Caminho Português – Tag 18: Porto

Gestern abend habe ich mir einen Wecker gestellt, und zwar auf 08:15h, was meiner Meinung nach ein guter Kompromiss ist zwischen gemütlichem Ausschlafen und  genügend Zeit für eine ausgiebige Stadtbesichtigung. Der Wecker klingelt zwar zur eingestellten Uhrzeit, aber irgendetwas kommt mir spanisch vor (Notiz an mich selbst: Später noch fünf Euro ins Phrasenschwein werfen für dieses grottenschlechte Wortspiel). Ich schaue auf meine Armbanduhr und tatsächlich ist es erst 07:15h – da bin ich doch schon mal drauf reingefallen, und schon wieder habe ich beim Grenzübertritt nur meine Armbanduhr umgestellt und nicht auch mein Handy. Noch mal passiert mir das aber nicht!

Ein kurzer Blick auf den Stadtplan genügt und schon kann es losgehen: Das Hotel, in dem ich residiere, liegt direkt am Paços do Concelho, somit sind es nur ein paar Meter bis zur Igreja da Trindade. Von dort aus laufe ich durch die Rua da Conceição, die absolut touristenfrei ist (außer mir natürlich) und mit vielen kleinen Läden punktet. Aber ich bin ja nicht zum Shoppen hier, sondern um schöne Orte zu bestaunen, weshalb ich auch gleich den Praça Parada Leitao ansteuere.

Dort gibt es etwas kurioses, das ich so in dieser Form auch noch nicht gesehen habe: Zwei verschiedene Kirchen in einem einzigen Gebäude, mit getrennten Eingangstüren – links die Igreja dos Carmelitas, rechts die Igreja do Carmo, die linke mit einer unauffälligen, schlichten Fassade, die rechte 140 Jahre später im pompösen Barockstil in das Gebäude hineingebaut. Das ist für mich natürlich perfekt, denn so kann ich gleich zwei Sehenswürdigkeiten auf meiner Liste abhaken, bevor ich auf eben jenem Platz im Café Âncora d’Ouro ein ausgedehntes Frühstück zu mir nehme.

Keine drei Straßen weiter betrete ich die Igreja e Torre dos Clérigos, was sich auch für wenig religiöse Menschen lohnt, denn nach einem kurzen Aufstieg über 260 Stufen hat man einen wunderbaren 360°-Blick über die ganze Stadt. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, zuvor setze ich mich jedoch für einige Minuten in die Kirche und lausche dem Orgelkonzert, das erst vor wenigen Minuten begonnen hat.

Nachdem ich also dem Konzert gelauscht und anschließend die Stadt in ihrer gesamten Schönheit von oben bewundert habe, laufe ich zum anderen Ende der Rua dos Carmelitas und stehe auch schon in der Livreria Lello, einem Buchladen.

Aber nicht irgendeinem Buchladen, sondern einem Dauergast auf der Liste der 15 schönsten Buchläden der Welt. Komisch, kaum stehe ich drin und lasse das Interieur auf mich wirken, schon fühle ich mich wie in Hogwarts oder zumindest in der Winkelgasse. Das ist allerdings kein Zufall, denn Joanne K. Rowling hat in den 1990ern in Porto gelebt und studiert. Die Legende besagt, dass sie hier in diesem Buchladen gesessen und an ihrem ersten Harry-Potter-Buch geschrieben hat. Vielleicht ja sogar auf genau dem Stuhl, auf dem auch ich gerade sitze und diese Zeilen schreibe – dann bitte, Gott, lasse ein wenig von ihrem Talent und ihrer Phantasie auf mich abfärben!

Den Rest des Nachmittags streife ich wieder ziellos durch die kleinen Gassen der Altstadt. Auf meiner To-Do-Liste sind nur noch zwei Punkte offen: eine Francesinha essen und ein Glas Portwein trinken, denn beides gehört so untrennbar zu Porto wie Bier zu München. Den ersten Punkt möchte ich in einem kleinen Café auf der Rua dos Caldeireiros abhaken. Ich trete ein, frage die Frau hinter der Theke nach einer Francesinha, sie fragt: „Français? English?“, ich gebe ihr zu verstehen, dass ich englisch spreche und sie sagt daraufhin ein paar Sätze, die ich beim besten Willen nicht verstehe. Wir schauen uns eine Weile hilf- und ratlos an, dann packt sie mich am Arm, zerrt mich aus dem Laden, schiebt mich ein kleines Stück die Straße hoch und in das Restaurant „Arcos dos Loios“ hinein, sagt ein paar Worte zu dem Mann hinter der Theke und dann ist sie auch schon wieder verschwunden.

Nur wenige Minuten später steht sie (die Francesinha) vor mir, auf einem Riesenteller, den sie aber alleine so locker ausfüllt, dass die Pommes auf einem gesonderten Teller geliefert werden.

Um zunächst einmal zu klären, was eine Francesinha ist: Es ist quasi das Nationalgericht von Porto. Zur Herstellung nehme man soviele verschiedene Fleischsorten wie möglich, zwänge diese zwischen zwei Scheiben Toastbrot und überschütte das Ganze dann mit mindestens zwei Kilogramm geriebenem Käse. On top kommt noch eine vor Fett triefende Soße und das Gericht danach in den Ofen. Vor dem Servieren ist es essentiell noch ein in reichlich Fett ausgebackenes Spiegelei vorsichtig oben drauf zu drapieren.

Als ich zu Messer und Gabel greife und die Francesinha vorsichtig anschneide, meine ich ein leises Fiepen zu vernehmen – das sind die Kalorien, die ein Fest feiern aus lauter Vorfreude darauf sich in Kürze auf meine Hüften tackern zu dürfen. Ungelogen: Das Teil hat locker 2000 Kalorien! Gegessen wird dieses Gericht – so erzählt mir der Restaurantbesitzer später – übrigens ausschließlich mittags zum Lunch, aber nie abends zum Dinner, dazu sei es zu reichhaltig. Jetzt verstehe ich auch, warum die Portugiesen mittags drei Stunden Siesta machen, denn während ich aus dem Laden herausrolle, verfalle ich langsam aber sicher in ein Fresskoma.

Da in diesem Zustand Bewegung das Beste ist, rolle ich langsam aber sicher den Hügel hinunter in Richtung Rio Ouro, den ich über die Ponte Luis I überquere. Auf der anderen Seite des Flusses liegen die legendären Weinkeller, die ursprünglich gebaut wurden, um Plagiate beim Portwein zu verhindern. So mussten früher grundsätzlich alle Fässer mit Portwein in diesen Kellern eingelagert werden. Da nunmal auch ich nicht irgendein Plagiat verkosten möchte, denke ich mir dort am ehesten fündig zu werden.

Von Berufs wegen ist mir ein bestimmter Keller auf Anhieb vertraut, und so begebe ich mich auf direktem Weg zum Sandeman-Keller, wo ich mich an einem Tisch mit Blick auf den Rio Ouro niederlasse und den Abend mit einer Sangria, bestehend aus Sandeman Porto Founders Reserve, Orangensaft und Grenadine einläute.

Als die Sonne hinter den Hügeln der Stadt versinkt, wird es zunehmend kühler. Ich beschließe den Abend hier am Rio Ouro mit einem Sandeman Porto Tawny auf Eis zu beenden und kehre anschließend leicht angebrütet in das Hotel zurück.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

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