird…

9. Tag, Sa, 22.05.2010

YANGZE-KREUZFAHRT TAG 1

Der heutige Tag steht vollkommen im Zeichen des Staudamms, schon früh machen wir uns auf den Weg. Seit gestern habe ich das Gefühl, die Welt ginge unter, denn es regnet in Strömen und ohne Unterlass. Als wir beim ‚Staudamm ankommen, hat sich das Wetter gebessert und wir haben einen tollen Ausblick auf dieses gigantische Bauwerk.
Auch wenn es nur schwer auszumalen ist, so bekommt man hier doch einen Eindruck davon, was Menschen hier geschaffen und angerichtet haben…


Exkurs Yangze-Staudamm
Der berühmte Yangze-Staudamm liegt nahe der Stadt Handouping. Erste Erwähnung findet er bereits in Unterlagen aus dem Jahr 1918, als Sun Yat-sen eine Skizze für eine Staudammkonstruktion vorlegte. 1955 gab es die erste intensive Analyse des Yangze-Gebietes in Verbindung mit einer Designstudie, die den Beginn des Drei-Schluchten-Programms einläutete. Es dauerte dennoch noch bis zum Jahr 1970, um die ersten Tests zu beenden und das Projekt zu genehmigen. Vom Parlament angenommen wurde die Bauresolution im Jahr 1992 und fünf Jahre später begannen die ersten Maßnahmen den Fluß zu stauen. Die Stauung war 2003 abgeschlossen: Das Reservoir nahm seine Funktion auf und der erste Generator wurde in Betrieb genommen. Die vorläufige Wasserhöhe von 172 Metern wurde im November 2008 erreicht.
Somit stand der erste Punkt einer langen Liste von Superlativen fest: Das Drei-Schluchten-Projekt hat die längste Periode gemessen von ersten Vorüberlegungen bis zur endgültigen Fertigstellung.
Durch dieses Projekt ist es möglich eine Wassermenge von 22,15 Milliarden Kubikmetern zu kontrollieren. Werden alle Schleusen geöffnet, so fließen in einer einzigen Sekunde 100.000 Kubikmeter.
Für die Schifffahrt ist die Schleusenanlage von großer Bedeutung. Es handelt sich um das weltweit größte Schleusensystem in einem Binnengewässer: Schiffe mit einem Gewicht von bis zu 16.000 Tonnen können über das zweispurige System in fünf Stufen 113 Meter nach oben bzw. unten befördert werden.
Die Konsequenzen sind unabsehbar:
Bisher haben über 1,3 Millionen Menschen ihre Heimat verloren und wurden zwangsumgesiedelt. Diese Zahl wird bis zum Jahr 2020 noch erheblich steigen, da rings um die Schleusenanlage das Erdreich aufweicht und somit in absehbarer Zeit abrutschen wird.
Im Rahmen des Projektes wurden Kulturgüter und -schätze von unermesslichem Wert zerstört, denn tausende Städte und Dörfer fielen den Fluten zum Opfer.
Ich frage mich, was eigentlich passiert, wenn der Damm bricht? Auch wenn das Projekt noch so gut durchgeplant und die Verarbeitung des Materials noch so akkurat erfolgt ist, so kann kein Ingenieur die Konsequenzen von Naturkatastrophen wie zum Beispiel Erdbeben verhindern. Neuesten Studien zufolge würden in einem solchen Fall bis zu 130 Millionen Chinesen (und damit immerhin zehn Prozent der Gesamtbevölkerung) dieser Katastrophe zum Opfer fallen.


Der weitere Tag verläuft ereignislos: Aufgrund technischer Probleme an der Schleuse verzögert sich die Abfahrt um drei Stunden, um die Zeit aufzuholen, werden wir wohl auch über Nacht fahren müssen. Normalerweise fährt das Schiff ausschließlich über Tag und liegt nachts irgendwo vor Anker. Für uns bedeutet das teils unerträgliches Warten, denn wir können wirklich absolut nichts machen, das Schiff dürfen wir nicht verlassen. Andererseits ist das nach dem doch sehr aufregenden und stressigen Programm der letzten Tage auch schon wieder eine willkommene Erholung.
Kurz vor der Abenddämmerung ist es dann endlich soweit: Wir sehen vor uns die gigantische Schleuse. Pro Schleuse werden wir dreißig Minuten benötigen, mit den üblichen Verzögerungen brauchen wir für die fünf Stufen etwas über drei Stunden. Meine Gefühle zu beschreiben ist unmöglich, denn durch diese Schleuse zu fahren ist ein gigantisches Erlebnis. Heute morgen haben wir die Schleuse noch von außen besichtigt, nun sind wir mitten drin. Wow!