Caminho Português – Tag 9: Von Tivo nach Padrón

Mein erster Wecker klingelt um 07:00 Uhr. Der zweite um 07:15 Uhr, der dritte schließlich um 07:30 Uhr. Es ist mir egal. Ich werde um 07:55 Uhr wach, aber nicht etwa aufgrund eines vierten Weckers, sondern durch das geschäftige Treiben der fünf Damen in unserem Zimmer. Jeden Tag noch etwas später dran zu sein ist etas, das ich gerade sehr genieße, trägt es doch zu einer gewissen Grundgelassenheit und inneren Ruhe bei, die ich in meinem Leben so nicht gewohnt bin. Ich nehme also meine Wäsche von der Wäscheleine, wanke ins Bad, mache mich fertig und bin auch schon kurz darauf startklar.

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Pilgerkunst am Wegesrand: Ein mit viel Liebe verzierter Wegpfeil, der mir unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Wir schaffen immerhin zwei Kilometer, da lockt eine Bäckerei aun der Straßenecke mit einem unheimlich anziehenden Duft. Der ersten Versuchung (die beiden berühmten Thermalhotels von Caldas de Reis mit ihrer schier endlosen Auswahl an Massagen und sonstigen Anwendungen) kann ich noch widerstehen, aber das hier ist zu viel für mich. Wir gehen hinein, suchen uns etwas aus dem reichhaltigen Angebot aus und suchen anschließend draußen einen Platz. Das Frühstück der vergangenen Tage bestand meistens (wenn es nicht zufällig gerade ausgefallen ist wegen „keine Lust“ oder mangels Gelegenheit) aus einem Café con leche mit einem Croissant, heute gibt es dekadenterweise noch ein Glas frisch gepressten Orangensaft dazu. In jedem noch so kleinen Café hier in Spanien und Portugal steht üblicherweise einer dieser riesigen Automaten, in die ganze Orangen eingefüllt und diesem anschließend vollautomatisch halbiert und gepresst werden. Wäre das Gerät nicht so unfassbar groß bezüglich seiner Abmessungen und so unfassbar aufwändig bezüglich seiner Reinigung – ich hätte bestimmt schon längst eines davon in meiner Küche stehen. Da das aber nie passieren wird, nehme ich hier auf meiner Reise jede Gelegenheit wahr einen frisch gepressten Orangensaft zu mir zu nehmen. So auch hier in diesem Straßencafé, womit der Tag schon einmal sehr gut beginnt. Wobei er aber auch schon recht weit fortgeschritten ist, denn als wir dann nach dem Frühstück wirklich losgehen, ist es schon 09:30 Uhr.

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Noch mehr Pilgerkunst am Wegesrand.

Als ich mir den Streckenplan zur heutigen Etappe anschauen, stelle ich fest, dass etwa auf halber Strecke die Herberge von Valg liegt, und zwar im kleinen Weiler O Pino, aber diese Information ist eigentlich unnütz, denn die Weiler sind im Allgemeinen so klein, dass man sie eh nicht wahrnimmt. Daher hoffe ich, dass zumindest die Herberge ausgeschildert ist, denn dort möchte ich ein Foto der Pilgerskulptur machen, die in meinem Reiseführer abgebildet ist. Diese Bild habe ich im Vorfeld auch meinen Begleiterinnen gezeigt und auch sie sind fest entschlossen, dort vorbeizuschauen. So trennen sich also unsere Wege noch in Caldas de Reis, in der Gewissheit, dass wir uns nicht wie üblich erst am Zielort wieder treffen, sondern möglicherweise bereits in O Pino.

Etwa in der Höhe von O Cruceiro fängt es an zu regnen. Ich ahne nichts Gutes und verpacke erst meinen Rucksack und dann mich so gut es geht regenfest und dann dann geht es auch schon los: ein richtig schöner und heftiger Regen, wie man ihn beim Wandern echt gut brauchen kann. Aber es hilft ja nichts: Pilgern ist nun mal kein Strandurlaub in einer 5-Sterne-Ferienanlage, also muss ich da jetzt wohl durch.

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Ohne Worte…

Die Herberge von Valga ist der erste Ort, an dem ich Zuflucht vor der widrigen Witterung finde, zumindest unter dem Vordach, denn die Herberge selbst öffnet erst in einer Stunde, aber das kenne ich ja schon. Auch das unfreundliche Reinigungspersonal, das zwar die Herberge reinigt, mir aber einen Unterschlupf im Warmen (und sei es auch nur im Eingangsbereich hinter der Haustür auf dem Fußboden) verwehrt, ist mir schon geläufig. Ich nehme also auf dem Fußboden vor der Türe Platz und ziehe meine Schuhe aus um meinen Füßen ein wenig Erholung zu gönnen.

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… ebenfalls ohne Worte…

Nach einer halben Stunde treffen meine italienischen Mädels ein, denen ich von meinem Plan erzählt hatte hier einen Zwischenstopp einzulegen. Sie setzen sich zu mir unter das Vordach und wir warten gemeinsam auf besseres Wetter und auf Dorian und Sylvia. Ich hatte gehofft sie hier ebenfalls für ein gemeinsames Foto zu treffen, doch irgendwann gebe ich die Hoffnung auf. Entweder sie haben die Abzweigung nicht gefunden oder sie haben sich gegen den kleinen Umweg entschieden. Wie auch immer: Trotz einer Wartezeit von etwa neunzig Minuten tauchen sie nicht auf. Als der Regen aufhört, nutzen wir die Gelegenheit für eine kleine Fotosession an und mit der Skulptur, holen uns in der Herberge, die mittlerweile dann auch geöffnet hat, den obligatorischen Stempel ab und dann geht die Reise auch schon wieder los, es sind nur noch knappe zehn Kilometer bis Padrón zu bewältigen.

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Ein typischer Friedhof in Spanien.

Landschaftlich gibt es nichts Neues zu berichten, wie schon in den letzten Tagen wechseln sich Asphaltstrecken durch Weiler mit Sand- und Kieswegen durch Wald und Weinberge ab. Als ich kurz hinter der Herberge von Pontecesures die Flussbiegung des Rio Ulla erblicke, weiß ich, dass der Abzweig zum Kloster Herbon nicht mehr weit ist und ich befasse mich mit der Frage, ob ich dort vorbeischauen soll. Einerseits ist es schön anzuschauen, zumal der Himmel sich mittlerweile aufgeklart hat, und geschichtsträchtig ist der Ort auch, andererseits bedeutet das einfach mal einen Umweg von sieben Kilometer, woraufhin sich meine Füße und Beine entrüstet zu Wort melden. Wahrscheinlich haben sie bereits mitbekommen, dass ich sowieso nicht in dem Kloster übernachten würde, da Dorian mich dankenswerterweise bereits in der Albergue Corredoiras eingebucht hat.

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Das Bild habe ich von der Homepage der Albergue geklaut. Schaut doch bei Gelegenheit mal dort vorbei – auf der Homepage oder noch besser: In der Albergue. Es lohnt sich!

Als ich nach einer mental ziemlich harten Schlussetappe (der Weg hat sich hinten raus ziemlich gezogen), endlich dort ankomme, sind Dorian und Sylvia schon da, was mir der Hospitalero grinsend mitteilt. Also sind sie wirklich nicht nach Valga abgebogen, sondern gleich durchgelaufen. Wie jeden Abend freue ich mich unglaublich sie zu sehen.

Die Herberge gleicht einem Hotel: Es ist stylisch, sehr gut ausgestattet (Küche mit Geschirr, es gibt Wasserkocher und Kaffee, Tee und Kakao gratis), jeder hat einen eigenen abschließbaren Spind, mit eingebauter Steckdose und einen Vorhang vor dem Bett. Als ich mich testweise reinlege und den Vorhang zuziehe, fühle ich mich einen Moment lang wie in einer Schiffskoje.

Als wir komplett sind, ziehen wir los die Lokale des Ortes zu erkunden. Ein kleines Restaurant an der Rúa Castelao reizt uns aus einem ganz bestimmten Grund und wir betreten es zusammen mit unseren Italienerinnen. Warum? Ganz einfach: Als ersten Gang gibt es im Pilgermenü Spaghetti Bolognese – Die müssen wir einfach bestellen, alleine schon um unsere Mitreisende aus Bologna ein wenig aus der Reserve zu locken. Es folgt eine Essensschlacht vom Feinsten und wir kehren irgendwann pappsatt in die Albergue zurück.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

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