Kategorie: deep insight.

6. Tag, Montag, 06.11.2017: RIVER KWAI – Mit Bambusflößen auf dem Fluss

Der Vormittag ist frei. Die Aktiven unter uns kommen mit zur Monkey-Swing-Tour im Tree Top Adventure Park: ein Hochseilgarten mit Ziplines durch die Baumkronen. Hier werden wir zum Affen – ganz freiwillig. Nachmittags treffen wir uns alle zur Kanutour auf dem River Kwai, und anschließend entern wir Bambusflöße und bestaunen das Panorama der dicht bewaldeten Flussufer zwischen den Bergen. Noch ein Abstecher zu Fledermäusen & Co. in der Lawahöhle – dann genießen wir den Abend wieder im Schein der Öllampen unseres stimmungsvollen Floßhotels.

„Die Aktiven unter uns…“ – als ich das lese, kann ich nur müde lächeln. Müde im wahrsten Sinne des Wortes. Also drehe ich mich noch einmal um in meinem Bett und versuche noch eine Runde zu schlafen. Das ist aus mehreren Gründen eher schwierig. Erstens: Die Wände zwischen den Zimmern sind aus Bambusmatten, somit kann ich also alle Geräusche vom ganzen Hotel hören. Zweitens: Seit etwa sieben Uhr brettern die Langschwanzboote wie die Bekloppten an uns vorbei und jedes der Boote sorgt dafür, dass das ganze Hotel noch mehrere Minuten später anständig schwankt. Aufgrund meiner Segelerfahrung habe ich da eigentlich kein Problem, aber in einem aus Bambus zusammengezimmerten Hotel liegend ist das schon etwas anderes.

Nachdem es hier wirklich überhaupt nichts gibt, verbringen wir den Vormittag halt damit nichts zu tun. Die Aktiven – es waren in der Früh derer acht – sind bereits um kurz nach sieben aufgebrochen, der Rest von uns liegt faul in der Gegend herum.

Insgesamt finde ich, dass das hier auch mal eine wichtige Erfahrung ist: Die Flusswasserdusche heißt nicht ohne Grund so, denn das Wasser kommt direkt aus dem Fluss, womit auch schon geklärt ist, dass das Wasser ar***kalt ist. Den morgendlichen Blick auf mein Handy kann ich mir sparen, da ich sowieso bereits vor meinem Wecker wach bin und es auch kein Internet gibt, das mich in Bezug auf Nachrichtenmeldungen auf den neuesten Stand bringen könnte. Abgesehen davon ist die oberste Devise: Strom sparen, den Steckdosen gibt es logischerweise immer noch nicht.

So verlauft der Morgen ereignislos, das Highlight ist, dass wir uns irgendwann Kanutour-taugliche Kleidung anziehen.

Am Nachmittag werden wir mit Langschwanzbooten abgeholt und fahren etwa zwanzig Minuten stromaufwärts. Die Aussicht, die sich uns bietet, ist unbezahlbar: Die Landschaft scheint einer anderen Welt entsprungen zu sein, fast könnte man der Illusion erliegen, dass hier noch alles vollkommen ursprünglich und unberührt ist. Lediglich die in unregelmäßigen Abständen am Ufer vertäuten Floßhotels trüben dieses Bild, aber ansonsten ist die Illusion beinahe perfekt.

Hinter einer Flußbiegung können wir am Ufer die Kanus entdecken und je näher wir ihnen können, desto mehr Angst habe ich um mein Leben. Die einen sagen zu dem, was meine Augen erblicken, „Kanu“, ich würde es eher als „Schwimmkörper aus Hartplastik“ bezeichnen. Dann denke ich mir jedoch, dass Andere diese Tour (hoffentlich) auch schon unternommen und (noch wichtiger:) überlebt haben, zwänge mich in die ebenfalls wenig vertrauenerweckende Schwimmweste, ziehe das Kanu ins Wasser und dann geht es auch schon los: Nadine sitzt vorne, ich hinten. Den Platz habe ich mir mit voller Absicht ausgesucht: Ich dachte halt, wenn sie vorne sitzt, merkt sich nicht, dass ich nicht mitpaddle. Weit gefehlt! Wir legen uns also ordentlich ins Zeug, überzeugen dabei definitiv nicht mit Schnelligkeit, aber auf jeden Fall mit Stil. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie das Kanu von Marcus und Jürgen gefährlich nah ans Ufer gerät, und zwar nicht an einen Strand, sondern volle Fahrt auf einen ins Wasser hineinragenden Baum zu. Dann wird es plötzlich hektisch:

*Achtung, pass auf!* *paddel* *paddel* *krach* *schepper* *Mist!* *paddel* *paddel* *Verdammt, meine Brille!* *paddel**paddel* *Hilfe!*

So in etwa könnte die Szene in einem Drehbuch dargestellt sein, der Titel würde lauten „Die Brille, die die Freiheit suchte – ein Drama in einem Akt“. Das Stück geht nicht gut aus, die Protagonisten (Jürgen und seine Brille) beschließen am Ende künftig getrennte Wege zu gehen, sie haben sich einfach auseinander gelebt. Wir würdigen Jürgens Brille mit einer Schweigeminute, dann müssen wir aber aber leider – getrieben von der Hektik des Lebens und der Vergänglichkeit des Seins (dramatisches Szenario) beziehungsweise getrieben von der Strömung des Flusses (realistisches Szenario) – weiter unseren Weg gehen beziehungsweise paddeln.

Auch wenn ich gerne noch viel mehr Zeit in diesem Kanu verbracht und die Aussicht genossen hätte, kommt irgendwann der Punkt, an dem wir die Kanus verlassen und auf Floße umsteigen. Den Rest der Zeit lassen wir uns einfach von der Strömung treiben, teils auf dem Floß sitzend, teils mit unseren Schwimmwesten auf der Wasseroberfläche liegend. Nun bekomme ich doch ein bißchen Vertrauen zu meiner Schwimmweste, denn sie macht einen wirklich guten Job.

Die ein oder andere Rangelei gehört natürlich auch dazu und nachdem wir gelernt haben, dass es unmöglich ist jemanden unterzutauchen, der eine Schwimmweste trägt, verlagern wir unsere Aktivitäten in Richtung Floßeroberung. Das Prinzip ist ganz einfach: Über eine Badeleiter wird möglichst unauffällig auf das Floß geklettert und anschließend versucht sich bereits dort befindende Personen ins Wasser zu befördern. Während ich mir dieses Schauspiel einige Zeit aus der Froschperspektive anschaue, bedauere ich es keine Kamera mitgenommen zu haben: Dieses Schauspiel wäre jeder Episode von Takeshi’s Castle weit überlegen gewesen.

Als wir sowieso schon fix und fertig sind von dieser Anstrengung erreichen wir unseren Zielort, von dem aus wir mit Motorbooten zurück zum Floßhotel transportiert werden. Dort gehe ich zuallererst auf mein Zimmer und stelle mich unter die Dusche. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle ja schreiben: „[…] und genieße ein langes und ausgiebiges Bad unter der heißen Dusche“. Aber heißes Wasser gibt es ja nicht, das hatte ich nur bereits wieder verdrängt. Dementsprechend ist es auch ein äußerst kurzes Vergnügen. Erst als ich mich abtrockne, werde ich mir des Umstands bewusst, dass ich mir die Dusche auch hätte sparen können, denn in dem gleichen Wasser, das aus meiner Dusche kommt, bin ich bereits den gesamten Tag über geschwommen – ich habe ja eine Flusswasserdusche!

Abgesehen davon, dass Bengi den Ausflug zur Lawa-Höhle überhaupt nicht vorschlägt, wären wir wohl auch alle viel zu erschlagen vom heutigen Tag. Diesen lassen wir daher lieber – nun, da es eh bereits beginnt zu dämmern, bei einem gemütlichen Beisammensein und der ein oder anderen Kiste Flasche Hong Thong ausklingen.

Es wurde Abend, es wurde Morgen, ein neuer Tag!

5. Tag, Sonntag, 05.11.2017: BANGKOK – RIVER KWAI: Der Dschungel ruft

Aufbruch zum großen Overlandtrip nach Süden. Das Landleben beginnt schon kurz hinter Bangkok: In Samut Songkhram findet der Markt auf den Bahngleisen statt – wenn nicht gerade ein Zug durchrauscht… In Trishaws und Langschwanzbooten durch das Gewusel eines Schwimmenden Marktes schlängeln und gleich danach im Khanon-Tempel traditionelles Schattenpuppentheater erleben. Und dann mit Bus und Boot weiter zum absoluten Kontrastprogramm: zwei Übernachtungen auf einem schwimmenden Floßhotel. Flusswasserdusche, Kerzenschein und Dschungelsound inklusive – Regenwaldromantik!

Viel zu früh klingelt der Wecker, immerhin bin ich doch gerade erst ins Bett gefallen. Aber es hilft alles nicht, ich schwanke ins Bad, mache mich fertig, packe meinen Rucksack, gehe zum Frühstück und dann geht es auch schon los: Wir verlassen das turbulente Bangkok und als wir die letzten Häuser der Stadt hinter uns lassen, werde ich doch ein wenig wehmütig. Eines ist mir jetzt schon klar: Ich komme wieder! Auf der anderen Seite freue ich mich aber auch auf das, was vor uns liegt, denn heute werden wir über mehrere Stationen zum River Kwai fahren. Während der Fahrt habe ich Zeit mich mit einigen Fakten über Bangkok zu befassen.

Exkurs Bangkok

Von 1438 bis 1767 war Ayutthaya die Hauptstadt Siams, wurde jedoch in diesem Jahr von den Burmesen buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht. König Rama I. zog mit seinen Gefolgsleuten nach Thonburi und ließ sich dort nieder. An dieser Stelle wurde ein Tempel gebaut, der den Namen Wat Arun trägt. Thonburi war somit nach Ayutthaya die dritte Hauptstadt Siams (Die erste war Sukhothai von 1238 bis 1438). Erst fünfzehn Jahre später, im Jahr 1782, beschloss Rama I., seinen Wohnsitz auf die andere Flussseite zu verlegen, da sein aktueller Wohnort bei den ständigen Hochwassern immer wieder geflutet wurde und er somit einen Großteil seiner Zeit damit beschäftigt gewesen sein dürfte seine Parkettböden neu zu versiegeln. Sein Favorit war dabei ein Stück Land, auf dem blöderweise bereits die Chinesen ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Diese wurden davon überzeugt, dass sie gerne freiwillig zu Gunsten des Königs umziehen möchten und wurden auf das Stück Land umgesiedelt, auf dem sich noch heute der Stadtteil Chinatown befindet. Somit wurde Bangkok die vierte Hauptstadt Siams.

Aus einer fixen Idee Rama I. ist mittlerweile eine Stadt geworden, die etwa 2.000 Quadratkilometer Platz einnimmt und nach offiziellen Angaben ca. 8,5 Millionen Menschen beherbergt. Im realen Leben ist diese Zahl allerdings weit von der Realität entfernt: Konservativen Schätzungen zu Folge sind es eher zwischen zehn und zwölf Millionen Menschen, denn die vielen Migranten aus anderen Regionen des Landes (vor allem aus dem bettelarmen Nordosten) sind nicht offiziell registriert. Rechnet man nun noch die Pendler hinzu, die jeden Tag zur Arbeit nach Bangkok fahren, reden wir wohl realistisch über etwa 15 Millionen Menschen, die sich tagtäglich in dieser Stadt tummeln.

„Bangkok“ heißt auf deutsch „Dorf der Oliven“, was ich persönlich erstaunlich finde, denn es gibt hier jede Menge Palmen, aber keine Olivenbäume. Ich vermute mal, dass das noch auf die Zeit zurückgeht, als die chinesischen Händler hier noch ihre Zollstation hatten, aber ich weiß es nicht.

Der offizielle Name von Bangkok lautet übrigens Krung Thep Mahanakhon, was „die große Stadt der Engel“ heißt und im Sprachgebrauch oft zu Krung Thep verkürzt wird. Noch kurioser ist aber der vollständige Name der Stadt, der lautet nämlich„Krungthep-mahanakhorn-bowornrattanakosinthara-mahintarayutthaya-mahadilokpop-noppharatchathani-burirom-udomratchaniwet-sanamahasthan-amonphimanawatanansathit-Vishnukamprasit“.

An diesem Punkt stellt sich mir die Frage, warum dieser Name nicht offiziell verwendet wird bzw. warum man sich mit so etwas simplem wie „Bangkok“ zufrieden gibt. Hier einige meiner Thesen:

1.) Es gibt keine Visitenkarten im Format DIN A4 (die man wohl bräuchte, wollte man denn den Ortsnamen abdrucken).

2.) Die Antwort auf die Frage nach der Herkunft („ich komme aus Krungthep-[blablubb]-Vishnukamprasit“) würde den Fragenden unweigerlich einschläfern.

3.) Weil man den Ortsnamen als Autofahrer nicht komplett auf Verkehrsschildern lesen kann (es sei denn, man bringt das Fahrzeug zum Stillstand, aber wer macht das schon auf der Autobahn?)

4.) Weil es sich einfach sch$&%e anhört.

Unser nächster Zwischenstopp, Samut Songkhram, ist ein Ort, den ich bereits mehrfach in einer Galileo-Dokumentation gesehen habe (Die Dokumentation war jedes Mal die gleiche, aber Pro7 ist ja allgemein bekannt dafür, ebenso wie N24, eine Dokumentation gefühlte eintausend Mal zu wiederholen.) Mit jedem Mal sah das Bild verrückter aus: Ein Markt mitten auf den Bahnschienen. Als wir den Ort erreichen, bin ich zunächst verwundert, denn wir stehen vor massiv gebauten Markthallen und das passt nicht zu dem Bild, das ich im Vorfeld hatte.

In den Hallen geht es turbulent zu: Auf einfachen Tischen, die oft nur aus einem Holzbrett auf mehreren Plastikkisten besteht, werden die unterschiedlichsten Waren feilgeboten. Von Fisch über Fleisch, Dekorationsartikel, Haushaltswaren bis hin zu Obst und Gemüse. Heute sehe ich Obstsorten, von deren Existenz ich nicht einmal wusste. Zwischen den Ständen tummeln sich die Menschen, es wird begutachtet, diskutiert, verkostet, bewertet, gehandelt, und zwischen all dem können wir in unregelmäßigen Abständen dumpfe Schläge vernehmen. Was das ist, sehe ich kurz darauf und im gleichen Moment wünsche ich mir, ich hätte einfach in eine andere Richtung geschaut: Zwischen den Ständen werden auf dem nackten (dreckigen) Asphalt Tiere geschlachtet und ausgenommen, das Fleisch im Anschluss direkt in eine Plastiktüte verpackt und dem Käufer übergeben oder alternativ fachgerecht ungekühlt bei 35°C auf den Holzplatten gelagert.

Nur weil wir das so aus unserem täglichen Leben nicht gewohnt sind, heißt das nicht, dass es so nicht auch funktionieren kann. Insofern nehme ich diese Arbeitsweise hin und laufe weiter in Richtung Ausgang.

Dort bietet sich uns ein wildes Bild: Ich vermute, dass innerhalb der Markthallen Standmieten bezahlt werden müssen und außerhalb nicht. Nur so erklärt sich mir, warum hier draußen jeder Quadratmillimeter mit Waren bedeckt ist – neben den Gleisen, zwischen den Gleisen und auch auf den Gleisen. Um sich gegen die Sonne und gegebenenfalls auch gegen Regen schützen zu können, haben die Händler mit zwei Stöcken und einer Plane eine provisorische Überdachung über ihre Stände gebaut. Warum provisorisch? Das wird sich uns in wenigen Minuten erschließen. Zunächst führt Bengi uns zu einem kleinen Café direkt an den Gleisen, wo wir uns für ein paar Minuten hinsetzen und unsere erste Kokosnuss genießen. Der Schatten und die Stühle sind zwei Elemente, die wir dankbar bis zur letzten Sekunde ausnutzen. An der Wand ist der Zugfahrplan aufgemalt: Es gibt drei Fahrten pro Tag; da wir uns an der Endstation befinden und es sich dabei um einen Kopfbahnhof handelt, fährt der Zug zwanzig Minuten später wieder an uns vorbei, wenn der den Bahnhof verlässt.

Kurz vor der Zeit, die auf der Tafel angeschrieben ist, kommt Bewegung in den Markt. Es ist keine Hektik, jeder Handgriff sitzt, als die Händler an ihren Ständen die Holzstangen aus dem Boden lösen und die Planen einholen. Optisch sieht das aus, als ginge eine langsame Laola-Welle durch die Gasse. Mehr machen die Händler aber auch nicht, ihre Waren lassen sie an Ort und Stelle stehen, auf zwischen den Gleissträngen. Man sieht dabei aber, dass sie das nicht zum ersten Mal machen, denn die Waren sind nur auf etwa vierzig Zentimeter Höhe aufgetürmt, so dass der Zug darüber fahren kann, ohne dass etwas beschädigt wird oder eine Konstruktion zusammenbricht.

Dann kommt der Zug unter lautem und konstantem Hupen angerollt, mit einer Geschwindigkeit, die man nicht einmal als Schrittgeschwindigkeit bezeichnen kann. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass der Zug durch die Erdbeschleunigung vorangetragen wird. Dementsprechend dauert es auch eine Ewigkeit, bis der gesamte Zug an uns vorbeigefahren ist. Hinter dem Zug arbeitet sich die Laola-Welle wieder durch den Markt, diesmal in entgegengesetzter Richtung – die Marktstände werden wieder aufgebaut.

Wir haben nun etwa zwanzig Minuten Zeit uns noch ein wenig im Viertel umzuschauen, wir nutzen die Zeit und suchen einen Supermarkt um Tigerbalsam zu kaufen. Als wir wieder im Café sind, erzählt uns Bengi, dass der Zugfahrer bei der Einfahrt in den Bahnhof hier beim Besitzer einen Kaffee bestellt hat. Ich halte das zunächst für einen Witz, bekomme aber kurz darauf zwei Becher Frappée in die Hand gedrückt und finde mich auf einem kleinen Hocker direkt am Bahngleis wieder. Nach ein paar Minuten werden wieder die Markisen abgebaut, wir hören ein lautes Hupen und kurze Zeit später kommt der Zug gemächlich angerollt. Gleich neben mir macht er einen außerplanmäßigen Halt, ich drücke dem Zugfahrer die Getränke in die Hand, das Gefährt setzt sich wieder in Bewegung und die Markisen werden wieder aufgebaut. Ein faszinierendes Schauspiel, das sich heute noch zwei Mal wiederholen wird. Wir allerdings haben nun genug gesehen und begeben uns auf dem kürzesten Weg zurück zum Bus.

Kurz nachdem wir losgefahren sind, erreichen wir mit Damnoen Saduak auch schon das nächste Kuriosum thailändischer Shoppingkultur: Am Ufer eines Flusses stehen bereits Ruderboote bereit, die uns ein Gefühl von Venedig vermitteln. Wir steigen ein, die Bootsführerin fängt an zu rudern, das Boot setzt sich in Bewegung und bleibt nach wenigen Metern mit einem deutlich vernehmbaren „tock“ stehen – wir haben das von uns befindliche Ruderboot gerammt. Allerdings trifft uns keine Schuld, denn das Boot vor uns hat stillgestanden – ein Stau hat sich im ohnehin dichten Verkehr auf dem Fluss gebildet. Links und rechts von uns sind kleine Stände aufgebaut, in denen die Händler ihre Ware feilbieten, mitten im Getümmel der Boote kommen uns weitere Händler auf Booten entgegen, die gebratene Fleischspieße, Klebreis und Obst verkaufen – shoppen macht bekanntlich hungrig!

Als Controller, der tagtäglich mit Prozessanalyse und -optimierung beschäftigt ist, fällt mir natürlich direkt der Haken am Konzept dieses Marktes auf: Die Fahrwege sind so eng bemessen, dass zwei Boote kaum neben einander passen, dass uns dann noch Boote entgegen kommen, macht die Sache nicht besser. Wenn nun also jemand etwas Interessantes in einem der Läden entdeckt, ist es natürlich nicht damit getan einfach daraufzuzeigen und Ware gegen Geld zu tauschen. Findet man übrigens etwas in einem Laden auf der anderen Seite des Flusses, kann man sich durch Rufen bemerkbar machen, die Personen im Nachbarboot, das sich zwischen Käufer und Laden befindet, helfen dann gerne bei Geld- und Warentransfer. Das kritische Element ist aber das Handeln: Ohne geht es einfach nicht, weil die Preise hemmungslos überteuert sind und die Händler damit rechnen, dass gehandelt wird. Nun wäre es – klarer Fall – eine unverzeihliche Beleidigung des Händlers, einfach direkt den ausgerufenen Preis zu akzeptieren und den Prozess der Preisverhandlung zu überspringen. Andererseits hat das wiederum zur Folge, dass alle nachfolgenden Boote so lange warten müssen, bis eine Einigung erzielt und der Kaufvorgang abgeschlossen wurde. Das erklärt nun also den Stau, in dem wir stehen.

Obwohl eigentlich alle Stände mehr oder weniger den gleichen Schrott die gleichen Waren anbieten, fällt doch recht schnell auf, dass unsere Bootsführerin an manchen Stellen schneller vorbeifährt, dafür an anderen Ständen aber eine Erholungspause zu machen scheint. Ich vermute ja, dass jeder der Bootsführer, die hier unterwegs sind, mindestens einen Verwandten hat, der einen solchen Laden führt und man sich so auf dem Fluss die Kundschaft zwischen den Familien aufteilt. Auch wenn ich – selbst bei näherer Betrachtung – nie im Leben auf die Idee gekommen wäre hier etwas zu kaufen, macht die Fahrt über den Schwimmenden Markt sehr viel Spaß und ich bin froh das einmal erlebt zu haben.

Von den Ruderbooten steigen wir um in Landschwanzboote, statt mit Muskelkraft geht es nun also mit der Unterstützung überdimensionaler LKW-Motoren, die zu einem Schiffsantrieb umfunktioniert wurden, weiter. Den Schwimmenden Markt hinter uns lassend biegen wir an einer unscheinbaren Kreuzung zweier Wasserstraßen ab und sind plötzlich ganz alleine (soweit man bei vier Booten von „ganz alleine“ sprechen kann). Auch wenn es nur etwa eine Dreiviertelstunde dauert, so fahren wir nun gefühlt mehrere Stunden über Kanäle durch eine Waldlandschaft, in der links und rechts am Ufer Wohnhäuser errichtet wurden. Jedes Haus verfügt über eine eigene aus Brettern und Seilen zusammengezimmerte Schiffshebeanlage, bei der der deutsche TÜV-Prüfer spontan einen Herzinfarkt bekäme, da sie garantiert gegen mehrere Dutzend Vorschriften verstößt, aber sie scheinen offenbar ihren Zweck zu erfüllen. Natürlich verfügt auch jedes Haus über ein Haus für den Grundstücksgeist. Erschreckenderweise ist manches Geisterhaus in einem deutlich besseren Zustand als das Wohnhaus selbst. Generell bekomme ich den Eindruck, dass einfach gewartet wird, bis ein Haus komplett wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt, dann werden die Trümmer beiseite geschafft, einmal durchgefeudelt und anschließend ein neues Haus gebaut. Bei dem ein oder anderen Grundstück kann das allerdings nicht mehr lange dauern…

Am Zielort angekommen wartet bereits unser Busfahrer auf uns, wir steigen ein und fahren zum Khanon-Tempel, in dem es ein kleines Museum zum traditionellen Schattenpuppentheater gibt. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Bengi einige Anekdoten der thailändischen Sagenwelt, wenn ich das richtig verstanden habe, geht es in allen Geschichten um Neid, Missgunst, Mord und Totschlag. Ein paar Götter, die schlichtend mitwirken, sind allerdings auch dabei, so dass am Ende (natürlich!) alles gut wird. Ehrlich gesagt hatte ich aufgrund der Beschreibung von Marco Polo erwartet, dass wir eine Vorführung besuchen und uns die von Bengi erzählte Geschichte nun als Schattenpuppentheater anschauen können. Pustekuchen! Wir können uns lediglich die aus Wasserbüffelleder hergestellten Schablonen anschauen, zu denen dann jeweils ein erklärender Text geliefert wird. Das Interesse der Gruppe ist dementsprechend nach wenigen Minuten erschöpft und wir begeben uns nach einem Besuch im Glückshaus (die thailändische Bezeichnung für Toilette) zurück zum Bus.

Das Hotel, in dem wir die nächsten zwei Nächte verbringen, ist ein schwimmendes Floßhotel, dass nur vom Wasser aus zu erreichen ist. Daher lassen wir nach einer etwas längeren Fahrt den Bus zurück und steigen auf Langschwanzboote um, die uns nach einer etwas zwanzigminütigen Fahrt am Hotel absetzen.

Im Vorfeld ist bereits innerhalb der Gruppe wild über dieses Hotel spekuliert worden, die Prognosen bezüglich der Elektrizitätslage siedelten irgendwo zwischen „Nachts stellen die den Strom ab“ und „Es gibt überhaupt keinen Strom“. Vor Ort stellt sich schnell heraus, dass Letzteres der Fall ist: Es gibt keinen Strom. Das Gute daran ist: In den Doppelzimmern gibt es keinen Streit um die generell in den Hotels sparsam verbaute(n) Steckdose(n) (meistens gibt es nämlich nur eine einzige Dose im Zimmer). Das weniger Gute: Einige der Damen bekommen schon jetzt Panik, weil sie sich so die Haare nicht föhnen können. Merke: Glätteisen funktionieren ohne Strom auch nicht. Ich mache mir lediglich Sorgen wegen der Regenwasserduschen und als ich es unmittelbar nach Bezug meines Zimmers ausprobiere, werden meine schlimmen Befürchtungen bestätigt: Das Wasser ist kalt. Nicht kühl, sondern ar***kalt.

Eine Felswand mit Bambusstäben abstützen – das nenne ich mal Optimismus… Gesehen im Mon-Dorf nahe des Floßhotels.

Eine Regenwasserdusche halt. Ich möchte meinen Rucksack auspacken und mich gemütlich einrichten, dafür suche ich reflexartig mit meiner Hand den Lichtschalter an der Wand und greife ins Leere. Logisch: Wenn es keinen Strom gibt, gibt es auch kein Licht. „Mist“, denke ich mir, öffne die Zimmertür, schnappe mir die Kerosinlampe, die vor jedem Zimmer auf dem Fußboden steht, und hänge sie in meinem Zimmer an den dafür vorgesehenen Haken. Das kann ja heiter werden! Wir sind auf einem Floß mitten in der Pampa, ohne Strom und Licht. Um herauszufinden, was man hier unternehmen kann (immerhin sind wir ja zwei Nächte hier), suche ich mein Handy, tippe den Hotelnamen und das Wort „activities“ ein, drücke die Enter-Taste und es tut sich … nichts. Logisch: Wenn es keinen Strom gibt, gibt es auch kein WLAN. Das kann ja heiter werden!

Vom Floß führt ein schmaler aus Bambusstäben zusammengebundener Steg ans Ufer. Dort soll – laut einer Information am Schwarzen Bett ein Mon-Dorf liegen, in dem die Hotelangestellten wohnen. Da es sich bei den Mon um ein Bergvolk handelt, das noch recht ursprünglich leben soll, möchte ich mir das natürlich einmal anschauen. Da die anderen (logischerweise) nichts großartig Anderes zu tun haben, bildet sich schnell ein kleines Grüppchen, das sich in Richtung des Dorfes bewegt. Was wir dort sehen, bestätigt meine Erwartungen: Kleine einfache Bambushütten, die sich entlang es schmalen Trampelpfades aufreihen, vor einer Hütte entdecke ich ein Solarpanel, ansonsten gibt es auch hier weder Strom noch fließendes Wasser, geschweige denn eine Kanalisation. Dafür verfügt das Dorf aber über eine eigene Schule, ein Elefanten-Camp mit zwei Tieren, eine überraschend große und dadurch beeindruckende Tempelanlage und eine Buddha-Höhle. Vom Gesamteindruck her könnte das Dorf locker als Kulisse für einen neuen Mel Gibson-Film dienen, die Requisiteure könnten im Vorfeld Urlaub nehmen, denn man müsste nichts ändern. Während wir durch das Dorf schlendern, erzählen wir uns gegenseitig Anekdoten aus Horrorfilmen, die wir gesehen haben und ich nehme mir fest vor, heute Abend meine Zimmertür gut abzuschließen. Sicher ist sicher.

Am Abend sitzen wir urgemütlich und todromantisch bei Kerzen- und Kerosinlampenschein (Strom gibt es ja nicht und damit auch keine Beleuchtung) und lassen den Abend feucht-fröhlich ausklingen. Nach und nach nimmt sich jeder seine Zimmerlampe und begibt sich ins Bett.

Es wurde Abend, es wurde Morgen. Ein neuer Tag!

4. Tag, Samstag, 04.11.2017: BANGKOK – Freizeit oder Ausflug

Ein freier Tag in der Hauptstadt. Oder mit Bengi auf einen Ausflug zu den beeindruckenden Tempelruinen der früheren Hauptstadt Ayutthaya. Und sich am Samstagabend ins Nachtleben stürzen? Klar – wir sind schließlich in Bangkok! Vom Streetfood-Dinner auf Plastikstühlen in den Gassen von Chinatown bis zum Clubbing in Südostasiens angesagtesten Locations ist hier alles möglich.

Ich bezichtige meinen Wecker lauthals – und mit wilden Beschimpfungen, die ich hier nicht wiederholen möchte – der Lüge als er klingelt, denn ich bin erst vor gefühlten fünf Minuten ins Bett gefallen. Innerhalb dieser fünf Minuten müssen aber auch diverse Tuk-Tuks über mein Bett gefahren sein, denn ich fühle mich wie gerädert. Aber alles Jammern hilft nichts: Ich habe mich für den Ausflug nach Ayutthaya angemeldet, also muss ich da jetzt auch durch. Während der Busfahrt merke ich, dass es den anderen genauso geht wie mir, nie zuvor ist es während einer Busfahrt so still gewesen.

Ich nutze die Ruhe um mich vorab schon mal ein wenig zu informieren, dann kann ich vor Ort vielleicht die ein oder andere mentale Auszeit nehmen.

Exkurs Ayutthaya: Geschichte

Wie wir bereits im Exkurs zu Bangkok gelernt haben, war Ayutthaya die zweite Hauptstadt Siams (1438-1767).

Die Stadt muss einmal sehr beeindruckend gewesen sein. Im 15. Jahrhundert war Ayutthaya größer als Paris oder London, um 1685 lebten in dieser Stadt mehr als eine Million Menschen. Überlieferungen zufolge waren europäische Besucher im 18. Jahrhundert überwältigt vom Glanz der Stadt und behaupteten nie etwas Ebenbürtiges gesehen zu haben, die Stadt wurde wegen ihres von prachtvollen Häusern und Palästen gesäumten Kanalsystems mit Venedig verglichen. Das war allerdings spätestens 1767 vorbei, als die Burmesen die Schwärmereien satt waren, vor Neid grün angelaufen mal kurz in Ayutthaya vorbeischauten und dabei die Stadt niedermähten: Tempel wurden zerstört, Kunstschätze von unschätzbarem Wert gingen für immer verloren; die Stadt wurde buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht.

Vor einigen Jahren drohte die UNESCO, Ayutthaya den Status als Weltkulturerbe zu entziehen, wenn die Anlagen und Ruinen nicht besser gepflegt würden. Seitdem wird zumindest versucht, dem Verfall entgegenzuwirken.

Bereits wenige Kilometer jenseits der Stadtgrenzen von Bangkok eröffnet sich uns ein ganz anderes Thailand: Im Gegensatz zur Hektik der Großstadt scheint hier die Zeit stillzustehen, in der schier unendlichen Weite liegen versprengt einzelne Häuser, ab und zu taucht ein Dorf vor uns auf.

In Ayutthaya merken wir jedoch bereits bei Verlassen des Busses, dass sich eines nicht geändert hat: Das Klima. Die Luftfeuchte ist nach wie vor pervers, zusätzlich ist die Temperatur sprunghaft gestiegen. Die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel und wir haben das Gefühl bei lebendigem Leib gegrillt zu werden.

Ich kann mir vorstellen, dass Ayutthaya einmal eine beeindruckende Stadt gewesen sein muss, die Umrisse der Tempel sind stille Zeugen. Die Tempel in Thailand sind abgesehen vom Fundament komplett aus Holz gebaut und die Burmesen haben bei der Zerstörung der Stadt ganze Arbeit geleistet. Außer ein paar Steinhaufen ist daher leider nicht mehr viel zu sehen und welcher Steinhaufen einmal zu welchem Tempel gehört hat, kann ich auch nicht sagen.

In Ayutthaya angekommen laufen wir zum Wat Phra Si Sanphet, dem ehemals größten Wat der damaligen Hauptstadt. Mittlerweile ist die Anlage erstauntlich gepflegt, die Drohungen der UNESCO scheinen gefruchtet zu haben. An einigen Stellen werden derzeit rekonstruierte Strukturen wieder aufgebaut, aber insgesamt kann man wohl sagen: Wer auch immer in den vergangenen Jahrhunderten hier durchgepflügt ist, hat nicht einen Stein auf dem anderen gelassen.Von diesem Wat sind – abgesehen von drei Chedis – nur noch die Grundmauern erhalten, was aber völlig ausreicht um erahnen zu können, wie prunkvoll diese Stadt einmal gewesen sein muss.

Außer den Chedis sind lediglich noch eine Handvoll Buddhastatuen stehengeblieben, die eindrucksvollste davon ist sicherlich die 19 Meter hohe Statue im Wat Phanan Choeng, die von vielen kleineren Buddha-Figuren umrahmt und noch heute von vielen Thai verehrt wird.

Ich muss gestehen, dass ich irgendwann auch gar nicht mehr mitbekomme, wann und wo welcher Wat aufhört und der nächste beginnt, die Übergange sind praktisch fließend. Ansonsten verweise ich auf meinen Ayutthaya-Besuch im Jahr 2009.

Nun, da wir das heutige Pflichtprogramm hinter uns gebracht haben, habe ich noch drei Punkte auf meiner persönlichen Agenda: Ich möchte den Erawan-Schrein sehen, ich MUSS noch einmal auf die Khao San Road. Mit leerem Magen dürfte das allerdings ein eher kurzes Vergnügen werden, daher möchte ich vorher noch nach Chinatown.

In unserer Whatsapp-Gruppe schreibe ich meinen Plan und gebe Bescheid, dass jeder, der um 19:30h in der Lobby ist, herzlich eingeladen ist mich zu begleiten. Die verbleibende Zeit nutze ich um mich noch ein wenig frisch zu machen.

Als ich dann zur besagten Zeit die Lobby betrete, erwartet mich dort eine große Menschentraube: Tatsächlich ist die gesamte Reisegruppe erschienen. Einige möchten direkt nach Chinatown, ich verabrede mich mit ihnen um 21:00h am Chinatown Gate und ziehe mit den anderen los zur Hochbahnstation. Da wir mittlerweile echte Profis sind, läuft alles glatt und ehe wir uns versehen, stehen wir auch schon am Erawan-Schrein.

Exkurs: Geisterhaus

Es ginge an der Realität vorbei zu behaupten, dass alle Thai an Geister glauben. Dennoch findet sich vor fast jedem Wohnhaus ein Geisterhaus. Warum? Weil auf jedem Grundstück ein Geist wohnt. Wer also ein Haus baut, muss für den Grundstücksgeist ein neues Domizil errichten um diesen gütig zu stimmen. Und mal ganz ehrlich: Auch wenn ich nicht an Geister glaube, so möchte ich nicht der Einzige sein, der im Nachhinein Ärger mit seinem Grundstücksgeist bekommt.

Als in Bangkoks Innenstadt das Erawan-Hotel von einem ausländischen Konsortium errichtet wurde, haben die verantwortlichen Personen die Geister-Thematik nicht gekannt, vielleicht hat es sie auch nicht interessiert, so dass sie es als Aberglaube abgetan haben. Wie auch immer: Es wurde kein Geisterhaus gebaut. Die Legende besagt, dass es während der Bauarbeiten viele Probleme und auch Unfälle gab. Daraufhin wurde nachträglich ein Haus gebaut, das seither als Erawan-Schrein bekannt ist.

Nun ist es aber nicht damit getan, einfach nur ein kleines Häuschen zu errichten, vielmehr müssen einige Regeln beachtet werden:

Die Lage: Das Geisterhaus muss im Nord-Osten, Osten oder Süden des Grundstücks errichtet werden, und zwar so, dass es nicht durch das Wohnhaus beschattet wird.

Die Höhe: Es muss ein Podest geben, so dass das Haus mindestens auf Augenhöhe ist. Der Geist möchte schließlich beachtet werden.

Die Einrichtung: Ein Geisterhaus sieht meist aus wie ein kleiner buddhistischer Tempel, wobei „klein“ relativ ist: Manches Geisterhaus hat gar die Größe eines kleinen Wohnhauses. Ausgestattet ist es meist mit Opfergaben und magischen Figuren, davor brennen oft Räucherstäbchen.

Die Einweihung: Ein Geisterhaus wird, sobald es fertig gestellt ist, feierlich eingeweiht, denn der Grundstücksgeist möchte schließlich angemessen gewürdigt werden. Die Zeremonie findet an einem astrologisch errechneten Termin statt, jedoch niemals nach 11:00h, damit der Geist anschließend genügend Zeit zum Mittagessen hat. Baut man dem Geist eine schöne Bleibe und zeigt durch Einhaltung der Regeln seinen guten Willen, kann man darauf hoffen, dass der Geist auch für das Wohl des Haushaltes sorgt und Unglücke fernhält.

Der Erawan-Schrein ist das wohl bekannteste Geisterhaus Thailands. Als wir dort eintreffen, ist eine große Party in vollem Gange, eine Musikgruppe spielt traditionelle buddhistische Musik. Die Menschen drängeln sich um den Schrein, alle wollen ihre Opfergaben in den Schrein legen. Offensichtlich sind sie mit ihrem eigenen Grundstücksgeist nicht ausgelastet. Die Luft ist geschwängert von Räucherstäbchen und als ich einmal tief einatme, glaube auch ich den Grundstücksgeist zu sehen. Wir lassen die Atmosphäre einige Minuten auf uns wirken und nutzen die Gelegenheit um ein paar Fotos zu machen, dann brechen wir wieder auf: Wir sind nach einem langen Tag hungrig und können dem Ruf von Chinatown nicht länger widerstehen.

 

Zu Fuß und mit der U-Bahn fahren wir nach Chinatown. Als wir am Chinatown-Gate ankommen ist es bereits 21:15h, aber wir haben auch (ehemalige) Studenten in der Gruppe, die mit dem akademischen Viertel vertraut sind. Sie haben somit am Tor gewartet und wir finden uns auf Anhieb. Nach einem obligatorischen Gruppen-Selfie geht es auch schon los, wir stürmen das Stadtviertel. Hier reiht sich eine Garküche an die andere, ich bin zunächst erschlagen von den vielen verschiedenen Gerüchen. Uns wird bewusst, dass wir schon ziemlich lange nichts mehr gegessen haben und somit begeben wir uns auf die Suche nach einer Lokalität, die es mit zweiundzwanzig hungrigen Mägen aufnehmen kann. In einer Seitenstraße werden wir fündig: Die Garküche gehört einem Franzosen, die Ausstattung ist identisch mit der, die wir am ersten Abend hatten: Plastiktische und -stühle, Plastiktischdecken, Klopapierrollen auf den Tischen dienen als Serviettenersatz. Wir lassen uns nieder und bestellen die Karte einmal quer rauf und wieder runter. Das Essen ist reichlich, preiswert und schmeckt sehr gut. Einige lassen sich von den hygienischen Zuständen verunsichern, aber ich denke mir, dass man damit rechnen muss, dass eine Garküche kein Lebensmittellabor ist. Natürlich werden hier alle Teller mit dem gleichen Wasser gewaschen und die Handtücher, mit denen abgetrocknet wurde, haben auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Aber ich behaupte einfach mal, dass es in manch einem deutschen Restaurant hinter verschlossenen Türen auch nicht anders zu geht. Nur, dass man es da halt nicht sieht. Wie gesagt: Das Essen schmeckt gut, das Bier auch, ich bin zufrieden.

Mit dieser Grundlage im Magen sind wir perfekt vorbereitet für das, was ich meinen Begleitern als nächsten Programmpunkt versprochen habe: Wir setzen uns in Tuk-Tuks und verabreden als Treffpunkt den Burger King an der Khao San Road. (In der Vergangenheit hat sich McDonald’s als böse Falle erwiesen, denn davon gibt es an beiden Enden der Straße je einen).

Was kann ich zu unserer Fahrt schreiben? Die Fahrt ist besser als jede bisher erlebte Achterbahnfahrt: Wer meint, ich würde fahren wie Sau, der hätte das mal miterleben müssen: Wenn beide Fahrspuren verstopft sind, was ist die logische Schlussfolgerung? Richtig: Die Gegenspuren sind noch frei, also benutzen wir doch diese. Wenn Gegenverkehr kommt, können wir immer noch schauen, wer der Stärkere ist (da wir in einem Tuk-Tuk saßen, wäre das im Zweifelsfall sowieso der Gegner gewesen).

Lichtanlagen und Geschwindigkeitsbegrenzungen dienen grundsätzlich nur als Handlungsempfehlung, ich konnte aber leider nicht ermitteln, nach welcher Formel sich die Höchstgeschwindigkeit errechnet. Zwei Vorschläge habe ich jedoch entwickelt:

1.) Höchstgeschwindigkeit = Geschwindigkeitsbegrenzung x Anzahl der Insassen

2.) Höchstgeschwindigkeit = Geschwindigkeitsbegrenzung x Anzahl der Reifen

Des Weiteren konnte ich herausfinden, dass der Wiederverkaufswert eines Fahrzeugs in Thailand deutlich höher ist, wenn die Blinker noch unbenutzt sind. Das muss der Grund sein, weshalb Blinker grundsätzlich nicht benutzt werden.

Zur Khao San Road habe ich ein Versprechen abgegeben, an das ich mich halten werde: Was auf der Khao San Road passiert, bleibt auf der Khao San Road. Was ich aber wohl sagen darf ist, dass wir königlich eskaliert sind und einfach eine verdammt tolle Zeit miteinander gehabt haben. Ich hoffe, dass wir das irgendwann mal wiederholen, gerne auch am gleichen Ort. Jeder, der schon einmal an diesem Ort war, kann wohl nachvollziehen, was wir dort erlebt haben.

Als wir mit dem Tuk-Tuk zum Hotel zurückkommen, ist es schon halb fünf und ich falle glücklich in eine gnädige Ohnmacht.

Es wurde Abend, es wurde Morgen, ein neuer Tag!

3. Tag, Freitag, 03.11.2017: BANGKOK – Stadt der Engel

Frühaufsteher zieht’s in den Lumphini-Park, wo die Bangkoker mit Tai-Chi, Tanz und Yoga den Tag begrüßen. Nach dem Frühstück auf Citytour: per Skytrain und Langschwanzboot zum Klong Bang Luang, dann mit dem Linienschiff über den Chao-Phraya-Fluss zum Wat Pho und seinen Tempeltürmen, zum Königspalast und zum Tempel des Smaragdbuddhas. Anschließend rauschen wir mit dem Linienschiff wieder flussabwärts und heben uns Zeit für die Shoppingtempel der Stadt auf: Siam Paragon, MBK Center oder das Terminal 21 ganz in der Nähe des Hotels – jeder für sich hat seinen Wow-Faktor.

Wer hätte es gedacht: Ich gehe nicht zum Lumphini-Park. Bei der China-Reise bin ich schon einmal um 03:00h in der Früh aufgestanden um auf dem Tinananmen-Platz den Fahnenappell mitzubekommen. Insofern habe ich meine Fähigkeit früh aufstehen zu können bereits unter Beweis gestellt und schlafe heute aus. Der Wecker klingelt um 07:00h, so früh wie sonst nie (nicht mal, wenn ich arbeiten muss). Aber ich habe ja Urlaub, da soll man auch mal verrückte Dinge tun.

Gestern haben wir noch in entspannter Atmosphäre die Benutzung der Skytrain gelernt, da wir aber nicht zum Spaß hier sind, folgt heute die unangekündigte Leistungskontrolle. Wir fahren ein paar Stationen nach Wat Pho, dafür müssen wir sogar einmal umsteigen, was sich leichter anhört als es in der Praxis mit einer 24-köpfigen Gruppe ist. Trotz aller Widrigkeiten erreichen wir vollzählig die Zielstation und laufen noch einige Meter zu unserem ersten Tempel. Ich bin mir aus Erfahrung ziemlich sicher, dass das nicht unser letzter sein wird, aber dieses Exemplar ist schon echt beeindruckend. Warum? Wat Pho ist der älteste Tempel des Landes und zudem auch noch der größte. Für mich als Laien ist das aber beides nicht entscheidend, denn um ehrlich zu sein sehe ich einem Tempel sein Alter nicht an. Wenn ich überlege, ich sollte katholische Kirchen nach diesem Aspekt beurteilen, ich würde fürchterlich scheitern. Das Alter ist es also nicht. Auch die Größe ist eher zweitrangig, denn wenn ich als deutscher Katholik zum ersten Mal seit Langem wieder einen Tempel betrete, sehe ich mich einer totalen Reizüberflutung ausgesetzt:

Aus jedem Winkel blitzt es golden hervor, prächtige Chedis glänzen in der Sonne um die Wette, wobei sie darum konkurrieren, welcher der höchste und imposanteste ist. Selbst Bengi sagt mir, dass das Aussehen des Tempels für ihn nicht das Wichtigste ist. Er geht in den Tempel wegen der Mönche, die er um Ratschläge bittet und die das Bauwerk zu etwas Besonderem machen. Für mich sind Mönche eine beeindruckende Erscheinung, die nicht mit der katholischer Mönche zu vergleichen ist. Es wäre mir beispielsweise neu, dass in Deutschland in öffentlichen Bussen Sitzplätze speziell für Mönche reserviert sind. Für Alte, Kranke und Schwangere, okay. Aber nicht für Mönche. Das zeigt mir den Stellenwert der buddhistischen Mönche in Thailand und sorgt für eine gewisse Aura. Daher würde ich niemals auf die Idee kommen, einen Mönch anzusprechen, mal ganz abgesehen davon, dass der Mönch wohl auch nicht mit mir reden würde. Für Buddhisten wiederum ist das so normal wie es für uns normal ist beim Priester um Rat zu bitten.

Ich merke, ich schweife ab. Also, wirklich beeindruckend ist der Wat Po aufgrund des berühmten „Liegenden Buddha“, einer Statue von 45 Metern Länge und 15 Metern Höhe, die aufgrund ihrer Dimension mit Ach und Krach so gerade in das sie umgebende Gebäude passt. Es wird der auf der rechten Seite liegende Buddha in dem Augenblick dargestellt, in dem er ins Nirvana hinübergeht. Den Ausdruck (speziell den Gesichtsausdruck) dieser Statue zu beschreiben vermag ich nicht, dafür fehlen mir echt die Worte. Bezüglich ihrer optischen Erscheinung sollte noch erwähnt werden, dass die Statue nicht nur komplett mit Blattgold überzogen ist, sondern auf den Fußsohlen zusätzlich 108 Zeichen aufweist, die aus Perlmutt gearbeitet sind und die 108 Zeichen darstellen an denen man einen Buddha erkennt. Der Hinduismus, auf den die Zahl 108 als heilige Zahl zurückgeht, war offensichtlich sehr kreativ, was die Ermittlung dieser Zahl angeht, berechnet sie sich doch wie folgt:

7 Planeten plus 2 Mondphasen multipliziert mit den 12 Tierkreiszeichen ergibt die Zahl 108. Ist eigentlich ziemlich logisch, dass das eine heilige Zahl sein muss…

Vor der beeindruckenden Kulisse des Liegenden Buddha gehen die fast vierhundert kleinen Buddhastatuen fast unter, die in zwei Ringen auf dem Tempelgelände zu finden sind. Sie stammen nicht nur aus den verschiedensten Epochen, sondern auch aus allen Teilen des Landes, von wo aus sie aus den unterschiedlichsten Gründen in den Wat Pho geschafft wurden.

Neben seiner spirituellen Bedeutung fungiert der Wat Pho übrigens noch als Bildungszentrum: Bereits im 16. Jahrhundert, als Wat Pho gegründet wurde, war er Zentrum der Wissenschaft und die wichtigsten Werke der unterschiedlichsten Wissenschaften werden bis heute hier aufbewahrt. Zudem befindet sich hier heute das Zentrum der traditionellen Heilkunst: Etwa 500 anerkannte Ärzte praktizieren hier, die im Bedarfsfall kostenlose Beratungen anbieten, und die berühmteste Akademie für die traditionelle thailändische Massage befindet sich hier. Wer deren Grundtechniken erlernen möchte, kann sich dieses Wissen in Kursen aneignen, die (je nach gewünschter Intensität des Stundenplans) zwischen einer und fünf Wochen dauern. Sollte ich irgendwann einmal nicht wissen, wie ich meinen Urlaub verbringen soll, werde ich auf dieses Angebot zurückkommen.

Für heute haben wir jedoch erst einmal genug vom Wat Pho gesehen, wir laufen zur Skytrain, fahren ein paar Stationen und stehen kurze Zeit später am Ufer des Chao-Phraya, auf dem wir eine Bootstour zum Königspalast unternehmen wollen. Blöderweise hatten so viele andere Menschen die gleiche Idee, dass wir beschließen die Bootsfahrt zu verschieben und mit dem Bus zu unserem Ziel zu fahren. In Augsburg fahre ich häufig Bus und würde mich daher als echten Profi bezeichnen. Daher bin ich ehrlicherweise ein wenig irritiert, als Bengi uns mehrfach darauf hinweist, dass wir unbedingt darauf achten sollen einen Sitzplatz zu ergattern. „Okay“, denke ich mir,“er übertreibt halt ein wenig“. Wir steigen in den Bus ein, die Türen schließen sich, der Busfahrer gibt Gas und ich knalle schon nach wenigen Sekunden volle Kanne mit der Stirn gegen eine Stange vor mir, weil ich die Vollbremsung des Fahrers nicht vorhergesehen habe. Da muss ich echt dran arbeiten, denn in Bangkok läuft das mit dem Verkehr so: Es gibt Ampeln, die leuchten abwechselnd rot, gelb oder grün. Das schafft einfach ein schöneres Stadtbild, denn wenn alle Straßen in einem Einheitsgrau gestaltet wären, sähe das ja schon ein wenig langweilig aus. Eine weitere Funktion haben die Ampeln aber nicht. Okay, manche nutzen die Farben der Anzeige vielleicht als Handlungsempfehlung, ansonsten gilt das Recht des Stärkeren. Oder des Dreisteren, das gilt allerdings nur dann, wenn man in einem Tuk-Tuk unterwegs ist. Das ist zwar schwächer als ein Bus, macht aber trotzdem auf dicke Hose.

Ich darf mich aber nicht beschweren, immerhin habe ich einen Sitzplatz bekommen und bin somit schon mal relativ sicher. Jürgen hat zwar nur einen Stehplatz im Mittelgang ergattern können, kann aber auch ziemlich entspannt sein, da er mit seinen geschätzten 1,80m in einem etwa 1,70 hohen Gang steht und dadurch auch in stehender Position gut eingekeilt ist. Die anderen im Mittelgang sehe ich von Zeit zu Zeit panisch einen Halt suchen. Trotz aller Dramatik macht diese Busfahrt unheimlich viel Spaß und ich würde gerne noch ein paar Stunden einfach immer weiter fahren. Viel zu schnell kommen wir an unserer Zielhaltestelle an.

Wir machen uns auf den Weg zum Palastbezirk. Jetzt wird es richtig dekadent, denn die Königsfamilie verfügt hier über ein Areal von cirka 118.000 Quadratmeter, die Ausstattung ist vom Allerfeinsten: In der Sonne funkelt es von allen Seiten: die Dächer (und auch die Wände) sind mit Gold überzogen. Man zeigt halt, was man hat! Sobald wir die leuchtend weiß gestrichene Außenmauer durchquert haben, steuern wir direkt auf den Wat Phra Kaew zu. Hierbei handelt es sich um das spirituelle Zentrum Thailands, vergleichbar mit Mekka für die Moslems oder Rom für die Katholiken. Der Grund ist recht übersichtlich, im sprichwörtlichen Sinn: Es handelt sich dabei um eine 75cm große, leuchtend grüne und aus einem Stück Jade gehauene Buddhafigur mit einer beeindruckenden Liste von Lebensstationen.

Der Legende nach wurde dieser Smaragdbuddha per Zufall im Jahr 1434 entdeckt, als in Chiang Rai ein Blitz in einen Chedi einschlug und diesen vollständig zerstörte. Zutage befördert wurde dabei ein vergoldeter Gipsbuddha. Durch die Witterung platzte irgendwann der Gips ab und eine wunderschöne grün leuchtende Buddhafigur trat hervor. Wie alt diese nun wirklich ist, ist unbekannt, aber die göttliche Macht, die ihr zugesprochen wurde, sorgte dafür, dass sie in den folgenden Jahrhunderten einige Stationen durchlief. Die Reise ging zunächst von Chiang Rai nach Lampang, wo extra der Wat Kaew Don Tao für die Figur gebaut wurde und in dem sie die nächsten 32 Jahre verbringen sollte. Von dort brachte König Tilok sie nach Chiang Mai, der Wat Chedi Luang wurde erbaut. Weitere Stationen sollten dann noch Luang Prabang und Vientiane sein (hier stand sie 214 Jahre), bis sie schließlich von Rama I. nach Bangkok geholt wurde. Dass das nicht ganz so friedlich verlief, er nämlich im Vorfeld in Vientiane wie ein Berserker gewütet und die Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatte, darüber hüllen wir einmal den Mantel des Schweigens. Erwähnen wir doch lieber noch der Vollständigkeit halber, dass auch in Bangkok für die Statue ein Wat gebaut wurde, nämlich der Wat Phra Kaew, in dem ich gerade stehe.

Leider können wir den Smaragdbuddha heute nicht live erleben, denn das Gebäude, in dem er aufbewahrt wird, ist von einer unfassbar großen Menge an Mönchen belegt, die dort eine Zeremonie feiern. Als sie unter großem Tamtam in einer Prozession nach draußen kommen und sich vor dem Portal für ein Gruppenfoto aufstellen, müssen wir schon weiter, denn wir haben noch einiges vor.

Allerdings weiß ich von meinem letzten Aufenthalt, dass es auch anderweitig schwer gewesen wäre einen Blick auf die Buddhafigur zu werfen, da sie nun wirklich sehr klein ist und unter normalen Umständen hinter einer Wand von chinesischen Selfiesticks verschwindet. Dank der Google-Bildersuche ist es aber ja doch möglich sie zu sehen.

Völlig erschlagen von soviel Prunk und Dekadenz gibt uns Bengi Zeit für ein bißchen Entspannung: Wir fahren erneut zum Fluss und nehmen einen zweiten Anlauf für unsere Fahrt mit dem Langschwanz-Boot über den Chao-Praya-Fluss. Auf dem Weg dorthin kaufen wir uns an einer Garküche noch jeder zwei Fleischspieße und eine kleine Tüte Klebreis für zusammen 30 Baht (das entspricht etwa 75 Cent) oder alternativ gefüllte Dampfnudeln für 18 Baht, womit eine vollwertige Mahlzeit für kleines Geld erworben ist.

Die Bootsfahrt bestätigt meine Erinnerung an meinen letzten Bangkok-Aufenthalt: Das Stadtbild ist extrem abwechslungsreich: prächtige Neubauten wechseln sich mit einsturzgefährdeten oder bereits eingestürzten Holzhütten ab, dazwischen befindet sich irgendwo das repräsentative königliche Dschunkenmuseum. An einer Kreuzung zweier Kanäle müssen wir kurz anlegen und auf die Öffnung der Schleuse warten. Diese war vor einiger Zeit geschlossen worden um das Hochwasser zurückzuhalten, das zur Zeit aus Chiang Mai bis nach Bangkok kommt. Nach ein paar Minuten stellt sich heraus, dass wir hier nicht weiterkommen, denn die Schleuse ist defekt und wir müssen einen größeren Umweg fahren. Kurz überlege ich, wie die Menschen, die jenseits der Schleuse wohnen, wohl mit der Situation umgehen, komme dann zu dem Schluss, dass es sie relativ kalt lassen dürfte, weil das wahrscheinlich des Öfteren passiert. Wir jedenfalls fahren einen größeren Umweg, drehen dann irgendwann um und fahren den gleichen Weg wieder zurück. Dabei sorgt der Fahrer netterweise für Erheiterung der hinteren Reihen, als er eine Welle so elegant anvisiert, dass die ersten drei Reihen anständig nass werden. Aufgrund der Reinheit des Wassers bin ich sehr froh in Reihe vier zu sitzen und von einer Dusche verschont zu bleiben.

Langsam wird es dunkel und wir kehren ins Hotel zurück um uns kurz frisch zu machen. Für den Abend hat Bengi einen Tisch reserviert. Dieser steht im 79. Stockwerk des Bayoke 2 Tower, das mit 304m zur Zeit zweithöchste Gebäude Thailands. Der Preis für das Abendessen ist mit 1.200 Baht für hiesige Verhältnisse unverschämt hoch, weshalb außer dem Personal auch keine Einheimischen zu sehen sind. Dafür gibt es aber ein Buffet, das einmal rund um den Gebäudekern aufgebaut ist und von diversen Currys über thailändische Nudelgerichte und Meeresfrüchte bis hin zu Pommes, Pizza und Burger alles bietet was das Herz begehrt. Nach dem Essen laufen wir vom 79. in den 83. Stock, wo es ein Podest gibt, dass sich um das Gebäude dreht. Die Aussicht ist überwältigend und wir fahren drei Runden auf dem Karussell mit um den Ausblick auf uns wirken zu lassen. Bereits von hier oben können wir den Ort sehen, an dem wir den Rest de Abends verbringen wollen: Ein hell erleuchtetes Riesenrad steht auf einer kleinen Insel im Fluss Dort findet heute Abend das Lichterfest statt, mit dem die Einheimischen das Ende der Regenzeit feiern. „Feiern“ ist gerade im Urlaub immer eine gute Idee, daher machen wir uns alle nach dem Essen pappsatt auf den Weg dorthin. Nachdem wir ja schon fleißig geübt haben, ist das Bahnfahren für uns alle kein Problem mehr. Wir betreten die Bahnstation und ich steuere auf den Ticketschalter zu. Einmal vierundzwanzig Tickets für alle zu kaufen erscheint mir sinnvoll, denn wenn wir uns alle einzeln anstellen dürfte das ewig dauern. Gesagt, getan: Ich kaufe die Tickets, rufe die Gruppe zusammen, sammle das Geld ein, sortiere die gefühlten zwei Kilogramm Münzgeld, falte die Scheine zusammen und verstaue das Geld in meiner Hosentasche.

Wir steigen in die Bahn und fahren zwei Stationen bis zu dem Bahnhof an dem wir umsteigen müssen. Alles läuft glatt, wir wechseln das Bahngleis und in dem Moment, in dem wir in die Anschlussbahn einsteigen, stelle ich fest, dass mein Handy fehlt. Ich bin sofort hellwach, was bei einem plötzlichen Anstieg der Pulsfrequenz auf etwa zweihundert Schläge pro Minute auch kein Wunder ist. Im ersten Moment glaube ich, dass es mir im Getümmel geklaut wurde, Marcus ist aber sicher, dass das nicht sein kann, denn ich stand inmitten unserer Gruppe. Hastig springe ich aus der Bahn, denn Weiterfahren ist die wahrscheinlich schlechteste Option. Marcus springt hinter mir her und ich kann den Anderen gerade noch ein „Wir treffen uns am Zielbahnhof“ hinterher brüllen, da schließen sich auch schon die Türen und die Bahn verschwindet in der Dunkelheit. Marcus, dem ich sowieso schon dankbar dafür bin, dass er mich in dieser Stresssituation mitten in einer fremden Stadt nicht alleine lässt, macht mir Mut indem er sagt, ich hätte das Handy bestimmt beim Fahrkartenschalter liegen gelassen und die hätten das Handy bestimmt gefunden. Ich schöpfe ein bißchen Hoffnung, wir steigen in den nächsten Zug und fahren zu dem Bahnhof an dem wir losgefahren sind.

Kaum öffnen sich die Türen, sprinten wir auch schon los, was eigentlich sinnlos ist, denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder es liegt noch dort oder jemand anders erfreut sich bereits daran. Bei der hohen Frequenz, die hier herrscht, ist Option A ziemlich unwahrscheinlich, aber der Mensch handelt nun mal nicht immer rational. Wir laufen auf das Drehkreuz zu, das man durchquert um den Bahnsteig zu verlassen, Marcus rennt eine dieser niedrigen Türen, die für Personen mit Koffern vorgesehen ist, buchstäblich um und ignoriert dabei völlig den Polizisten, der schon seit einigen Metern wild gestikulierend hinter ihm her rennt. Gleich hinter dieser Tür befindet sich auf der rechten Seite der Schalter, an dem ich die Fahrkarten gekauft habe. Ich bin noch einige Meter hinter Marcus (verdammt, hat der eine Geschwindigkeit drauf), da ruft er schon: „Da liegt es noch!“

Mir fällt ein Stein vom Herzen und während er mit dem Handy in der Hand auf mich zukommt versuchen wir erst einmal den Polizisten zu beruhigen. Da er uns offensichtlich nicht versteht, zuckt er irgendwann einfach mit den Schultern, dreht sich um und geht. Wir laufen zurück zur Bahn und machen uns auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.

Dort angekommen treffen wir tatsächlich auf die geschlossene Gruppe, die auf uns gewartet hat. Ich muss gestehen, dass ich damit nie im Leben gerechnet hätte, denn erstens ist es aufgrund des Lichterfestes so voll, dass die Wahrscheinlichkeit sich wiederzufinden, generell eher gering ist, und zweitens hätten die anderen die Zeit bestimmt lieber mit etwas anderem verbracht, als damit auf mich zu warten. Spätestens jetzt bin ich fest davon überzeugt, dass diese Reise verdammt grandios wird, denn wenn eine Gruppe bereits am zweiten Abend so fest zusammenhält, dass niemand alleine zurückgelassen wird, dann ist das schon etwas ganz Besonderes. Diese Thailand-Reise ist bereits meine fünfte Gruppenreise, und glaubt mir eins: Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage, dass eine Reisegruppe auch ganz anders auftreten kann!

Ein paar von uns haben in der Zwischenzeit kleine Blumengestecke gekauft, die mit Kerzen und Räucherstäbchen geschmückt sind. Beim Lichterfest ist es Tradition, diese Gestecke mit einem Bambusstab auf den Fluss hinab zu lassen und sich dabei Gutes für die Zukunft zu wünschen. Ich selbst brauche mir gerade nichts wünschen, denn mit den Gefährten, die ich die nächsten zwei Wochen an meiner Seite haben darf, kann wirklich nichts schiefgehen. Das wurde heute eindrucksvoll bewiesen. Wir schlendern einmal quer über den Platz, auf dem neben dem besagten Riesenrad noch diverse weitere Attraktionen aufgebaut sind, wie zum Beispiel VR-Fahrsimulatoren oder Schießstände, dann lassen wir uns in einer Cocktailbar nieder. Erstaunlicherweise schaffen die es dort, obwohl der Laden beinahe aus allen Nähten platzt, noch einen Tisch für vierundzwanzig Personen herzurichten.

Der Rest des Abends verläuft feucht-fröhlich, die Stimmung ist hervorragend, Bier und Cocktails schmecken mit jedem Glas ein bißchen besser. Ich habe bereits leicht einen sitzen, als wir ein Tuk-Tuk besteigen und uns unter lautem Gejohle und Lachen zum Hotel zurückfahren lassen. Dort angekommen müssen wir feststellen, dass es in unserem Hotel leider kein Bier mehr gibt, allerdings haben eine Handvoll Spezialisten bereits ausgekundschaftet, dass wir uns im Nachbarhotel noch einen Absacker besorgen können. Wir verbringen des Rest des Abends mit eben jenem Absacker auf der Dachterrasse unsere Hotels, bis ich irgendwann halbtot ins Bett falle. Zu dem Zeitpunkt ist es bereits nach vier Uhr und mir wird erst jetzt bewusst, dass ich mich für den freiwilligen Ausflug nach Ayutthaya am nächsten Morgen angemeldet habe. Eigentlich könnte ich jetzt bereits wach bleiben, denn der Wecker wird in etwas mehr als drei Stunden unerbittlich klingeln. Doch dann überkommt mich doch noch eine gnädige Ohnmacht.

Es wurde Abend, es wurde Morgen, ein neuer Tag!

2. Tag, Donnerstag, 02.11.2017: BANGKOK – Skytrain-Tour

Umsteigen in Dubai und Weiterflug nach Bangkok (nonstop, Flugdauer ca. 6 Std.). Ankunft gegen Mittag. Marco Polo Scout Bengi erwartet uns schon und begleitet uns zum Hotel. Umziehen, duschen, ausruhen – dann nimmt er uns am späten Nachmittag mit auf eine erste Erkundungstour: Mit dem Skytrain rollen wir wie die Einheimischen mitten hinein ins Stadtzentrum. Hungrig? Im angesagten Rosabieng begrüßt uns Thailand kulinarisch. Und wer später immer noch Lust und Energie hat, kommt mit in die Rooftop-Bar Above Eleven und genießt bei einem Cocktail den atemberaubenden Ausblick vom 33. Stockwerk…

In Dubai angekommen wird unsere Gruppe ein wenig größer, denn mit unseren Kofferanhängern von Marco-Polo sind wir leicht zu erkennen und wirken offensichtlich wie ein Magnet. Nachdem für uns etwa zwei Stunden Zeit am Flughafen zu überbrücken sind, machen wir das, was in den nächsten zwei Wochen des Öfteren passieren wird – da kann eine erste Gruppenübung schon mal nicht schaden: Wir suchen eine Lokalität, in der wir ein gemütliches Bier trinken können und werden bei der Heineken-Bar fündig. Keiner von uns hat Dirham (die Währung in Dubai), mit dem Wechselkurs sind wir auch kaum vertraut. Trotzdem können wir gut genug rechnen um mitzukriegen, dass der halbe Liter Heineken hier etwas mehr als elf Euro kostet. Plötzlich schmeckt das Bier gleich viel besser, muss es bei dem Preis aber auch. Bezahlen müssen wir in Euro, die Bedienung rechnet mit dem korrekten Wechselkurs um, schlägt dann zehn Prozent Aufschlag drauf (einfach, weil sie gerade Lust dazu hatte. In der Karte stand davon nichts geschrieben) und teilt uns zum Abschluss noch mit, dass sie keine Münzen nimmt (einfach, weil …. [siehe oben]).

Dazu eine kleine Mathematikaufgabe: Erna kauft vier Bier zu je elf Euro, die Bedienung schlägt zehn Prozent auf den Preis drauf. Bezahlt werden darf nur mit Geldscheinen, nicht mit Münzen.

(a) Wieviel kostet ein Bier?

(b) Wie hoch ist der Preis für einen Liter Bier, wenn das Glas in Aufgabe (a) einen halben Liter Bier fasst und keine Münzen als Zahlungsmittel akzeptiert werden?

(c) Diskutieren Sie das Preisniveau der vorliegenden Aufgabe in Relation zum bestehenden Preisniveau auf dem Münchener Oktoberfest.

Antwort:

(a) zu viel.

(b) 4 Bier * 11 Euro * 110 Prozent = 48,40€ → aufgerundet 50€ /2 Liter = 25 Euro/Liter

(c) Nach der obigen Rechnung fehlen mir echt die Worte, wer sich dazu auslassen möchte: Ich freue mich auf kreative Zuschriften! Nachdem ich aber nun über gesicherte Erkenntnisse darüber verfüge, wie Dubai zu seinem Reichtum gekommen ist, werde ich bei nächster Gelegenheit meinen Bankberater anweisen, er möge meine Öl-Aktien veräußern und in einen Bierstand auf dem Flughafen von Bangkok investieren…

Als wir das flüssige Gold vollständig vereinnahmt haben, ist es auch schon fast an der Zeit für den Anschlussflug und so machen wir uns auf den Weg. Am Gate kommt nun endlich zusammen, was zusammen gehört: Aus sechs Mitreisenden werden auf einen Schlag dreiundzwanzig. Was die Namen angeht, steige ich aus und werde beizeiten kreative Kennenlernspiele aus der Waldorfschule vorschlagen.

Der Weiterflug verläuft unspektakulär: Ich schaue noch ein paar Filme mit meinem neuen Homie. Leider haben wir es (obwohl wir uns während der sechs Stunden sehr nahe gekommen sind) nicht geschafft ein gemeinsames Foto zu machen, sonst hätte ich ihn an dieser Stelle gerne vorgestellt. Andererseits lernen wir uns nicht sehr intensiv kennen, ist unsere Beziehung doch keineswegs intellektueller, sondern rein körperlicher Natur. Das liegt übrigens ausschließlich an seiner Freundin, die derart korpulent ist, dass sie nicht nur ihren Sitz belegt, sondern auch noch die Hälfte von seinem Platz. Aus dem Masse-Ausbreitungsgesetz ergibt sich logischerweise, dass seine eigene Masse dadurch nicht sinkt, sondern sich anderweitig ausbreitet. Sprich: Auf meinen Platz, von dem er gut ein Drittel belegt.

Entsprechend gerädert komme ich in Bangkok an, denn an Schlaf ist auf diesem Flug nicht zu rechnen gewesen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich zielstrebig zum Gepäckband 22 begebe, auf dem Dubai ausgeschrieben ist. Es dauert eine Weile, bis ich dann irgendwann doch merke, dass ich noch lange auf mein Gepäck warten kann, es sei denn, ich begebe mich zum Band 23, auf dem ebenfalls Dubai ausgeschrieben ist und auf dem mein Rucksack schon seit geraumer Zeit munter seine Runden dreht.

Die Kreuzung einer Stromtrasse nahe unseres Hotels. Ich hoffe, wir haben morgen noch Strom. Das nächste Mal, wenn ich hierher reise, muss ich unbedingt einen deutschen TÜV-Prüfer mitnehmen. Das wird ein Spaß!

Als wir alle unser Gepäck gefunden haben, zählen wir kurz durch und verlassen vollzählig den Sicherheitsbereich. Dort wartet bereits unser Scout Bengi auf uns, der uns mit ersten wichtigen Informationen darüber versorgt, wo wir am Flughafen Geld abheben oder umtauschen können und wo wir Getränke kaufen können. Frisch versorgt steuere ich auf die Glastür zu, diese öffnet sich, ich trete hindurch und laufe erst einmal gepflegt gegen eine Wand. Zumindest fühlt es sich so an, als die Temperatur von 22 Grad im Flughafengebäude zu 35 Grad außerhalb wechselt und die Luftfeuchte spontan auf etwa 94 Prozent ansteigt.

Viel Zeit uns an den Temperaturanstieg zu gewöhnen haben wir nicht, denn der Bus steht schon vor dem Flughafengebäude bereit. Wir verstauen unsere Koffer, entern den Bus und dann geht es auch schon los: Wir stürzen uns ins Verkehrsgetümmel, (noch) geschützt durch eine massive Karosserie. Zunächst schwimmen wir locker im fließenden Verkehr auf der Autobahn mit, als wir mitten in der Rushhour das Stadtzentrum erreichen, geht es zunächst gemächlich zu (ich halte das für einen wunderschönen Euphemismus für „wir stehen im Stau“). Für diejenigen von uns, die Bangkok zum ersten Mal sehen (also wahrscheinlich für alle außer unserem Scout und mir), ist es schon recht überraschend, wie vielseitig das Stadtbild ist: Zwischen den vielen alles überragenden Wolkenkratzern gibt es ganze Viertel von kleinen, niedrigen Gebäuden in den unterschiedlichsten Preis- und Erhaltungsstufen. Und so lassen wir etwa eine Dreiviertelstunde die ersten Eindrücke auf uns einprasseln, bis wir schließlich vor dem Hotel mitten in der Stadt an der Sukhumvit Soi 10 Halt machen.

Wir schnappen uns unser Gepäck, warten bis zur Zimmerverteilung und bekommen etwa eine Stunde Zeit um uns frisch und fertig zu machen. Das gibt uns schon mal einen ersten Eindruck vom Programm: Viel Zeit zum Erholen bleibt nicht, und wer darauf gehofft hat, sich erst einmal ein wenig ins Bett legen zu können, wird (völlig zu Recht) enttäuscht: Die erste Challenge wartet auf uns – das öffentliche Nahverkehrsnetz von Bangkok. Eine Tour mit der Skytrain, der Hochbahn von Bangkok, steht auf dem Programm. Diese besteht nur aus zwei Linien, was sich in der Theorie recht simpel anhört, in der Praxis aber zu einer echten Herausforderung mutiert. Gottseidank erklärt Bengi uns das Bevorstehende so oft und ausführlich, dass wir uns trotz der in thailändischer Schreibweise bezeichneten Stationen schnell zurechtfinden. Warum das gerade für mich wichtig ist, werde ich in den nächsten Tagen noch am eigenen Leib erfahren.

Wir betreten die Hochbahnstation, und genau in diesem Moment stelle ich mir kurz die Frage, wie wir dort noch hineinpassen sollen. Es ist so unfassbar voll mit Menschen, dass sie gefühlt auch ohne uns schon beinahe auseinander bricht. Dann erinnere ich mich an den Beitrag im Fernseh-Magazin „Galileo“, den ich vor einigen Jahren einmal gesehen habe und in dem es um das U-Bahn-Netz von Tokio geht. Dort gibt es bekanntermaßen Personal, dessen einzige Aufgabe es ist, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen in die Bahn zu pressen. Im Prinzip handelt es sich dabei also um das Gegenteil eines Türstehers vom Berghain in Berlin.

Die Menschen in Bangkok haben die Dokumentation offensichtlich auch gesehen, oder sie sind einfach nur verdammt geübt im Befüllen der Wagen. Als die Türen der gerammelt vollen U-Bahn aufgehen steigen drei Leute auf und als ich gerade beschließe skeptisch schauen zu wollen, ist unsere gesamte 24-köpfige Reisegruppe bereits formschlüssig verladen worden. Die Teambuilding-Maßnahme können wir somit bereits im Programmheft abhaken, denn wir sind uns nun schon so nahe gekommen wie noch nie zuvor.

Drei Stationen später steigen wir auch schon wieder aus, nur um auf dem gegenüberliegenden Gleis den nächsten Zug zu nehmen und vier Stationen wieder zurückzufahren. Hört sich sinnlos an, wird sich aber – wie gesagt – für mich noch als nützlich herausstellen.

Wir sind in Rosabieng angekommen, wo wir in einem Restaurant die erste thailändische Mahlzeit zu uns nehmen. Wer schon einmal Erfahrung mit Tapas gemacht hat, kann sich vorstellen, wir dieses Essen abläuft: Es gibt Reis, Baby! Dazu werden uns Teller mit verschiedenen Speisen in der Mitte auf den Tisch gestellt und jeder hat die Gelegenheit alles einmal zu probieren.

Dabei wird die ein oder andere (schmerzhafte) Lektion gelernt, zum Beispiel folgende:

  1. Was rot ist, ist immer scharf.
  2. Was grün ist, ist meistens scharf. Außer man glaubt, es sei nicht scharf, dann ist es scharf.
  3. Reis kann den Schmerz lindern, aber nicht töten.
  4. Wasser ist keine Rettung.

Nach dem Essen kämpfen die ersten von uns dann doch gegen die Müdigkeit, immerhin sind wir bereits etwas mehr als zweiundzwanzig Stunden auf den Beinen. Bengi hatte uns auf dem Transfer vom Flughafen ans Herz gelegt nicht zu früh schlafen zu gehen, das würde sich dann mitten in der Nacht rächen. Um den Körper an den Rhythmus zu gewöhnen müssen wir also durchhalten. Somit fahren wir alle gesammelt zurück zum Hotel und machen es uns auf der Dachterrasse des Hotels gemütlich. Mit einem derartigen Andrang hat man dort wohl nicht gerechnet, denn es gibt kaum Bänke und Stühle, allerdings lassen wir uns davon nicht beeindrucken und funktionieren kurzerhand Tische und Sonnenliegen zu Sitzgelegenheiten um. Die ersten intensiveren Gespräche kommen in Gang, wir beginnen fleißig mit dem Lernen der Namen (was gar nicht mal so einfach ist bei vierundzwanzig Namen und zweiundzwanzig Stunden in den Knochen). Die Aussicht ist grandios, die Truppe sympathisch, die Bedienung nicht wirklich effizient. Die erste Bestellung braucht eine gepflegt halbe Stunde, leider habe ich es versäumt gleich zwei Getränke zu bestellen. Für den nächsten Abend auf der Dachterrasse nehme ich mir vor optimaler an die Sache heranzugehen. Als sich die Reihen langsam lichten, bildet sich ein harter Kern heraus, der noch nicht vollkommen bedient ist (es ist ja auch erst halb neun). Ich nehme die Sache in die Hand und wir machen uns mit dem Tuk-Tuk auf den Weg nach Patpong. Tuk-Tuk fahren ist in Bangkok ziemlich einfach: Man braucht nur starke Nerven und einen starken Magen. Wenn man das hat und sich voll auf die Sache einlässt, ist das lustiger als jede Achterbahn (abgesehen von dem winzigen Detail, dass eine Achterbahn immer über Fangnetz und doppelten Boden verfügt, beim Tuk-Tuk ist nie sicher, wie die Fahrt ausgeht). Mit einem Puls von über zweihundert erreichen wir Patpong, eines der… ich sag mal: nicht ganz so noblen und exquisiten Stadtteile. Kurz gesagt: Die Vergnügungsmeile. Viele adrett gekleidete Herren und junge kaum gekleidete Mädchen scheinen uns als sehr sportliche und ehrgeizige Menschen wahrzunehmen, denn ständig werden wir von ihnen zu einer Partie Tischtennis eingeladen. Naja, also fast. Streng genommen wollen sie, dass wir sie dazu einladen, anders kann ich mir nicht erklären, warum sie 400 Baht dafür haben wollen. Außerdem habe ich nicht den Eindruck, dass das wirklich viel mit Tischtennis zu tun hat, denn keiner von ihnen hat einen Tischtennisschläger dabei. Und das, was wirklich hinter den Türen vorgeht, möchte ich mit nicht vorstellen und noch weniger möchte ich das genauer wissen. Katrin und Marcus sind da sehr neugierig, ich kann sie aber gerade noch davon abhalten und so verschieben sie ihre Teilnahme an einem solchen Turnier auf den nächsten Tag.

So weit ich in der Lage bin mich daran zu erinnern (und da ist ehrlich gesagt nicht viel Erinnerung vorhanden) haben wir den Abend danach noch mit ein oder zwei (Dutzend) Bier ausklingen lassen und uns dann gegen zwei Uhr aufs Zimmer begeben. Eigentlich ist das auch eine perfekte Zeit, in Deutschland ist es jetzt acht Uhr und wir haben die Zeitverschiebung besiegt! F*ck yeah!

Es wurde Abend, es wurde Morgen, ein neuer Tag!

1. Tag, Mittwoch, 01.11.2017: FLUG NACH ASIEN

Nachmittags Flug mit Emirates nach Dubai (nonstop, Flugdauer ca. 6 Std.).

Es ist 06:00 Uhr, als mein Wecker klingelt. Um 06:20h der zweite und schließlich um 06:30h der dritte. Als ich diesen höre, stehe ich allerdings bereits unter der Dusche. Erstaunlich, dass ich es im Urlaub schaffe früher aufzustehen als in einer Arbeitswoche. Aber heute ist – das möchte ich zu meiner Verteidigung anbringen – zwar bereits mein fünfter Urlaubstag, es ist aber nicht irgendein Urlaubstag, sondern DER Tag. Auf dem Weg ins Bad stolpere ich beinahe über meinen gepackten Rucksack, der am Fußende meines Bettes steht. So richtig wach bin ich dann wohl doch noch nicht. Mein Rucksack: Ein untrügliches Indiz dafür, dass es wieder einmal auf eine große Reise geht.

Das Timmelsjoch auf 2.491m Höhe. Blick auf das alte Zollhaus. Eine unbezahlbare Aussicht auf die umliegenden Berggipfel.

Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, gab es derer ja bereits zwei: Ende Juni/Anfang Juli war da zunächst meine Alpenüberquerung mit drei wunderbaren Menschen. Gestartet in Oberstdorf, immer den Fels vor Augen und das Ziel (die andere Seite der Alpen) im Blick, haben sie mich – wohl ohne es zu wissen – zu Dingen angetrieben, die ich selbst von mir nicht für möglich gehalten hätte. Klar ist es eine recht weite Entfernung von Oberstdorf nach Meran, aber mit dem Bus ist das bequem von München aus in 4,5 Stunden machbar (habe ich mit Flixbus bei der Rückreise ausprobiert). Das würde ich – mit dem nötigen Anreiz im Kopf – bestimmt des Öfteren machen. Nur bin ich dieses Mal zu Fuß gegangen, ungezählte 10.000 Höhenmeter bergauf und geschätzte 9.000 Höhenmeter wieder herunter. Bergauf, bergab, den ganzen Tag. Viele Tage hintereinander. Hätte mir im Vorfeld jemand gesagt, dass ich das schaffen würde, hätte ich ihn ausgelacht und geantwortet: „Dafür müsste ich das erst mal machen“. Hätte mir jemand im Vorfeld gesagt, dass ich das einmal machen würde, hätte ich ihn ausgelacht, mich umgedreht und wäre gegangen, wortlos.

Meinen Begleitern habe ich blind vertraut, dass sie mich über die Berge treiben würden, und auch, wenn das für sie das ein oder andere Mal vielleicht den genau entgegengesetzten Eindruck gemacht haben könnte: Genau das haben sie getan. Selten habe ich soviel Freude am Wandern empfunden wie in diesen Tagen, selten konnte ich mich so bedingungslos fallen lassen.

Meine zweite große Reise war der ersten recht ähnlich, aber dann doch ganz anders: Als ich 2014 in meine Wohnung eingezogen bin, habe ich auf dem Laternenmast vor dem Haus einen Muschel-Aufkleber entdeckt und mir vorgenommen, irgendwann einmal an diesem Punkt meinen Jakobsweg zu starten. Nach einem Testlauf im vergangenen Jahr (da bin ich in fünfzehn Tagen eine Strecke von vierhundert Kilometern von Porto über Santiago nach Finisterre gelaufen) habe ich das nun also im August in Angriff genommen. Mein einziger Plan war, dass ich, wenn ich sonntags von der Nature One heimkomme, gleich meinen Koffer auspacke, die Kleidung wasche und anschließend meinen Rucksack für die neuerliche Wanderung packe. Der Montag war als Starttag meiner Wanderung immer schon gesetzt.

Soweit die Theorie, es folgte die Praxis: Ich kam sonntags heim, war so zerstört, dass ich die Kleidung natürlich nicht gewaschen habe, zumal mein Sofa mich ungewohnt laut in seine Richtung gelockt hat. Der Sonntag lässt sich im Rückblick daher am besten folgendermaßen zusammenfassen: Es wurde Abend, es wurde Morgen, ein neuer Tag. Montag morgen beim Aufwachen war ich dann fest davon überzeugt, dass Dienstag sowieso ein perfekter Tag zum Loslaufen ist, habe dann den ganzen Morgen damit verbracht die Zeit totzuschlagen (aus Verzweiflung über deren langsames Fortschreiten habe ich sogar irgendwann die Wäsche gewaschen und getrocknet), bis ich um 12:00h den total bescheuerten Plan fasste doch noch loszulaufen.

In Rothenstein, Bayern, nimmt man es sehr genau. Ist aber auch wichtig, denn klar ist: Auch beim Pilgern gibt es klare Regeln. Regel Nummer 1: Nicht zu schnell pilgern!

Das Wetter war perfekt – ich startete um 12:45h bei strahlendem Sonnenschein und 25°C (aber nicht unangenehm warm), die Kilometer rutschten mir nur so unter den Schuhsohlen durch, es wurde irgendwann dunkel und ich lief durch eine traumhaft schöne Nacht (das war am 07. August, aufgrund der Mondfinsternis eine ganz besondere Nacht). Nach einer 49km-Etappe habe ich letztlich zwischen Kirch-Siebnach und Siebnach meinen Biwak-Sack neben einem Maisfeld ausgerollt und mich ins Gras gelegt. Die Option eines Pensionszimmers fiel flach, da um 23:45h keine Pension mehr auf hatte (ganz abgesehen davon, dass es dort eh keine gab). An diesem Tag – wie auch an den folgenden 16 Tagen – sind mir kaum Menschen begegnet, so dass ich viel Zeit mit mir und meinen Gedanken verbringen konnte. Das ein oder andere Mal hätte ich mich stattdessen vielleicht besser mit Planung befasst, dann wäre vieles einfacher gewesen. Dann hätte ich vielleicht auch eine bessere Streckenplanung gehabt und mir unzählige Kilometer Umweg erspart. Dann hätte ich auch nicht erst in Österreich gemerkt, dass mein Wanderführer dort zwar aufhört, ich aber noch weiterlaufen wollte. Andererseits würde ich dann jetzt auch nicht die vielen schönen kleinen Buchläden in Bregenz und Rorschach kennen, in denen ich nach einem Wanderführer für den Schweizer Jakobsweg gesucht habe. Merke: Mein Weg war oftmals weniger ein Kampf gegen die Straße als vielmehr ein Kampf gegen mich selbst. Das (vorläufige) Ende meiner Reise markierten 500 gelaufene Kilometer, ein Zielfoto vor der Kathedrale von Fribourg in der Schweiz und ein von dort stammender Stempel in meinem Pilgerpass. Bis Santiago de Compostela sind es nun noch etwas mehr als 2.000 Kilometer, in Anbetracht meines persönlichen Ziels (ich möchte 2021 in Santiago ankommen) liege ich gut in der Zeit.

Da aufgrund des Wetters eine Fortsetzung des Camino im November eher unklug wäre (im Jura-Gebirge und im Zentralmassiv müsste ich mich durch teilweise tiefen Schnee kämpfen und deswegen auch um Unterkünfte bangen), habe ich mich zwecks Abbau meines Resturlaubs tatsächlich (hört, hört!) für einen Entspannungsurlaub entschieden.

Nachdem ich mir selbst bereits im August eindrucksvoll bewiesen hatte, dass Planung und Vorbereitung eher nicht so meine Kernkompetenz sind, war eines klar: Es musste wieder eine organisierte Gruppenreise werden. Das Ziel war mir eigentlich auch schon länger klar, denn ich möchte irgendwann einmal nach Fès reisen. Wer mich kennt, kann erahnen warum: Rory Gilmore schwärmt in geschätzt jeder zweiten Folge der Serie „Gilmore Girls“ von Fès und sagt, dass sie da unbedingt mal hin möchte. Und jedes Mal frage ich mich, was so faszinierend an Fès sein soll, dass Rory dort hin möchte. Nachdem der Termin dann auch feststand und der Urlaub eingetragen und genehmigt war, habe ich es erfolgreich drei Wochen lang nicht geschafft ins Reisebüro zu gehen, und als ich endlich dort war, war die Marokko-Reise ausgebucht.

Plan B: Indien. Terminlich hätte das vielleicht geklappt, aber ich hätte lediglich drei Wochen Zeit gehabt um an ein Visum zu kommen. So wurde es dann schließlich ganz spontan Thailand – da war ich schon mal, da weiß ich ungefähr, was auf mich zukommt.

Vor zwei Wochen bin ich dann noch schnell zum Arzt um meine Impfungen überprüfen zu lassen. Das hätte ich besser mal sein gelassen, denn während des Beratungsgespräches wurde die Liste der Ärztin immer länger. Nie hätte ich auch nur im Entferntesten geahnt, was ein Mensch für Impfungen bekommen und brauchen kann. Am Ende sah der Plan dann aus wie folgt:

11. Oktober: Beratungsgespräch und Besorgung diverser Impfstoffe
12. Oktober: Hepatitis A+B (1/2) und FSME
14. Oktober: Typhus 1/3
16. Oktober: Typhus 2/3
18. Oktober: Typhus 3/3
19. Oktober: Tetanus, Diphterie, Polio
23. Oktober: Masern, Mumps, Röteln
26. Oktober: Hepatitis A+B (2/2)

Erkenntnis 1: Wer das überlebt, darf auch nach Thailand.
Erkenntnis 2: Wer das durchzieht, hat keine Zeit für Nervosität im Vorfeld.

Ein mittlerweile gewohntes Bild: Mein Rucksack als treuer Wegbegleiter. Diesmal allerdings ohne Jakobsmuschel.

So kommt es auch, dass ich heute morgen tiefenentspannt aufstehe, dusche, meinen Rucksack schnappe und mich auf den Weg zum Flughafen mache. Abflug ist zwar erst um 14:30h und ich werde viel zu früh am Flughafen sein, aber sicher ist sicher – ich kenne mich ja…

Plötzlich geht alles ganz schnell, ich treffe die ersten fünf Mitstreiter, wir gehen zum Gate, steigen ins Flugzeug ein und (zack!) sind wir – nun, da ich diese Zeilen schreibe – auch schon 90 Minuten vor Dubai.

Außer der Reisebuchung und dem Packen meines Rucksacks habe ich bisher nicht viel getan, und ich bin auch fest entschlossen, meinen Aktivitätsgrad in den nächsten 18 Tagen ziemlich genau auf diesem Level zu halten. Das wird definitiv eine Herausforderung werden, die auch noch in drei Tagen Badeurlaub in Phuket gipfelt. Da sehe ich ich ja noch lange nicht, zumindest nicht ohne verrückt zu werden. Meine Kollegen haben im Vorfeld schon gewitzelt, ich könne ja die Gruppe im letzten Hotel vor Phuket verlassen und dann zu Fuß nach Phuket laufen. Das mag ich momentan nicht kategorisch ausschließen und werde gegebenenfalls entsprechendes noch berichten.

Positiv bisher: Der erste Teil der Reisegruppe besteht aus fünf sympathischen Mitstreitern, die restlichen sechzehn treffen wir gleich in Dubai. Nach bereits vier Marco-Polo-Reisen kann mich in Bezug auf Programm und Hotels eigentlich nichts mehr schocken, aber die Reisegruppe muss einfach passen. Drückt mir die Daumen, dass das so kommt, denn dann ist eines vollkommen klar: Das wird großartig!

*bibber*

Väterchen Frost sendet Euch allen winterliche Grüße!

Das Thermometer zeigt zapfige -12°C – kein Grund, Faulheit zuzulassen.
So habe ich heute gegen 17:30h meine Laufschuhe geschnürt um im Siebentischwald eine lockere 5km-Runde zu laufen.
Das war die Theorie, es folgt die Praxis: Wer mich und meine Orientierungs-Legasthenie kennt, kann sich schon vorstellen, dass das wohl nicht so geklappt hat. Jetzt stehen halt ca. 15,5km auf dem Tacho, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass ich irgendwann den Wald verlassen und großräumig umrunden musste. Vorsatz für die Zukunft: Ich muss mir eine Kopflampe zulegen.
Jetzt wünsche ich Euch allen einen geruhsamen Sonntagabend. Kuschelt Euch auf’s Sofa, lasst Euch von Eurem Lieben einen heißen Kakao bringen. Es ist kalt in Deutschland…

Caminho Português – Tag 19: Porto – Brüssel – München

Als ich um kurz nach acht aufstehe, bleibt nicht mehr viel Zeit, denn der Abflug ist bereits für 12:20h angesetzt. Von meinem letzten Kurzaufenthalt in Porto (Siehe Tag 1) weiß ich noch, dass die Fahrt mit der Metro ab São Bento eine gute Dreiviertelstunde dauert, und ich sollte in etwa zwei Stunden vor Abflug am Flughafenn sein. Dass das bei innereuropäischen Flügen nicht zwingend nötig ist, weiß ich auch, aber man weiß ja nie, was mir am Flughafen noch so alles passieren kann (eine lustige Pöbelei zum Beispiel), und einen Verspätungszeitpuffer brauche ich auch immer. So mache ich micht kaum eine Stunde später auf den Weg zu Flughafen.

Ich bin wirklich froh, dass ich alle mir wichtigen Sehenswürdigkeiten bereits gestern abgearbeitet habe. Vor allem bei der Livreria Lello, die ich aufgrund der langen Schlange an der Kasse für die Eintrittskarten (Tatsache: Bei diesem Laden muss man vorher Eintritt zahlen, wenn man ein Buch kaufen möchte!) eigentlich auf heute morgen schieben wollte, wäre es wirklich schade gewesen, hätte ich sie verpasst.

Nichtsdestotrotz: Die Stadt Porto hat mich bereits in den wenigen Stunden, die ich hier verbringen durfte, zutiefst beeindruckt – durch ihre Schönheit, ihre Vielschichtigkeit, die hohe Dichte an Sehenswürdigkeiten, die Freundlichkeit der Menschen, denen ich begegnet bin, und das alles, obwohl ich gerade einmal an der Oberfläche der Stadt gekratzt habe. Eines ist sicher, mein liebes Porto: Wir haben uns heute nicht zum letzten Mal gesehen!

Am Flughafen in Porto läuft alles glatt, außer, dass ich zwei Mal durch die Sicherheitsschleuse muss, weil ich beim ersten Mal meine Armbanduhr nicht auf das Band des Röntgengerätes gelegt habe, der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes aber darauf besteht, dass auch diese durchleuchtet wird. Den flotten Spruch, der mir schon auf der Zunge brennt, schlucke ich herunter, denn immerhin darf ich meine Schuhe anbehalten und das muss belohnt werden.

Als es in die heiße Phase des Boardings geht, mache ich etwas für mich eigentlich untypisches: Ich stelle mich als Erster in die Schlange, so das ich gleich nach den Gehbehinderten und den Eltern mit Kinderwagen einsteigen kann. Der Grund ist allerdings ziemlich banal: Ich habe den Platz 30C bekommen, das ist der Gangplatz in der allerletzten Reihe und ich habe reichlich wenig Lust zu warten, bis alle andern Passagiere in stoischer Gelassenheit ihre viel zu großen Koffer in den Gepäckablagen verstaut und ihre Sitzplätze eingenommen haben.

Was ich in dieser Form noch nie miterlegt habe: Kaum sind alle Passagiere eingestiegen, stürmt der erste Vater – schwer bepackt mit Kleinkind und Umhängetasche – die Toilette um das Kind zu wickeln. Während ich mich mit der Frage befasse, ob das nicht auch im Flughafenterminal möglich gewesen wäre (immerhin gibt es dort ausgewiesene und voll ausgestattete Wickelräume zu genau diesem Zweck) und sich die Flugzeugcrew ihrerseits auf den Start vorbereitet, beobachte ich einen heiteren Pendelverkehr vor der Flugzeugtoilette (im Übrigen funktioniert nur eine von beiden, die andere ist defekt). Noch vor dem Start kann ich verkünden: Von sechs mitreisenden Kleinkindern sind mittlerweile genau sechs Kleinkinder frisch gewickelt, es kann also losgehen. Frage hierzu an die Vielflieger: Dass es den legendären Mile High Club gibt, ist ja hinlänglich bekannt. Gibt es vielleicht auch einen neuen, aufstrebenden „Ich wickle mein Kleinkind auf der Flugzeugtoilette“-Club? Wenn dem so ist, sollte ich mir unbedingt in nächster Zeit ein Kind ausleihen, denn in dem Club möchte ich dann bitte auch Mitglied werden. Werde dazu bei nächster Gelegenheit mal meinen Neffen anhauen, ob er Bock hat mitzumachen…

Etwa eine Stunde nach dem Start verwandelt sich die Truppe der Flugbegleiterinnen in einen aufgeschreckten Hühnerhaufen: Zwei von ihnen kommen so gekonnt unauffällig, dass es auch wirklich jeder im Flugzeug mitbekommt, auf mich zu, stürmen an mir vorbei und hämmern gegen die Toilettentür, die sich auch kurz darauf öffnet. Heraus kommt eine Frau mit schuldbewusster Miene, die trotzdem alles abstreitet, was gesagt wird. Nein, sie habe nicht in der Toilette geraucht, und überhaupt müsse das ein Anzeigefehler sein, den Alarm könne sie überhaupt nicht ausgelöst haben, wegen… Die nächsten fünfzehn Minuten geht die Diskussion so weiter, dann darf sich die Frau, mittlerweile in Tränen aufgelöst, endlich auf ihren Platz setzen. Chapeau, meine Damen, die Aktion war wirklich sehr unauffällig! Der Rest des Fluges verläuft unspektakulär, wir landen, die Anschnallzeichen erlöschen, was völlig egal ist, da eh schon alle aufgesprungen sind, um ja als erste an ihren Koffer in der Kofferablage zu dürfen. Mir ist das egal, ich bin ich ganz hinten gefangen und muss warten, bis alle ausgestiegen sind. Wahrscheinlich bin ich daher auch einer der wenigen, die mitbekommen, dass besagte Dame beim Aussteigen abgefangen und von Polizisten eingefangen. Unter lautem Wehklagen und wiederholtem „Ik heb toch niks verkeerd gedaan!“ wird sie in Handschellen abgeführt. Ich sehe das ein wenig anders, denn es ist allgemein bekannt, dass Rauchen im Flugzeug (a) streng verboten und (b) saugefährlich ist. Die Frau kann noch froh sein, dass sie das auf diesem Flug getan hat, denn in den letzten Jahren betrug die Strafe dafür im Schnitt 175-225 Euro. In den arabischen Staaten hätte sie dafür bis zu fünfzig Peitschenhiebe, in den USA ein paar Monate Gefängnis. Wie auch immer die Geschichte für sie ausgeht: Dieser Flug wird ihr noch lange in Erinnerung bleiben.

Als ich das Flugzeug verlasse und wieder deutschen Boden unter den Füßen habe, wird mir klar, dass die Reise nun auch für mich zu Ende geht, und auch für mich wird diese Reise lange Zeit in Erinnerung bleiben.

Vierhundert Kilometer Weg unter meinen Füßen, fünfzehn Tage Wanderung, bis zu neuneinhalb Stunden Tagespensum, zweimal das Hochgebirge rauf und wieder runter, zwei Tage Regen. Viele Menschen, denen ich begegnen durfte, manche faszinierend, andere nicht so besonders. Manche, bei denen ich es schade fand, dass sich unsere Wege nach einiger Zeit wieder trennten,andere, bei denen ich ehrlich gesagt auch ganz froh darüber war.

Ein mehr als suboptimaler Start, ein spannender erster Abend im Kloster von Vairao, eine Zufallsbegegnung mit… ja, mit „meinen Mädels“. Euch möchte ich an dieser Stelle aus tiefstem Herzen danken, denn ohne euch wäre diese Reise für mich nicht das geworden, was sie letztlich war. Ich habe während dieser Reise eine Wandlung durchgemacht, an der ihr großen Anteil habt, auch wenn euch das so überhaupt nicht bewusst ist. Vielen, vielen Dank dafür, dass ihr so seid, wie ihr seid und dass ihr mich in den Tagen ertragen habt, und dass ihr ich auf diesem Weg begleitet habt, und und und… Ich verdanke euch so vieles, von dem ihr nichts wisst! DANKE! Dank u wel!

 

Fin

Caminho Português – Tag 18: Porto

Gestern abend habe ich mir einen Wecker gestellt, und zwar auf 08:15h, was meiner Meinung nach ein guter Kompromiss ist zwischen gemütlichem Ausschlafen und  genügend Zeit für eine ausgiebige Stadtbesichtigung. Der Wecker klingelt zwar zur eingestellten Uhrzeit, aber irgendetwas kommt mir spanisch vor (Notiz an mich selbst: Später noch fünf Euro ins Phrasenschwein werfen für dieses grottenschlechte Wortspiel). Ich schaue auf meine Armbanduhr und tatsächlich ist es erst 07:15h – da bin ich doch schon mal drauf reingefallen, und schon wieder habe ich beim Grenzübertritt nur meine Armbanduhr umgestellt und nicht auch mein Handy. Noch mal passiert mir das aber nicht!

Ein kurzer Blick auf den Stadtplan genügt und schon kann es losgehen: Das Hotel, in dem ich residiere, liegt direkt am Paços do Concelho, somit sind es nur ein paar Meter bis zur Igreja da Trindade. Von dort aus laufe ich durch die Rua da Conceição, die absolut touristenfrei ist (außer mir natürlich) und mit vielen kleinen Läden punktet. Aber ich bin ja nicht zum Shoppen hier, sondern um schöne Orte zu bestaunen, weshalb ich auch gleich den Praça Parada Leitao ansteuere.

Dort gibt es etwas kurioses, das ich so in dieser Form auch noch nicht gesehen habe: Zwei verschiedene Kirchen in einem einzigen Gebäude, mit getrennten Eingangstüren – links die Igreja dos Carmelitas, rechts die Igreja do Carmo, die linke mit einer unauffälligen, schlichten Fassade, die rechte 140 Jahre später im pompösen Barockstil in das Gebäude hineingebaut. Das ist für mich natürlich perfekt, denn so kann ich gleich zwei Sehenswürdigkeiten auf meiner Liste abhaken, bevor ich auf eben jenem Platz im Café Âncora d’Ouro ein ausgedehntes Frühstück zu mir nehme.

Keine drei Straßen weiter betrete ich die Igreja e Torre dos Clérigos, was sich auch für wenig religiöse Menschen lohnt, denn nach einem kurzen Aufstieg über 260 Stufen hat man einen wunderbaren 360°-Blick über die ganze Stadt. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, zuvor setze ich mich jedoch für einige Minuten in die Kirche und lausche dem Orgelkonzert, das erst vor wenigen Minuten begonnen hat.

Nachdem ich also dem Konzert gelauscht und anschließend die Stadt in ihrer gesamten Schönheit von oben bewundert habe, laufe ich zum anderen Ende der Rua dos Carmelitas und stehe auch schon in der Livreria Lello, einem Buchladen.

Aber nicht irgendeinem Buchladen, sondern einem Dauergast auf der Liste der 15 schönsten Buchläden der Welt. Komisch, kaum stehe ich drin und lasse das Interieur auf mich wirken, schon fühle ich mich wie in Hogwarts oder zumindest in der Winkelgasse. Das ist allerdings kein Zufall, denn Joanne K. Rowling hat in den 1990ern in Porto gelebt und studiert. Die Legende besagt, dass sie hier in diesem Buchladen gesessen und an ihrem ersten Harry-Potter-Buch geschrieben hat. Vielleicht ja sogar auf genau dem Stuhl, auf dem auch ich gerade sitze und diese Zeilen schreibe – dann bitte, Gott, lasse ein wenig von ihrem Talent und ihrer Phantasie auf mich abfärben!

Den Rest des Nachmittags streife ich wieder ziellos durch die kleinen Gassen der Altstadt. Auf meiner To-Do-Liste sind nur noch zwei Punkte offen: eine Francesinha essen und ein Glas Portwein trinken, denn beides gehört so untrennbar zu Porto wie Bier zu München. Den ersten Punkt möchte ich in einem kleinen Café auf der Rua dos Caldeireiros abhaken. Ich trete ein, frage die Frau hinter der Theke nach einer Francesinha, sie fragt: „Français? English?“, ich gebe ihr zu verstehen, dass ich englisch spreche und sie sagt daraufhin ein paar Sätze, die ich beim besten Willen nicht verstehe. Wir schauen uns eine Weile hilf- und ratlos an, dann packt sie mich am Arm, zerrt mich aus dem Laden, schiebt mich ein kleines Stück die Straße hoch und in das Restaurant „Arcos dos Loios“ hinein, sagt ein paar Worte zu dem Mann hinter der Theke und dann ist sie auch schon wieder verschwunden.

Nur wenige Minuten später steht sie (die Francesinha) vor mir, auf einem Riesenteller, den sie aber alleine so locker ausfüllt, dass die Pommes auf einem gesonderten Teller geliefert werden.

Um zunächst einmal zu klären, was eine Francesinha ist: Es ist quasi das Nationalgericht von Porto. Zur Herstellung nehme man soviele verschiedene Fleischsorten wie möglich, zwänge diese zwischen zwei Scheiben Toastbrot und überschütte das Ganze dann mit mindestens zwei Kilogramm geriebenem Käse. On top kommt noch eine vor Fett triefende Soße und das Gericht danach in den Ofen. Vor dem Servieren ist es essentiell noch ein in reichlich Fett ausgebackenes Spiegelei vorsichtig oben drauf zu drapieren.

Als ich zu Messer und Gabel greife und die Francesinha vorsichtig anschneide, meine ich ein leises Fiepen zu vernehmen – das sind die Kalorien, die ein Fest feiern aus lauter Vorfreude darauf sich in Kürze auf meine Hüften tackern zu dürfen. Ungelogen: Das Teil hat locker 2000 Kalorien! Gegessen wird dieses Gericht – so erzählt mir der Restaurantbesitzer später – übrigens ausschließlich mittags zum Lunch, aber nie abends zum Dinner, dazu sei es zu reichhaltig. Jetzt verstehe ich auch, warum die Portugiesen mittags drei Stunden Siesta machen, denn während ich aus dem Laden herausrolle, verfalle ich langsam aber sicher in ein Fresskoma.

Da in diesem Zustand Bewegung das Beste ist, rolle ich langsam aber sicher den Hügel hinunter in Richtung Rio Ouro, den ich über die Ponte Luis I überquere. Auf der anderen Seite des Flusses liegen die legendären Weinkeller, die ursprünglich gebaut wurden, um Plagiate beim Portwein zu verhindern. So mussten früher grundsätzlich alle Fässer mit Portwein in diesen Kellern eingelagert werden. Da nunmal auch ich nicht irgendein Plagiat verkosten möchte, denke ich mir dort am ehesten fündig zu werden.

Von Berufs wegen ist mir ein bestimmter Keller auf Anhieb vertraut, und so begebe ich mich auf direktem Weg zum Sandeman-Keller, wo ich mich an einem Tisch mit Blick auf den Rio Ouro niederlasse und den Abend mit einer Sangria, bestehend aus Sandeman Porto Founders Reserve, Orangensaft und Grenadine einläute.

Als die Sonne hinter den Hügeln der Stadt versinkt, wird es zunehmend kühler. Ich beschließe den Abend hier am Rio Ouro mit einem Sandeman Porto Tawny auf Eis zu beenden und kehre anschließend leicht angebrütet in das Hotel zurück.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Caminho Português – Tag 17: Von Santiago de Compostela nach Porto

So habe ich die Kathedrale von Santiago leider nicht sehen können, da sie derzeit flächendeckend eingezäunt ist. Bei meinem letzten Frühstück in dieser wuseligen Stadt stoße ich jedoch im Internet auf dieses Bild, das ich der Welt nicht vorenthalten möchte.

Heute klingelt zum ersten Mal während meiner gesamten Zeit auf dem Caminho kein Wecker; ich schlafe aus und zwar unverschämt lange: Als ich wach werde, ist es schon 09:15 Uhr und spätestens jetzt erweist sich meine Entscheidung bezüglich der gewählten Abfahrtszeit also goldrichtig: 10:00 Uhr wäre stressig geworden. So aber habe ich noch richtig viel Zeit, also packe ich meine Sachen soweit zusammen, dass ich später nur noch meinen Rucksack nehmen und sofort losgehen kann. Dann verlasse ich das Hostel, überquere die kleine Gasse und betrete das Lokal, in dem ich schon so oft war in letzter Zeit, um mir dort zum letzten Mal in Santiago ein Frühstück zu gönnen. Danach hole ich meine Habseligkeiten aus dem Hostel ab und laufe los zum zentralen Busbahnhof von Santiago de Compostela. Das Charmante daran ist, dass es für mich (fast) unmöglich ist mich zu verlaufen, denn vom Hostel aus muss ich lediglich zwanzig Minuten immer der gleichen Gasse folgen und schon bin ich da. Einfach, nicht wahr? Ich schaffe es dann auch tatsächlich auf direktem Weg dorthin, bin allerdings viel zu früh da.

Der Alsa-Bus, der aktuell auf Fahrgäste wartet, fährt nach Paris, da ist die Verlockung schon sehr groß jetzt einfach da einzusteigen und loszufahren. Alternativ könnte ich aber auch einen Bus nach Hamburg oder Budapest nehmen. Mir war bis dato gar nicht bewusst, von wo aus überall Santiago per Bus angesteuert wird (Kein Kunststück, wenn ich bedenke, dass ich bis vor zwei Monaten nie gedacht hätte, selbst einmal nach Santiago zu laufen). Bei einem Gespräch zwischen zwei jungen Männern, die neben mir stehen, schnappe ich zufällig die Reiseroute von einem der beiden auf: Er fährt von Santiago nach Vigo, steigt dort um in einen Bus nach Karlsruhe, steigt dann erneut um und fährt mit dem nächsten Bus nach Stuttgart, nur um dort mit Bus Nummer drei nach Nürnberg zu fahren, von wo aus er dann einen Bus nach München nimmt. „Der ist noch jung“, denke ich mir, „der hat noch Zeit im Leben“. Braucht er in dem Fall auch, denn der Bus fährt um 11:30 Uhr hier in Santiago ab und wenn nichts schief läuft und er jeden Anschluss erwischt, wird er planmäßig um 22:45 Uhr in München ankommen – allerdings erst am morgigen Tag, womit die Fahrt einfach mal über 35 (in Worten: fünfunddreißig) Stunden dauert.

Mit meiner Wahl, übermorgen abend bequem in Porto das Flugzeug zu besteigen und über Brüssel innerhalb weniger Stunden nach München zu gelangen, bin ich nach wie vor sehr zufrieden. Wahrscheinlich kommen wir auch ungefähr zur gleichen Zeit an…

Mit der Zeit füllt sich die Plattform immer mehr mit Menschen, dann kommt der Bus an, der über Porto nach Lissabon fährt, ein Mann, der natürlich Deutscher ist (er kommt aus Düsseldorf), drängelt sich von ganz hinten durch die Schlange nach vorne, ständig laut rufend: „I think I was the first here at the bus station“. Seine Frau zeigt auf mich und und sagt zu ihrem Mann: „Der Mann dort war vor uns da, also darf er auch zuerst einsteigen“, woraufhin ich ihr mitteile, dass es mir völlig egal ist, als wievielter ich einsteige, solange ich einen Sitzplatz im Bus bekomme (was eh klar ist, denn es werden ja nicht mehr Tickets verkauft als Plätze vorhanden sind). „Hach ja, schön, diese deutsche Gelassenheit“ höre ich sie noch sagen (sie ist Inderin), grinse leise in mich hinein und suche mir einen Sitzplatz im Bus. Die Türen schließen sich, der Bus fährt los. Wir halten in einigen der Städte, die ich auf dem Hinweg laufenderweise durchquert habe. Als der Busfahrer erneut anhält und laut „Valença“ ruft, stelle ich sofort meine Armbanduhr eine Stunde zurück, denn jetzt gilt wieder portugiesische Zeit. (Achtung, Spoiler: Wer findet den Fehler? Dazu später mehr…)

Wir erreichen Porto pünktlich auf die Minute um 15:15 Uhr und ich gehe sofort in die Metrostation um mir eine Fahrkarte zur Haltestelle São Bento zu kaufen. Nachdem ich or ut zwei Wochen ja schon einmal kurz hier war, weiß ich jetzt wie das funktioniert.

Am Automaten neben mir stehen zwei junge Damen aus Deutschland, die offensichtlich total überfordert sind. Nachdem ich das Schauspiel einige Zeit verfolgt habe, kann ich nicht anders als mich einzumischen und so erzähle ich ihnen alles, was ich weiß: Dass das Papierticket 60 Cent extra kostet, dafür aber wiederaufladbar ist und die nächsten Fahrten dadurch günstiger sind. Dass eine Fahrt in der Innenzone 1,20 Euro kostet, maximal eine Stunde dauern darf und dass das Ticket bei jedem Umsteigen erneut am Bahnsteig entwertet werden muss, dass dadurch aber jederzeit eine Unterbrechung der Fahrt möglich ist. Und ja, dass eine Fahrt wirklich nur 1,20 Euro kostet. Die beiden bedanken sich überschwänglich bei mir und fragen mich, ob ich in Porto lebe. Wie süß!

Nachdem ich also die gute Tat des Tages vollbracht habe, fahre ich nach São Bento, laufe zur  Kathedrale rauf und hole mir an der Touristeninformation einen Stadtplan. Dort erfahre ich, dass die Straße, in der mein Hotel liegt, gleich an der Station, an der ich gerade ausgestiegen bin, beginnt, ich brauche also nur so lange laufen, bis das Hotel auf der rechten Straßenseite liegt. Unfassbar, wie gut es tut, statt „Herberge“ oder „Unterkunft“ oder „Hostel“ das Wort „Hotel“ zu schreiben. Das Zimmer ist zwar nur unwesentlich größer als ein Wohnklo, aber es hat eine Türe, die ich hinter mir schließen kann und dann bin ich alleine im Zimmer. Ich habe ein eigenes Bad, vor dem ich nicht morgens ewig anstehen muss um dann in Windeseile eine kalte Dusche zu nehmen, während der nächste Wartende bereits von außen an die Türe klopft. Und das beste überhaupt: Ich habe ein riesiges Doppelbett ganz für mich alleine. Um ehrlich zu sein: Normalerweise würde ich aus diesem Hotelzimmer rückwärts wieer rausgehen, aber unter den aktuellen Umständen und dafür, dass es mitten im Stadtzentrum liegt und gerade einmal 45 Euro kostet, ist es absolut in Ordnung.

Den Rest des Tages verbringe ich damit, durch die Gassen der Altstadt zu schlendern, ohne Ziel und weitab der Touristenmagnete. Als es dunkel wird, kehre ich zum Hotel zurück und lege mich entspannt ins Bett, nicht ohne ausgiebig die Stille um mich herum zu genießen.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Traurige Nachricht des Tages: Meinen treuesten Begleiter auf dieser Reise, mit dem ich allen Wetterlagen getrotzt und von dem ich jeden Tag eine Menge gelernt habe, muss ich wohl in Santiago aus den Augen verloren haben, denn als ich in Porto meinen Rucksack auspacke, ist mein Reiseführer nicht mehr da…