Kategorie: deep insight.

Caminho Português – Tag 6: Von O Porriño nach Cesantes

Zu der heutigen Etappe bekommt der Wanderführer trotz blumigster Beschreibung gerade einmal zwei Nettoseiten Text zusammen. Ich werde nicht im Entferntesten soviel hinbekommen. Im Prinzip ist alles mit folgenden drei Worten gesagt: Hirn ausschalten, laufen.

Es geht zunächst mäßig steil nach Mos, das nur aus folgenden Gründen überhaupt Erwähnung fndet:

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Der Pazo dos Marqueses de Mos stammt aus dem 17. Jahrhundert und war der Stammsitz der Markgrafen von Mos. Im 19. Jahrhundert abgebrannt, wurde es in den 1980er-Jahren wiederaufgebaut und dient seitdem als Sitz einer Stiftung. Die Story ist dünn, ich weiß, aber mehr gibt es zu dem Gebäude nicht zu sagen.

– Der Pazo dos Marqueses de Mos ist ganz nett. Nicht überwältigend, aber nett.

– In Mos gibt es das einzige Café auf dem Weg. Daher halten alle Pilger für eine kurze Rast dirt an. Der Mann hinterm Tresen, eh schon nicht der schnellste Vertreter der Fraktion, ist total überfordert. Als ich noch alleine bin, dauert es ungelogen geschlagene zehn Minuten, bis ich mich mit einem Milchkaffee und einem Blätterteiggebäck an einen Tisch setzen kann; später, als es merklich voller ist, muss ich ebenfalls zehn Minuten warten, nur um zwei Kalkgetränke zu bezahlen, die ich selbst aus dem Kühlschrank geholt habe um sie mitzunehmen. Er musste also nicht mal etwas suchen oder zubereiten, er musste nur kassieren. Ging nicht, hat ihn überfordert.

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Die Capela de Santiaguiño muss so klein sein, dass man sie leicht übersehen kann. Mir jedenfalls hat sie sich nicht gezeigt. Das stelle ich allerdings erst fest, als ich schon wieder im Abstieg begriffen bin und diese wundervolle Aussicht auf Redondela genießen darf.

– Das Café in Mos ist der einzige Ort auf der heutigen Etappe, an dem man den obligatorischen Stempel bekommt. Natürlich auch von besagtem Mann, natürlich nicht ohne erheblichen Zeitaufwand in Form von Wartezeit. Alles in allem verbringe ich gut eine Stuinde in dem Café, bevor ich meinen Rucksack schultere und die nächste Bergetappe zur Capela de Santiaguiño in Angriff nehme.

Kaum habe ich diese erreicht, beginnt auch schon wieder der Abstieg nach Redondela, das gleich mit Unterquerung des geschichtsträchtigen Viaducto de Madrid erreicht ist.

Das Viaducto de Madrid hat eine kuriose Geschichte erlebt: Insgesamt ist es in etwa vierhundert Meter lang und fünfzig Meter hoch.

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Viaducto de Madrid

Nachdem – aus welchen Gründen auch immer – niemals eine bauliche Abnahme stattgefunden hatte, kam es zu erheblichen Zahlungsverzögerungen. Einer der Finanziers wollte sich womöglich selbst von der korrekten Höhenangabe überzeugen und maß in schneller vertikaler Fortbewegung nach. Anders ausgedrückt: Er stürzte sich das Viadukt hinab und beging Selbstmord.Sollte jemand eine gewisse Ähnlichkeit zum Eiffelturm feststellen: Ein Schelm, wer Böses denkt. Gustave Eiffel hatte sich zwar auch für dieses Projekt beworben und ein Modell eingereicht, beauftragt wurde dann aber ein Mitbewerber Eiffels und heute bezeichnet man das Design als „nach dem Vorbild Eiffels“.

Es ist ungefähr Viertel vor zehn, die Herberge in Cesantes macht erst um zwölf auf. Cesantes liegt drei Kilometer hinter Redondela, ich habe also noch ewig Zeit. An der Albergue von Redondela versuche ich einen Stempel für mein Credencial zu bekommen, die macht aber erst um drei Uhr auf. Ich laufe also ohne Stempel durch die Stadt zum Hafen, denn Redondela soll laut Beschreibung als überregionaler Fischumschlagplatz bekannt sein. Vielleicht finde ich ja ein Fischrestaurant dort, denke ich mir. Den genauen Weg kenne ich nicht, kann ihn aber schon bald deutlich riechen.

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Der überregional bedeutsame Fischumschlagplatz. Ohne Worte…

Um es kurz zu machen: Es handelt sich um ein algenverseuchtes, stinkendes Drecksloch und (Überraschung!) es gibt auch weit und breit nichts, was auch nur im Entferntesten als Café oder gar Restaurant gezeichnet werden könnte, und somit gibt es hier auch nichts zu essen. Also laufe ich halt an der Küstenstraße entlang Richtung Cesantes, abseits des offiziellen Jakobswegs, was es hinten raus wieder  schwer für mich macht mich nicht zu verlaufen. Und siehe da: Ich verlaufe mich (natürlich) derart, dass ich irgendwann nicht einmal mehr sagen kann, in welche Richtung das Meer liegt. Den einzigen Mann, den ich nach ewiger Zeit auf der Straße sehe (was soviel heißt wie: Ich sehe nicht einmal andere Pilger, was soviel heißt wie: Ich bin nicht mal ansatzweise auch nur in der Nähe des offiziellen Weges), frage ich nach dem Weg. Okay, stimmt nicht ganz: Ich halte ihm den Wanderführer unter die Nase und zeige auf die Adresse der Herberge.

DSC_0724Er sagt mir, das müsse in der Nähe sein, denn ich sei schon in Cesantes. Mehr wisse er aber auch nicht. Das ist zumindest das, was ich verstehe, denn er redet ohne Unterlass auf Spanisch auf mich ein, sagt dann irgendwann auf Englisch „My wife“, läuft zum nächstgelegenen Gartentor, öffnet es, verschwindet im Haus, kommt mit seiner Frau wieder raus, ich zeige ihr die Adresse, sie macht ein undefinierbares Geräusch und schaut an mir vorbei ins Nichts. Dann gibt sie mir gestenreich zu verstehen, ich müsse immer dem Weg folgen, bis ich auf eine große Autostraße (hier macht sie ein Motorengeräusch nach und bewegt ihre Hände so, als habe sie ein Lenkrad zwischen diesen) treffe, an der ich dann rechts abbiegen müsse. Was sie dann sagt, dürfte auf Deutsch wahrscheinlich so viel heißen wie „Siehste dann schon“. Ich bedanke mich brav, laufe los und bin kaum zwanzig Minuten später an der Herberge, wo ich unmittelbar nach der Ankunft eine ausgiebige Regenwasser(!)dusche (was ein Luxus!) genieße.

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Pilgerkunst am Wegesrand. Irgendwo kurz vor Redondela.

Danach gehe ich zur Rezeption um mich anzumelden. Das Mädel auf der anderen Seite des Tisches spricht kein Wort Englisch, ich sage ihr, dass auf den Namen Sylvia drei Betten reserviert sind, sie geht ihre Listen durch, findet den Namen, liest die Bettennummern ab, die daneben verzeichnet sind, zeigt mir an, dass ich ihr folgen soll und kurz darauf stehen wir vor den Betten. Diese sind belegt. Nicht nur mit Gepäck, sondern auch mit den dazugehörigen Pilgern, die tief und fest schlafen. Verwirrt und hilflos schaut das Mädel mich an und zuckt mit den Schultern. Wir gehen zurück zur Anmeldung, wo kurz darauf auch die Hausbesitzerin eintrifft. Diese spricht fließend deutsch, ich sage ihr den Namen, sie geht ihre Listen durch, findet den Namen, liest die Bettennummern ab, die daneben verzeichnet sind, zeigt mir an, dass ich ihr folgen soll und kurz darauf stehen wir vor leeren Betten. Gottseidank!

Nachdem ich mich häuslich eingerichtet habe, juckt es mir dann doch in den Füßen, ich laufe die drei Kilometer nach Redondela zurück, suche die dortige Herberge erneut auf und laufe anschließend die drei Kilometer nach Cesantes wieder zurück, glücklich über meinen zusätzlichen Stempel aus Redondela. In Cesantes gibt es noch weniger als nichts, der Ort, in dem wir für heute unterkommen, hat gigantischen achtzig Einwohner. Das macht die Planung für den Rest des Tages ziemlich einfach, denn wo nichts ist, kann man auch nichts machen. Abendessen und Frühstück wird in der Herberge angeboten, ich brauche mich den Rest des Tages also nicht mehr groß bewegen. Guter Plan, wird von mir auch genauso umgesetzt.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Caminho Português – Tag 5: Von Tui nach O Porriño

Same procedure as every day: Mein Wecker klingelt um 05:00 Uhr. Ich bin sofort hellwach, schaue mich um und stelle fest, dass ich einer der letzten im Schlafsaal bin. Verwirrt schaue ich auf meine Armbanduhr, die 06:00 Uhr anzeigt.

Technik: 1 – Roman: 0. Ich habe beim Grenzübertritt zwar meine Armbanduhr umgestellt, nicht aber meinen Wecker. Damit hänge ich nun also schon mal gut eine Stunde hinter dem Zeitplan, bin aber (das muss ich zugeben) extrem fit und erstaunlicherweise komplett schmerzfrei an Beinen und Füßen. Vielleicht ist morgens später aufstehen ja doch die richtigere Taktik?

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Eine der vielen Grenzerfahrungen am Jakobsweg: Kunst. Unfassbar häßliche Kunst. Aber die Portugiesen stehen wohl drauf.

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Noch ein weiteres Beispiel für Kunst am Wegesrand. Das hier ist allerdings eine Art Werbeplakat: Der Künstler bittet mit diesem überdimensionalen Plakat um Spenden für seine Restaurierungsarbeiten von Kunstwerken in Santiago de Compostela.

Heute ist das sowieso in Ordnung, denn die Tagesetappe ist mit etwa siebzehn Kilometern angenehm kurz, praktisch ein erweiterter Spaziergang. Außerdem öffne die Herberge in O Porriño ihre Pforten erst um 15:00 Uhr, da ist also genug Zeit.
Als ist loslaufe, wird es schon langsam hell. Nach einem Kilometer durch das morgendliche Tui passiere ich das Tuihostel, eine weitere private Unterkunft am Caminho. Die Tür geht auf, Sylvia und Dorian kommen heraus. Wir laufen ein paar Meter zusammen, dann trennen sich unsere Wege.
Die heutige Etappe führt größtenteils über die Römerstraße XIX durch schöne Waldpassagen, zwischenzeitlich queren wir über die Ponte des Febres den Río San Simón, was dann aber auch schon das eigentliche Highlight der Etappe darstellt. Laut Reiseführer hätte ich heute auch in Valença starten sollen, dann wären die Ponte Internacional und das angrenzende Tui das Highlight gewesen. Ist es jetzt aber halt nicht.
Kurz hinter Orbenlle teilt sich der Weg: Die alte Variante führt über Asphaltstraßen durch die Vororte von O Porriño, die neue Variante durch Wälder und Wiesen. Da ich durch die ständigen Kopfsteinplaster- und Kieswegabschnitte gerade merkliche Fußprobleme habe, entscheide ich mich für die risikoärmere Variante und laufe durch die Stadt. Wie wenig es über die heutige Etappe zu schreiben gibt, merkt man daran, dass es der Wanderführer für beide Varianten zusammen gerade einmal auf vier Textseiten bringt, und das, obwohl er wirklich jede Kurve namentlich erwähnt.

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Diese Familie habe ich auf dem Weg getroffen und auch in den folgenden Tagen des Öfteren mal gesehen. Erstaunlich, wieviel Optimismus die drei ausgestrahlt haben – vor allem, wenn man weiß, dass die drei in der vergangenen Nacht keinen Platz in einer Herberge bekommen haben.

Nach einem flüssigen Durchmarsch komme ich um 10:20 Uhr als erster an der Herberge an. Ich stelle meinen Rucksack vor die Tür und setze mich an der Rückseite auf die Terrasse an einem kleinen Bachlauf. Irgendwann kommen zwei weitere Pilger, ich bitte diese kurz auf meine Sachen aufzupassen und gehe zurück in den Ort. Für ihr Talent die Nadel im Heuhaufen (in diesem Fall: interessante, nennenswerte Gebäude, Plätze oder sonstiges) zu finden sei der Autorin meines Wanderführers ein Orden verliehen, denn sie listet schon erstaunlich viel auf. Bis auf das Rathaus finde ich davon jetzt aber nichts wirklich spektakulär. Immerhin: Ich kaufe hier in einem kleinen Laden meine Jakobsmuschel, denn erstens gab es bisher nirgends eine zu kaufen und zweitens wird es jetzt langsam mal Zeit, denn kurz vor der Herberge (genauer gesagt: zweihundert Meter vorher) habe ich die magische Hundert-Kilometer-Marke überschritten. Ab hier wird es also endgültig ernst, wobei es egal ist, ob bis hierher bereits einhundert Kilometer zurückgelegt wurden oder zweihundertfünfzig oder eintausend. Der Zähler wird für alle aus Null gesetzt und die Karten neu gemischt. Die Spielregeln sind dabei recht einfach:
1. Laufen ist Pflicht und damit ausdrücklich erlaubt.
2. Alles, was nicht „Laufen“ genannt wird, ist nicht erlaubt.
3. Jeden Tag sind als Nachweis für die gelaufene Strecke zwei Stempel einzusammeln: einer in der Zielherberge, einer irgendwo unterwegs. Es dürfen auch gerne mehr als zwei Stempel sein, aber nicht weniger.
Einfach, nicht wahr?

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Anstellen nach Pilger-Art: Nachdem ich meinen Rucksack an der Tür abgestellt habe, einfach nur um ihn loszusein und mich auf die Terrasse setzen zu können, gesellen sich mit der Zeit immer mehr Gleichgesinnte dazu. Das Ergebnis: Eine astreine Warteschlange!

Wieder an der Herberge angekommen, laufe ich an einer akkuraten Warteschlange von Rucksäcken vorbei. Auch wenn diese bei mir zunächst ein breites Grinsen in Verbindung mit dem Kommentar „Typisch Deutsch“ hervorruft, ist sie dennoch notwendig, weil es in der Herberge nur zweiundfünfzig Betten gibt. Neuankömmlinge müssen daher nachzählen, wie viele Rucksäcke (bzw. eigentlich ja Pilger) schon einen Platz in der Herberge für sich beanspruchen. Stehen dort bereits zweiundfünfzig Rucksäcke, dann heißt es: Weiterlaufen und eine andere Herberge suchen.
Mittlerweile sind auch Sylvia und Dorian eingetroffen, wir suchen unsere Plätze auf entspannen ausgiebig und machen uns später auf den Weg in die Stadt.
Die Aktivitäten des restlichen Tages in Kurzform:
1. Kaffee und Kuchen beim Bäcker
2. Eis vom Süßwarenladen zwei Straßen weiter
3. Abendessen in einem Restaurant gegenüber vom Bäcker (siehe Punkt 1)
4. Eis vom Süßwarenladen zwei Straßen weiter (siehe Punkt 2)
5. Zurück zur Herberge. Schlafen.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

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Dieses Schild befindet sich am Eingang des Restaurant, in dem zu Abend essen. Erstaunlich, wenn ich ohne Spanisch-Kenntnisse den spanischen Satz besser verstehe als die deutsche Übersetzung.

Zu erwähnen sei noch, dass wir beim Abendessen zu dritt an einem Vierertisch saßen. Eine Frau, die alleine am Nachbartisch saß, haben wir eingeladen, sich zu uns zu setzen. Sie stellte sich vor als Giuliana aus Mailand. Sie lud ihrerseits kurz darauf zwei weitere Damen an den Tisch ein, der daraufhin spontan zu einem Sechsertisch erweitert wurde. Neu zur Runde gesellten sich Ana aus der Nähe von Lissabon und Josephina aus Bologna. In dieser Konstellation verbrachten wir dann auch die restlichen Abende bis zur Ankunft in Santiago de Compostela. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht vorgreifen, immerhin dauert es noch eine Woche, bis wir dort ankommen werden.

Caminho Português – Tag 4: Von Ponte de Lima über Rubiães und Valença nach Tui

Mein Wecker verrichtet seinen Dienst um 05:00 Uhr, woran ich mich langsam gewöhne. Sofort hellwach spitze ich meine Ohren und vernehme ein konstantes Rauschen: Es regnet, und zwar nicht nur ein wenig, sondern mal so richtig.
Das ist aus mehreren Gründen blöd:
1)    Ich muss heute die Bergetappe absolvieren und das ist bei Regen nicht einfacher.
2)    Meine Wäsche, die ich gestern nach draußen gehängt habe, hängt auch jetzt noch immer draußen.
3)    Die Backup-Kleidung, sprich meine dritte Hose und mein drittes Funktionsshirt, habe ich gestern mit der Post heimgeschickt.
Widerwillig packe ich die nassen Klamotten in eine Plastiktüte und verstaue diese ganz unten in meinem Rucksack. Die 1,8 Kilogramm Gepäck, die ich gestern verschickt habe, transportiere ich jetzt doch wieder, diesmal allerdings in Form von Regenwasser.

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So sieht der Weg also bei Tageslicht aus. Damit erklärt sich mir auch die Beschreibung im Wanderführer. Im Dunkeln ist da einfach… nichts. Einfach nur Dunkelheit.

Es ist noch stockdunkel als ich losziehe und das wird zu einem echten Problem, denn ich sehe absolut überhaupt nichts. Somit bediene ich mich halt der alten Chirurgenweisheit „Wo sehen nicht geht, ist fühlen keine Schande“ und taste mich voran. Die Wegbeschreibung beginnt mit einem Feldweg: „Er wird zum Pfad neben einem Bach, dann geht es kurz über Trittsteine neben einer Mauer weiter zu einem Feldweg.“ Ich ertaste mit den Füßen den Feldweg und folge ihm. Kurz bevor ich dagegen laufe, bemerke ich vor meinem Kopf eine Wand, die sich bei genauerer Untersuchung als Tunnel entpuppt, der erstens nicht in der Wegbeschreibung vorkommt und zweitens nur etwa 1,60 Meter hoch ist. Dass ich da durch muss, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mit den Händen taste ich nach links und rechts und fühle links von mir in Schulterhöhe die Trittsteine. Also bin ich wohl die ganze Zeit durch das Bachbett marschiert! Etwa eine halbe Stunde später ist es dann hell genug um wenigstens annähernd die Pfeile erkennen zu können.
In Ponte de Lima habe ich in der Herberge einen Prospekt von einer Fischfarm („Pescaria“) mit angeschlossenem Café gesehen, die wohl auf der heutigen Etappe liegen soll – ein perfekter Ort für ein Frühstück. Die Uhr zeigt 06:50 Uhr an, als ich die Tore der Pescaria erreiche, laut Infotafel öffnet sie um 07:00 Uhr. Ich beschließe daher zu warten, denn ein Kaffee wäre jetzt echt gut – alleine schon, weil es sich um ein warmes Getränk handelt, das ich an einem trockenen Ort zu mir nehmen kann, wobei vielleicht auch meine Kleidung ein wenig trockener wird. Ich warte bis 07:00 Uhr, ich warte bis 07:10 Uhr, um 07:20 Uhr gehe ich weiter, der Laden hatte immer noch nicht geöffnet. „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit“ heißt es doch so schön bei uns Deutschen. Bei den Portugiesen wohl eher: „Kommste heut‘ nicht, kommste morgen“.
Die nächste Chance auf einen Kaffee werde ich erst wieder in Codeçal haben und zwar in etwa sechs Kilometern. Ich schalte also mein Hirn wieder aus und laufe die kommende Stunde auf Autopilot. Bis Codeçal gibt es absolut gar nichts, wobei Codeçal auch nicht mehr ist als ein kleiner, gerade mal aus einer Handvoll Häusern bestehender Weiler.
Das Café ist… nun ja, ich sage es mal so: Normalerweise würde ich sofort wieder rückwärts rausgehen. Es stinkt erbärmlich, der Schimmel hat sich in (wahrscheinlich jahrelanger) penibler Kleinarbeit die Wände herabgearbeitet. Aber es gibt Kaffee. Dazu bestelle ich mir ein Plundergebäck als letzte Stärkung vor der Ochsentour. Dann nehme ich noch zwei Flaschen Nektar, zwei Flaschen Wasser und eine Dose Coca-Cola aus dem Kühlschrank. Um die Zeit zu nutzen breite ich meine triefendnassen Sachen – soweit möglich und hygienisch vertretbar – aus und lasse mir mein Frühstück schmecken.

Nach etwa einer halben Stunde packe ich alles zusammen und laufe los, nur um eine halbe Stunde später festzustellen, dass ich die Cola vergessen habe. Nachdem ich kurz darüber nachgedacht habe zurückzulaufen, muss ich über mich selbst lachen und gehe weiter in Richtung Bergetappe.
DSC_0657Und dann geht es auch schon los: Unerbittlich kündigt sich der Alto da Portela Grande de Labruja an. Was im Wanderführer lapidar auf acht Zeilen abgefrühstückt wird, stellt sich als dreistündige Tortur dar: Ständig geht es steil bergauf, mal auf Kopfsteinpflaster, mal sprichwörtlich über Stock und Stein, meist jedoch durch zentimeterdicken Schlamm. Dazu regnet es unnachgiebig. Kein Wunder, dass dieser Ort Labruja heißt, bedeutet das doch so viel wie „mühsam“. Nomen est omen, sag ich da nur!

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Das Franzosenkreuz (Cruz dos Franceses): Für die einen ein magischer Ort, für die anderen eine Möglichkeit Müll zu entsorgen. Den unten am Berg zu lassen wäre sinnvoller gewesen.

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Dostojewski’s „Verbrechen und Strafe“ hier liegen zu sehen ist schon episch. Die letzten Kilometer habe ich mich mehrfach gefragt, was ich wohl verbrochen habe um mit dieser Ochsentour bestraft zu werden. Vielleicht hilft dieses Buch ja weiter…

Nach einer Ewigkeit erblicke ich links des Weges das Cruz dos Franceses, das Franzosenkreuz, an dem Pilger traditionell Steine und Erinnerungsstücke ablegen. Unter anderem liegt dort das Buch „Verbrechen und Sühne“ von Dostojewski und angesichts der hinter mir liegenden Tortur muss ich darüber lachen. Was mich stutzig macht: Dort liegt auch eine Hose auf dem Boden und ich stelle mir spontan die Frage, wer zum Teufel so bescheuert sein kann seine Hose zu vergessen. Eine weitere Viertelstunde später habe ich eine Steilwand bezwungen und bin am höchsten Punkt angekommen.
Da Worte die hinter mir liegenden zwölf Kilometer kaum angemessen beschreiben können, möchte ich es mit einem bekannten Vergleich versuchen: Kurz nach der Schneeschmelze mit zwölf Kilogramm Gepäck auf dem Rücken durch knöcheltiefen Matsch den berühmten Hahnenkamm rauflaufen, das dürfte in etwa einen Eindruck vermitteln. Um nachvollziehen zu können wie ich mich dabei gefühlt habe, lauft den Hahnenkamm mit Gepäck einfach rückwärts hinauf.
Von jetzt an geht es erstmal bergab, mäßig zwar, aber immerhin. Etwas mehr als eine Stunde laufe ich, belohnt durch eine wunderschöne Aussicht über das Tal in Richtung Agualonga. Bis Rubiães ist es dann praktisch nur noch ein Spaziergang und so stehe ich um 10:30 Uhr nach viereinhalb extrem herausfordernden Stunden vor der Herberge.

Was ich mir vorher hätte überlegen sollen, ist, was ich nun gedenke bis 13:30 Uhr zu tun, dann beginnt nämlich erst der Check-In in die Herberge. Ich schaue mich um: Vor mir die Herberge, rechts ein kleines Café, links von mir; nichts. Na toll! In der Hoffnung jemanden zu finden, bei dem ich meinen obligatorischen Stempel abholen kann, laufe ich einmal um die Herberge herum. Als ich eine angelehnte, aber tendenziell offene Tür finde, verstehe ich als alter Geocacher das als schriftliche Einladung. Ich öffne die Tür, was von einem schauerlichen Quietschen der Scharniere begleitet wird, und trete ein.
Mir wird sofort unwohl. Von der Decke hängt an einem Stromkabel eine einfache, sehr dreckige Glühbirne herunter, die nur ein fahles Licht spendet. Ich vernehme ein leises, regelmäßiges Klacken, dass von einem Falter verursacht wird, der hektisch um die Lichtquelle kreist und gelegentlich dagegen fliegt. Abgesehen von der einen Glühbirne ist es dunkel in dem Raum. Rechts von mir steht ein Herd, auf dem in einem Kessel Wasser kocht.

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Vielleicht tue ich ihr ja auch Unrecht und sie sieht ganz normal aus. Wäre das Licht angegangen und ich hätte so etwas vor mir gesehen – ich wäre auf der Stelle tot umgefallen. Darauf möchte ich es nicht ankommen lassen und suche schnellstmöglich das Weite.

Hinten links an der Wand geht eine Tür auf, eine gebückte Person betritt fast lautlos den Raum. Sie kommt schlurfend auf mich zu und schaut mich aus leeren tiefschwarzen Augen ausdruckslos an. In diversen Internetforen habe ich im Vorfeld meiner Reise gelesen, dass die Hospitaleros größtenteils für begrenzte Zeit ehrenamtlich arbeiten. Da ihnen oft die Erfahrung fehlt und/oder sie die Tätigkeit unterschätzen, sind viele nach wenigen Wochen total ausgebrannt. Wenn Burnout einer Definition bedürfte – sie stünde gerade leibhaftig vor mir. Soweit die reflektierte Bewertung der Situation, in dem Moment ging mir – das muss ich zugeben – ganz schön die Pumpe. Ohne jemals auch nur eine Folge der Serie gesehen zu haben: So stelle ich mir „The Walking Dead“ vor.
Da ich keine große Lust verspüre als x-beliebige Nebenrolle in einem Horror- oder Splatterfilm zu enden, die vom Publikum für ihre spektakuläre Art des Ablebens gefeiert wird, bleibt mir eigentlich nur eine Alternative: Ich muss weg von diesem Ort, und zwar so schnell wie möglich, und das, obwohl ich schon eine quälende Bergetappe hinter mir habe.
Auf die vergangenen 18 Kilometer von Ponte de Lima folgen nun also weitere 19 Kilometer von Rubiães nach Valença do Minho. Ich laufe durch eine Gegend, die der Wanderführer als „das weit gestreute Rubiães“ beschreibt und nehme langsam aber sicher den nächsten Anstieg in Angriff. Es läuft jetzt richtig rund, was wohl auch an der Gewissheit liegt, nun in regelmäßigen Abständen in einer Herberge unterkommen zu können – auf den vergangenen 18 Kilometern gab es diese Möglichkeit nicht.

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Stets mein treuer Begleiter: Die Römerstraße XIX.

Nachdem ich heute Morgen in Ponte de Lima so früh gestartet bin, dass ich alleine unterwegs war, sind mir nun die Pilger aus Rubiães um mindestens zwei Stunden voraus, so dass ich wieder keine Menschenseele antreffe.
Auf dem Gipfel in São Bento da Porta Alberta angekommen sehe ich zwar die dortige Kapelle, scheine aber die dortige Herberge verpasst zu haben. Jedenfalls befinde ich mich schon wieder im Abstieg und laufe strammen Schrittes auf Paços zu. Über Gontumil, Pereira und Fontoura erreiche ich Paços dann auch nach etwa zwei Stunden, lasse die Herberge links (oder war es rechts?) liegen, überquere die wirklich schöne Ponte Romana de Pedreira und tausche kurz danach die alte Römerstraße XIX gegen ein unspektakuläres Industriegebiet ein.
Mit Übertreten der Stadtgrenze von Valença verliere ich vollkommen die Orientierung. Mit Händen und Füßen frage ich mich durch und halte jedem, der mir begegnet, die Adresse der Herberge von Valença unter die Nase. Die Herberge selbst kennt (natürlich) kaum jemand, wohl aber die Feuerwehrstation, die sich gleich daneben befindet. Na also, geht doch!

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Die Festungsanlage von Valença birgt ein kleines Juwel: Eine schöne Stadt, in der das Leben pulsiert. Leider hatte ich hier nicht viel Zeit zum Verweilen, werde aber bestimmt noch einmal hier herkommen.

Kurze Zeit später halte ich meinen Pilgerpass in den Händen und erhalte einen Stempel in der Herberge. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die beeindruckende Festungsanlage von Valença, die mir nur darauf zu warten scheint von mir erobert zu werden.
Durch nahezu alle Jahrhunderte hindurch haben sich die unterschiedlichsten Völker um diese Stadt geprügelt und die Portugiesen konnten sich aufgrund der beeindruckenden Fortaleza stets behaupten. Noch heute ist Valença eine der größten und am besten erhaltenen militärischen Anlagen Portugals. Die Herausforderung nehme ich an und stürme los. [Das ist die literarische Version, gut, dass es keine Film- oder Fotoaufnahmen meines „Sturms“ gibt.]
Valença ist die erste wirklich schöne Stadt seitdem ich Porto verlassen habe. Die Straßen sind voll von Menschen, das Leben pulsiert und ich bin mitten drin – halbtot zwar und leider viel zu kurz, denn nach etwa zwanzig Minuten habe ich die Fortaleza auf der anderen Seite schon wieder verlassen und laufe über die Ponte Internacional, die den Grenzfluss Rio Minho passierbar macht.

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Ein emotionaler Moment: Nach einer Mörderetappe verlasse ich Portugal und mache mich auf den Weg zu meinem Etappenziel, der Herberge von Tui.

Nun also in Spanien angekommen, stelle ich zuallererst meine Armbanduhr auf spanische Zeit um und laufe die letzten zwei Kilometer bis zur Herberge in Tui. Kurz vor dem Ziel gehe ich auf den Treppenstufen der Kathedrale demütig in die Knie. Nach vierzig Kilometern und neun Stunden Wanderung – zweimal das Hochgebirge raus und wieder runter – bin ich total am Ende, als ich die Türe zur Herberge öffne. Wie üblich bei der Anmeldung gebe ich der Hospitalera meinen Pilgerpass um den obligatorischen Stempel zu erhalten. Sie schlägt das Heft auf, schaut es an, schaut mich an, setzt ihre Brille auf, schaut meinen Pass an, steht auf, kommt zu mir her, greift prüfend erst an meine Oberschenkel, dann an meine Waden, und sagt: „Stupido!“. Besser hätte ich es nicht zusammenfassen können.
Ich suche mein Bett auf, lasse mein Zeug fallen und humple zur Dusche, die ich nach etwa einer Viertelstunde als neuer Mensch verlasse. Bei der anschließenden ausgiebigen Stadterkundung sehe ich Sylvia und Dorian an einem Tisch vor einem Café sitzen. Die beiden habe ich am ersten Abend im Kloster bereits getroffen. Sie winken mich her und laden mich ein an ihrem Tisch Platz zu nehmen, was ich auch gerne tue. Nach einem gemeinsamen Abendessen kehre ich in die Herberge zurück und falle tot ins Bett.

Die Catedral de Santa Maria – das erste und letzte, was ich an diesem Tag von Tui sehe. Seit 1120 steht sie hier und trotzt wacker der Trutzburg Valença auf der anderen Seite des Rio Minho.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Caminho Português – Tag 3: Von Barcelos nach Ponte de Lima

Fazit der vergangenen Nacht – Worauf ich mich freue:

  1. Eine anständige Matratze auf einem Lattenrost
  2. Einschlafen ohne Ohrstöpsel
  3. Aufwachen zu einer akzeptablen Zeit
  4. Eine heiße Dusche

Auf der linken Seite des Schlafsaals herrscht Ordnung. Diese (eigentlich) typisch deutsche Eigenschaft darf ich in den folgenden Tagen noch öfter wahrnehmen.

Was ich bekomme: Nichts davon. Ich fühle mich wie gerädert als um 05:00 Uhr mein Wecker klingelt vibriert. Der Schlafsack klebt an mir, sodass ich zunächst nicht in der Lage bin aufzustehen. War aber auch nicht anders zu erwarten, denn wir residieren mit zwanzig Personen in einer Dachkammer, da kann es schon mal warm werden. Vor allem, wenn beide Dachfenster und die Terrassentüre hermetisch verschlossen werden. Mein Einwand („Es sind schon viele erstunken, aber noch keiner erfroren“) hat offensichtlich keinen Anklang gefunden und so herrschen nun halt saunaähnliche Temperaturen hier im Schlafsaal.

Irgendwann schaffe ich es dann doch mich aufzuraffen, ich schlafwandle in den Waschraum, drücke den Duschknopf, bereue das sofort wieder und überlege, ob das Duschwasser vielleicht wärmer wäre, wenn ich mich einfach vor die Haustür in den Regen stelle, beschließe dann, dass mir das total egal ist, trockne mich ab und gehe zurück in den Schlafsaal.

Der Vorteil an der aktuellen Schlafsituation ist, dass ich keinerlei Verlangen spüre mich nochmal „nur ein paar Minuten“ hinzulegen. Stattdessen packe ich in Ruhe mein Zeug zusammen und stehe um kurz vor sechs vor der Tür der Herberge.

Als ich die ersten gelben Pfeile sehe, die mir inzwischen schon fast vertraut sind, marschiere ich los, bekomme aber nach kurzer Zeit das leichte Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die Bestätigung liefert mein GPS-Gerät: Der Weg, den ich gerade laufe, führt nach Süd-Westen, Santiago liegt aber im Norden. Dahin richte ich nun auch meinen Weg aus und laufe solange geradeaus, bis ich wieder die Pfeile sehe. Später, nach Tagesanbruch, werde ich im Wanderführer nachlesen, dass ich anfänglich eine Variante gelaufen bin, die etwa zwei Kilometer länger ist als der Hauptweg. Das geht ja schon mal gut los…

So hätte die heutige Etappe aussehen können, wäre ich nicht (vor allem ganz zu Anfang) noch ein paar Extrakilometer gelaufen. Aber so ist das Leben: Es gibt nicht immer zielstrebig geradeaus.

Irgendwann wird es hell und von da an läuft es flüssig – der Weg ist (so es denn hell genug ist diese zu sehen) mit gelben Pfeilen sehr gut markiert. Die ersten zwei Stunden bin ich alleine auf weiter Flur, viele scheinen gestern Barcelos übersprungen und eine Unterkunft in Portela de Tamel aufgesucht zu haben. Dass ich das definitiv nicht mehr geschafft hätte, merke ich heute: Es ist nicht nur so, dass ich etwas mehr als zwei Stunden dorthin brauche, es ist zusätzlich dadurch beschwerlich, dass es in recht kurzer Zeit einhundertneunzig Höhenmeter bergauf geht. Selbst jetzt – zu Beginn meiner Etappe – komme ich da ganz schön ans Schnaufen.

Was mich jedoch antreibt ist die Tatsache, dass nach neunzehn Kilometern eine Herberge auf dem Weg liegt, die Casa da Fernanda, und ich somit die Möglichkeit habe, hier eine Nacht zu pausieren (was der Wanderführer auch empfiehlt). Etwa eine Stunde hinter Portela de Tamel treffe ich auf die ersten Pilger, die genau das getan haben, und so fange ich an, das Feld von hinten aufzurollen.

Eine Pilgerin heftet sich an meine Fersen, da wir ungefähr das gleiche Tempo laufen, und wir kommen ins Gespräch. Ich stelle erstaunt fest, was man so alles in relativ kurzer Zeit über fremde Personen erfährt. Wobei „relativ kurz“ hier wirklich relativ ist, denn wir werden den gesamten Tag miteinander verbringen.

Sie kommt aus Ungarn, genauer gesagt aus Budapest, ost dreiundzwanzig Jahre alt und studiert Medizin. Nebenher würde sie gerne im Rettungsdienst arbeiten, was den Medizinstudenten in Ungarn aufgrund eklatanten Fachkräftemangels durchaus erlaubt ist, allerdings nur den männlichen Studenten der Medizin. Ihr Name Amarilla heißt „gelb“ auf Spanisch. Ihre Großmutter liebte den Klang des Namens und wollte ihn ihrer Tochter, der Mutter von Amarilla geben, was aber aufgrund der politischen Situation im Ungarn der Sechzigerjahre nicht ging – der Name wurde nicht als Name anerkannt. Ihre Mutter gab also ihr – der Großmutter zuliebe – den Namen. Amarilla hasst die Farbe gelb und bekam daher von ihrer Mutter die Erlaubnis, den Namen jederzeit ändern zu dürfen.

Amarilla hat einen ausgeprägten Hundefetisch: Egal, ob in einen Straßencafé unter dem Tisch zu Füßen des Besitzers liegend oder als total verdreckte Flohschleuder am Wegrand vor sich hinvegetierend – jeder Hund wird bewundert, angesprochen und gestreichelt, ob er will oder nicht. Ich hätte echt mal messen sollen, wieviel Zeit dafür draufgegangen ist.

Während unserer Unterhaltung verliere ich so derart die Orientierung, dass ich auf der Landkarte nicht im Entferntesten nachvollziehen kann, wo wir uns gerade befinden. Das einzige, das ich irgendwann relativ sicher sagen kann, ist, dass wir die Casa da Fernanda verpasst haben müssen, womit sich die Option der Etappenunterbrechung wohl erledigt hat.

Habe ich schon einmal erwähnt, dass meine Füße mich umbringen? Als wir einen Trinkwasserbrunnen mit zwei Bänken erreichen, kann ich der Versuchung nicht widerstehen: Wir setzen uns, ich ziehe miene Schuhe aus und leide eine halbe Stunde still und leise vor mich hin. Mittlerweile glaube ich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen zu können, dass wir noch etwa siebzehn Kilometer Wegstrecke vor uns haben. Da kommt ein deutscher Pilger förmlich auf uns zugeflogen, hält an, lacht und fragt, ob das unser Ernst sei hier eine Pause zu machen. Als ich ihm mitteile, dass ich total am Ende sei, meint er, das sei auch kein Wunder bei meinem Rucksack und ich solle die Hälfte meines Gepäcks mit der Post heimschicken. Und auf den Weg machen solle ich micht auch, denn bis zu unserer Zielstation Ponte de Lima seien es nur noch sieben Kilometer.

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Die Brücke, die im 1. Jahrhunder vor Christus durch die Rümer gebaut wurde und seither den Rio Lima gefahrfrei passierbar macht. Im Jahr 1125 erteilte Gräfin Teresa, Tochter von Alfonso VI., König von Kastilien und León, der „Terra de Ponte“ (etwa: „Gebiet der Brücke“) das Markt- und Stadtrecht, woraus die Stadt Ponte de Lima bis heute ableitet sich als älteste verbriefte Stadt Portugals bezeichnen zu dürfen.

Als ich das höre, fällt mir eine Last von den Schultern. Wir gehen los und errechen bald darauf Ponte de Lima. Dabei bin ich so motiviert, dass wir die städtische Jugendherberge, die etwa einen Kilometer vor dem Zentrum liegt, locker passieren und noch gute zwei bis drei Kilometer bis zur Albergue de Peregrinos Casa do Arnado laufen. Vom Erreichen des Ziels bis zur Öffnung dauert es noch knappe vier Stunden. Wir parken unsere Rucksäcke in einem Café gleich nebenan und machen uns auf die Stadt zu erkunden.

Ich vergesse zeitweise meine schmerzenden Füße, denn in Ponte de Lima gibt es so viel zu sehen und bestaunen, wie auf der gesamten bisherigen Tour noch nicht – dass dieser Ort eine weitreichende Geschichte hat, wird an jeder Ecke sichtbar und deutlich.

Auf dem Caminho laufe ich die letzten Meter unter Bäumen durch eine schön gestaltete in beeindruckende Platanenallee. An deren Ende den Blick nach links zum Flußufer schwenkend erblicke ich eine Reihe von Soldatenfiguren, die dort am Ufer stehen. Bei genauerer Betrachtung fällt auch die auf der anderen Seite des Flusses stehende Statue auf, ein einzelner Soldat auf einem Pferd. Die Geschichte dazu ist wie folgt:

pontedelimaletheIm zweiten Jahrhundert vor Christus machte sich Konsul Decimus Junius Brutus Callaicus mit seinen Soldaten auf den Weg den Norden der Iberischen Halbinsel zu erobern. Als die Soldaten am Rio Lima ankamen, verweigerten sie die Überquerung denn sie erinnerten sich an die Schriften der Antike.

Schon Vergil erwähnte einen Fluss namens Lethe, der einer der Flüsse in der Unterwelt der griechischen Mythologie ist. In seinem Werk „Aeneis“ erfährt erfährt der trojanische Prinz Aeneas, als er seinen Vater Anchises im Totenreich besucht, von diesem Folgendes:

„Die Seelen nun, denen das Fatum andere Leiber bestimmt, / schöpfen aus Lethes Welle heiteres Nass, so trinken sie langes Vergessen.“

An dieser Stelle herzlichen Dank an meinen Lateinlehrer, der mich damals in der mündlichen Latinumsprüfung mit einem Ausschnitt aus diesem literarischen Werk gequält beglückt konfrontiert hat. So viele Jahre hat es gedauert zu erfahren, wofür die Arbeit damals gut war.

Zurück zum Thema: Die Schriftsteller der Antike schrieben diese Eigenschaft, nämlich dass derjenige, der vom Wasser der Lethe trinkt vor dem Eintritt ins Totenreich seine Erinnerung verliert, auch dem Fluss Limia zu, vor dem ich gerade stehe und vor dem damals eben auch Konsul Decimus Junius Brutus Callaicus mit seinem Gefolgsleuten stand.

Die Schriften kannten auch seine Soldaten und somit weigerten sich diese beharrlich den Fluss zu überqueren. Zumindest solange, bis der Konsul zur Tat schritt: Er querte den Fluss und rief von der anderen Flussseite jeden einzelnen seiner Soldaten beim Namen. Hätte er tatsächlich den Fluss Lethe gequert, hätte er sich wohl kaum an die Namen erinnern können.

Die Soldaten, die überrascht waren, dass ihr General sich ihrer Namen erinnerte, überquerten daraufhin den Fluss ohne Furcht. Diese Handlung bewies, dass der Fluss Limia nicht so gefährlich war, wie er in den lokalen Mythen beschrieben wurde. Um zukünftig die Querung des Rio Lima zu beschleunigen (der Konsul hatte wohl auch keine große Lust, jedes Mal vorreiten und den Haiopei machen zu müssen), bauten die Römer im Anschluss die Brücke. Erste Vorboten von Ponte de Lima waren geboren.

PonteDeLimaPostOffice

So sieht es aus, wenn mir sprichwörtlich eine Last von den Schultern genommen wurde. Vielen Dank dafür an die portugiesische Postgesellschaft!

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass ich den Tipp meines Mitpilgers ernst nehme und in Ponte de Lima als allererstes das Postamt aufsuche: Ein ganzer Haufen sinnloser Dinge (Wer braucht schon einen iPod und eine Badehose?) wandert in ein Päckchen und so machen sich beinahe zwei Kilogramm Gepäck vorzeitig auf den Rückweg nach Deutschland.

Von dieser Last befreit laufen wir durch die Stadt, bewundern alte Gemäuer, wie zum Beispiel den Torre da Cadeia Velha aus dem 16. Jahrhundert, der bis in die 1960er-Jahre als Gefängnis diente und nun die Touristeninformation beherbergt, flanieren durch die schönen Gärten des Parque Temático do Arnado und freuen uns des Lebens.

Als um 17:00 Uhr die Restaurants öffnen, gönnen wir uns ein Pilgermenü und kehren direkt danach in die Pilgerunterkunft zurück, wo ich sofort bei Kontakt mit der Matratze in eine gnädige Ohnmacht falle.

Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Ich habe vor der Nachtruhe noch Wäsche gewaschen und draußen auf der Terrasse zum Trocknen aufgehängt. Das war blöd, was ich aber erst am nächsten Tag feststellen werde.

Caminho Português – Tag 2: Von Vilarinho nach Barcelos

Eigentlich könnte ich mir ja die Zeit nehmen, den Tag entspannt angehen zu lassen, aber nachdem ich eh um 05:00 Uhr bereits hellwach bin, trage ich meinen Rucksack aus dem Zimmer in die Küche um ihn dort entspannt zu packen. Nach meinem großen Weckruf mag ich niemanden mehr stören. Frühstück fällt aus wegen ist nicht – ich habe zwar etwas dabei, aber so früh am Morgen kann ich noch nichts essen. So verlasse ich um kurz vor sechs das Kloster und starte (wie episch! Ist aber wirklich so passiert…) mit dem ersten Hahnenschrei in den Tag.
Nachdem ich gestern in der Hitze einfach stur mit Tunnelblick geradeaus gelaufen bin, möchte ich heute möglichst weit kommen, bevor es heiß wird, und noch Zeit haben, die ein oder andere Sehenswürdigkeit am Wegrand angemessen zu würdigen.
Der Weg führt mich – Überraschung! – wieder über Straßen, mal Asphalt, mal Kopfsteinpflaster, dann wieder Asphalt (, der zum Laufen definitiv angenehmer ist). Auf den ersten zwölf Kilometern bis Rates passiert überhaupt nichts. Die Straßen sind leer, die Weiler scheinen verwaist, kein Mensch weit und breit.

Die Igreja Românica de Rates (auch genannt; Igreja de São Pedro de Rates) stammt aus dem 12./13. Jahrhundert und hat damit bereits deutlich mehr Regen abbekommen als ich heute.

In Rates fülle ich meine Wasservorräte auf, hier ist der erste Tante-Emma-Laden, seitdem ich Vilarinho verlassen habe. Gott hat das wohl als Zeichen verstanden, denn kaum lasse ich mich vor dem Laden nieder um mein feudales, reichhaltiges Mahl (trockenes Brot und stilles Wasser) zu genießen, fängt es auch schon an zu regnen. Also packe ich meinen Rucksack wasserdicht ein und ziehe meine Regenjacke an, die ich übrigens für den Rest des Tages tragen darf.

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Die Capela da Senhora das Brotas steht seit dem 15./16. Jahrhundert mitten in der Pampa. Gewidmet ist sie (Überraschung!) der Senhora das Brotas, der Jungfrau der Blüten. Diese gilt als Schutzheilige der Tiere. Aufgrund mangelnder Alternativen bleibt der Kapelle nicht anderes übrig als sich die Zeit mit Pedra Furada zu vertreiben.

Die halbseitige Beschreibung von Sehenswürdigkeiten in Rates stammt offensichtlich von dem Drehbuchautor der Rosamunde-Pilcher-Filmreihe. Er ist es ja gewohnt, um Nichts viel Theater zu machen. Das Einzige, was ich finde, ist die Igreja Românica de Rates, die (a) geschlossen und (b) ziemlich unspektakulär ist.
So lasse ich Rates hinter mir und nehme Kurs auf Petra Furada. Plötzlich jagt ein Highlight das nächste:
(1)    Ich laufe durch einen Wald.
(2)    Ich laufe auf Kies- und Schotterwegen.
(3)    Mir begegnen zum ersten Mal unterwegs Menschen. Wobei „begegnen“ nicht ganz korrekt ist, aber ich werde von drei Radlern überholt, von denen der letzten mir „Bom Caminho“ zuruft.

Der Pedra Furada, auf deutsch: durchlöcherter Stein. Der Legende zufolge hat eine Heilige, die darunter lebendig begraben worden war, diesen mit ihrem Kopf durchbrochen. Das ist dann auch schon die ganze Geschichte. Recht dünn, aber für einen Ort wie Pedra Furada (nach dem Stein benannt), reicht es dann doch völlig aus.

Tief beeindruckt von diesem Erlebnis fliege ich die letzten fünfzehn Kilometer durch die Landschaft, mache in Pedra Furada noch ein Foto von dem Stein und erreiche kaum zwei Stunden später Barcelos, allerdings auf der letzten Rille.

Von dem Plan noch zehn Kilometer weiter bis nach Portela de Tamel zu laufen um damit die morgen anstehende Mörderetappe nach Ponte de Lima (grob geschätzte fünfunddreißig Kilometer) abzukürzen verabschiede ich mich, als ich um 12:20 Uhr halbtot in die Albergue Cidade de Barcelos falle.

Gleich nebenan ist ein kleines Bistro, für das in der Unterkunft geworben wird: Das Pilgermenü beinhaltet eine Hauptspeise, ein Kalkgetränk und einen Espresso und kostet sechs Euro. Da kann man nichts falsch machen, denke ich mir und gehe rüber. Dort erklärt sich mir auch, warum – abgesehen von der räumlichen Nähe – für dieses Lokal geworben wird: Hinter dem Herd steht die Frau, bei der ich zuvor in der Unterkunft eingecheckt habe.

Es gibt zwei Menüs zur Auswahl: Rindersteak oder Lachs. Instinktiv entscheide ich mich für den Lachs, werde an einen Tisch geführt (was echt putzig ist, da der Laden bis auf einen weiteren Pilger gähnend leer ist). Während ich gerade dabei bin, den ersten Tag literarisch nachzubereiten, kommt das Essen: Zunächst eine Kartoffel-Lauch-Suppe in XXL-Portion, die so köstlich ist, dass ich mich am liebsten reingelegt hätte. Gleich im Anschluss wird mir eine wahre Schlachtplatte kredenzt, anders lässt sich die Masse an Pommes und Salat nicht beschreiben. Mitten drauf thront ein etwa drei Zentimeter dickes Lachs-Kotelett. Dazu bekomme ich noch eine Dose Coca-Cola und nach dem Essen einen Espresso, alles zusammen für schlappe sechs Euro – das deckt (ohne, dass ich mich da jetzt sonderlich gut auskenne, nicht mal im Ansatz den Einkaufspreis, zumal der Lachs frisch vom gleichen Tag ist – die Kühlbox vom Fischgroßmarkt steht noch hinter mir auf dem Tisch.
Nach dem Essen laufe ich noch ein wenig durch Barcelos, vor allem habe ich die Erkenntnis, dass die Bezeichnung „Wirtschaftszentrum“ relativ zur Umgebung ergibt, vor allem, wenn es sich mitten im Nichts befindet.

An Hässlichkeit nicht zu überbieten: Der Hahn von Barcelos, das Nationalsymbol Portugals. Faszinierend ist die Vielfalt, mit der diese Hässlichkeit an den Tourist gebracht wird – es gibt Statuen, Ohrringe, Anhänger, T-Shirts und und und…

In der Stadt werde ich gebeten, einen Fragebogen zum Tourismuskonzept der „Lenda do Galo“, der Legende des Hahns auszufüllen. Bei dem Hahn handelt es sich um das allgegenwärtige Nationalsymbol Portugals. Es ist praktisch derart allgegenwärtig, dass ich während meiner bisherigen Wanderung noch nicht ein einziges Mal damit konfrontiert wurde. Mir sagt somit weder der Hahn noch die Legende etwas, aber da der Mann mir doch ein wenig leid tut und ich ihn nicht vor den Kopf stoßen möchte, fülle ich den Fragebogen halt aus. Danach Kehre ich hundemüde in die Herberge zurück, lege mich hin und werde gegen halb neun von einer barmherzigen Ohnmacht übermann.
Der Wecker wird morgen wieder unbarmherzig um 05:00 Uhr seine Arbeit aufnehmen, dann aber hoffentlich mit Vibrationsalarm.
Es war Abend, es wurde Morgen – ein neuer Tag!

Caminho Português – Tag 1: Die Anreise, und: Von Porto nach Vilarinho

Unermüdlich klingelt der Wecker. Ich stehe sofort auf, heute brauche ich nicht einmal die Schlummertaste. Dass ich topfit bin, könnte auch daran liegen, dass ich gestern um 18:00 Uhr ins Bett gegangen bin. Andererseits: Es ist 02:30 Uhr, draußen ist es stockfinster und totenstill.
Ich stehe also auf, gönne mir die letzte heiße Dusche, ziehe die im Flur bereit liegende Wäsche an (Tipp vom Profikoch: Mise en place spart Zeit!) und verlasse meine Wohnung sogar ein paar Minuten vor der geplanten Zeit: Um 03:30 Uhr wollte ich los, zum Hauptbahnhof sind es 3,9 Kilometer, mit Gepäck auf dem Rücken habe ich etwa 50 Minuten veranschlagt, der Zug nach München fährt um 04:39 Uhr – alles läuft bestens.
Am Flughafen komme ich um 06:15 Uhr an, ziemlich genau zwei Stunden vor dem Boarding, ich habe also noch genügend Zeit mich auf dem Flughafengelände zu vergnügen.
Wer mich kennt, weiß, wie sehr es mir in den Fingern (oder besser: Lippen) gejuckt hat, als ich nach Durchschreiten des Körperscanners aufgefordert werde meine Schuhe auszuziehen und auf das Band zu legen. Meine Erwiderung hätte mindestens enthalten, dass das einem Giftgasanschlag gleichkäme. On top hätte ich noch erwähnen können, dass man danach mit einem einfachen Feuerzeug einen Bombenanschlag durchführen könnte. Da die Münchener Polizei da momentan aber verständlicherweise etwas dünnhäutig ist und ich auf jeden Fall heute noch fliegen möchte, erspare ich das allen Beteiligten und stelle stillschweigend meine Stiefel auf das Band.
Während des Fluges nach Brüssel bin ich reichlich nervös, denn ich sitze auf Platz 19C, der ist ganz hinten im Flugzeug. Blöderweise habe ich in Brüssel aber nur vierzig Minuten Zeit um zum Gate A56 zu kommen – eigentlich kann das nur schiefgehen. Dennoch: Als das Flugzeug in Brüssel die Parkposition erreicht, hechte ich los und mache damit schon mal locker fünf Sitzreihen gut. Am Ende der Gangway muss

ich kurz tief durchatmen, denn mein Sprint war nicht von schlechten Eltern. In der Halle sehe ich, dass A56 nur etwa fünfzig Meter von mir entfernt ist. Da habe ich mich wohl unnötig verrückt gemacht. Genauso übrigens, als ich sehe, dass das Gate geändert wurde auf A40 und ich nach einem erneuten kleine Sprint feststelle, dass dort die halbe Belegschaft des letzten Fluges steht – ohne uns wären die also eh nicht geflogen.

Ortswechsel: Porto

Ein (fast) leeres Gepäckband - mein Koffer war leider nicht dabei... (Symbolbild)

Ein (fast) leeres Gepäckband – mein Koffer war leider nicht dabei…
(Symbolbild)

Wir stehen am Gepäckband. Das Band läuft an, die Koffer kommen. Das Band stoppt. Die Familie neben mir tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Ich bleibe ruhig. Auch noch, als das Band ein zweites Mal stoppt und unsere Koffer nicht dabei waren. Nicht mehr ruhig bin ich jedoch, als das Band zum dritten Mal stoppt und über unseren Köpfen das Licht gelöscht wird. Ausgerechnet unsere Koffer haben den Umstieg in Brüssel also nicht geschafft.
Wir gehen zum Lost&Found-Schalter, wo man mir mitteilt, dass mein Rucksack mit dem nächsten Flug nachkommen wird, der in etwa drei Stunden in Porto landen wird. In mir bricht eine Welt zusammen, denn damit wird mein Zeitplan komplett über den Haufen geworfen.
Um nicht sinnlos am Flughafen herumzusitzen fahre ich mit der Metro in die Stadt, was inklusive Umsteigens gut eine Stunde dauert, und hole mir meinen dritten Stempel für mein Credencial in der Kathedrale von Porto ab. Der erste Stempel in meinem Pilgerpass ist von der Jakobusgesellschaft Aachen, die den Pass ausgestellt hat, den zweiten Stempel habe ich mir in der Jakoberkirche in Augsburg abgeholt. Nun auch in Porto frisch gestempelt fahre ich zurück zum Flughafen, wo ich noch einmal eine Ewigkeit warten muss, bevor sich endlich ein Mitarbeiter bequemt mit mir meinen Rucksack zu suchen und ich diesen dann endlich in Empfang nehmen darf.
Mittlerweile ist es bereit 17:00 Uhr und gemäß meinem ursprünglichen Zeitplan wollte ich jetzt schon kurz vor Vilarinho sein und mich langsam aber sicher mit der Frage befassen, ob ich heute noch bis Rates weiterlaufe. Das hätte ich wohl eh nicht gemacht, da ab etwa 17:00 Uhr die Herbergen auch für Fahrradfahrer freigegeben werden und ab da die Chance, noch einen Schlafplatz zu ergattern, gegen den Nullpunkt tendiert.
Und genau gegen diesen Nullpunkt muss ich jetzt anlaufen. Meine erste Entscheidung ist die, bis Forum Maia mit der Metro zu fahren. Erstens wird das von allen einschlägigen Wanderführern empfohlen, da der Weg ab Porto bis dahin zwölf Kilometer lang durch die häßlichen Industriegebiete führt, und zweitens habe ich mich durch meine unfreiwillige Pendelei selbst von der Richtigkeit dieser Empfehlung überzeugen können.
Um 18:05 Uhr stehe ich in Forum Maia – es kann losgehen, endlich! Die ersten grob geschätzten zehn Kilometer laufe ich über Asphalt, immer entlang der Straße. Genauer gesagt: Auf der Straße, denn einen Fußgängerweg gibt es nicht. Stattdessen nutze ich zunächst den Seitenstreifen, der aber blöderweise im 30-Grad-Winkel zur Seite hin abfällt. Als mir das zu beschwerlich wird, laufe ich einfach mitten auf der Straße weiter.

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Auf dem Weg zum Mosteiro de Vairão – Langsam wird’s schon dunkel…

Vor Antritt der Reise habe ich mir die Etappen als .gpx-Dateien heruntergeladen und auf mein GPS-Gerät überspielt. Abgesehen davon, dass es beim Verladen des Gepäcks ins Flugzeug einen heftigen Schlag abbekommen haben muss und das Display gebrochen ist, leistet es treue Dienste. Die Markierungen des Caminho sind neu, die Farbe ist zum Teil noch nicht einmal getrocknet und so weicht die Route oftmals von der Beschreibung im Wanderführer und der GPS-Aufzeichnung ab.
Einmal in Takt gekommen, reiße ich einen Kilometer nach dem anderen runter – ständig im Wettlauf gegen die Zeit, denn viele Unterkünfte auf dieser ersten Etappe – wenn nicht sowieso bereits überfüllt – schließen laut meines Buches die Aufnahme bereits um 19:00 Uhr.
Die Residencial Puma in Vila Nova da Telha lasse ich noch entspannt links liegen, drei Kilometer später werde ich jedoch schwach und ziehe ernsthaft in Betracht, in die Residencia Santa Marinha kurz vor den Toren von Vilar do Pinheiro einzuchecken. Ziemlich traurig eigentlich, hatte ich doch ursprünglich vor, zumindest das Etappenziel in Vilarinho, besser noch das zwölf Kilometer weiter gelegene Sao Pedro de Rates zu erreichen.
Nachdem ich gute fünf Minuten mit mir gekämpft und gerungen habe, ist der Stolz doch größer, ich beiße die Zähne zusammen, sammle alle meine Kräfte und laufe weiter gen Vilarinho. Die Unterkunft dort werde ich nicht mehr erreichen, aber vor den Toren der Stadt gibt es das Mostero de Vairão, ein Kloster, das viel Platz bieten soll und überdies erst um 22:00 Uhr schließt.

Mosteiro de Vairao

Das Mosteiro de Vairao ist erreicht, ich habe einen Schlafplatz für die Nacht!

Die Dämmerung ist bereits weit fortgeschritten, als ich die erleuchtete Kirchturmspitze des Klosters vor mir sehe. Ich möchte nur noch den Rucksack absetzen und ins Bett fallen, aber das wird so schnell nicht passieren.
Ich werde von Pedro, dem Hospitalero mit offenen Armen empfangen, er lädt mich ein in die die Küche zu kommen, wo schon ein gutes Dutzend Pilger zusammen sitzt und ein gemeinsames Abendessen genießt. Nach einer kurzen Dusche (mit heißem Wasser! Welch ein Luxus!) geselle ich mich dazu und stelle beim Essen fest, dass ich meine letzte Mahlzeit vor dem Schlafen eingenommen habe, also vor etwa siebenundzwanzig Stunden. Umso mehr genieße die einfache, aber leckere – wenn auf stark gewürzte – Mahlzeit, die von den anderen zubereitet wurde und revanchiere mich später durch die Teiilnahme am Küchendienst.
Im Anschluss bittet uns Piedro vor die Tür. Er und seine Frau Anna haben heute den achten Hochzeitstag und zu diesem Anlass bereitet er uns allen eine Queimada.


Exkurs: Queimada

Kurz zusammengefasst ist die Bereitung der Queimada ein Brauch, der darauf ausgerichtet ist, böse Geister und vor allem die Meigas, fest im galizischen Volksglauben verankerte Hexen, zu vertreiben. Diesen wird nachgesagt, Menschen aus Spaß, Rache oder jedem anderen Grund zu verfluchen, womit es prinzipiell immer eine Gelegenheit gibt, die Queimada zu zelebrieren.

In einem Tongefäß wird zu dem Zweck Tresterschnaps (Orujo) mit Zucker und Orangen- oder Zitronenschale versetzt und anschließend Kaffeebohnen hinzugefügt. Wie bei der uns bekannten Feuerzangenbowle wird der Alkohol in Brand gesetzt und das Getränk mit einer Kelle geschöpft. Dabei lässt man die brennende Flüssigkeit langsam in den Topf zurückfließen. Dazu wird ein auf galizisch verfasster Text aufgesagt, die sogenannte Conxuro („Beschwörung“). Anbei ein Auszug der populärsten Version:

Mit dieser Kelle erhebe ich die Flammen
dieses Feuers, das ähnlich dem der Hölle werde,
die Hexen werden fliehen auf ihren Besen,
sich zu baden am grobsandigen Strand.
Hört, hört! das Gebrüll derer,
die dem Feuerwasser nicht entkommen
und gereinigt werden in den Flammen.

Wenn dieser Trank geht durch unsere Kehlen,
wird er uns befrei’n vom Bösen uns’rer Seele
und aller Hexerei.

Mächte der Luft, der Erde, des Meeres und des Feuers,
Euch rufe ich an:
Wenn Ihr wahrhaftig mehr Macht habt als menschliche Wesen,
dann macht hier und jetzt, dass die Geister der Freunde, die ferne sind
teilhaben mit uns an dieser Queimada.


DSC_0647Die Atmosphäre ist beeindruckend, dieses Ritual bei Anbruch der Nacht vor der Kulisse des Klostergebäudes im Kreise vieler netter Menschen erleben zu dürfen ist ein Privileg.

Gerade in Verbindung mit den Strapazen des vergangenen Tages geht die Queimada ohne Umweg über den Magen direkt in den Schädel und mich übermannt um 22:45 Uhr eine barmherzige Ohnmacht.
Von einem liebreizenden Gesang werde ich um 05:00 Uhr aus dem Schlaf gehaucht. Es ist mein Wecker, der meinen Wunsch nach geräuscharmem Vibrationsaalarm nicht nachkommt. Viele Grüße auch an alle anderen im Schlafsaal!

Es war Abend, es wurde Morgen – Ein neuer Tag!

8. Augsburger Nachtlauf am Kuhsee 2016

Ein Fünf-Kilometer-Lauf ist meiner Meinung nach ja das unsinnigste was es gibt. Alleine schon das Umziehen im Vorfeld dauert da schon deutlich länger als das eigentliche Laufen danach.

Bei dieser Veranstaltung waren es die Rahmenbedingungen, die mich davon überzeugt haben mitzulaufen: Startzeit 21:30h, Laufen um den Kuhsee im Dunkeln, die einzige Lichtquelle: Pechfackeln, die entlang der Strecke aufgestellt sind.

Um das Distanzproblem (so man es denn so bezeichnen kann) für mich zu lösen, steige ich um 17:30h auf mein Fahrrad und fahre die sieben Kilometer zum Kuhsee um dort meine Startnummer abzuholen. Viel zu früh vor Ort beschließe ich noch einmal heimzufahren, was ich geschickt bereits vorab dadurch festgelegt habe, dass ich keine Sportkleidung trage oder dabei habe. Macht also schon mal 14 Kilometer Radfahren auf dem Leistungsbogen. Genauer gesagt: 21 Kilometer, denn um 20:00h mache ich mich erneut auf den Weg, diesmal in voller Laufmontur.

Kuhsee_NachtlaufEin Höhepunkt des Tages, das Ballonglühen um 21:00h, fällt leider aus, ob es eine Begründung des Veranstalters gab, habe ich nicht mitbekommen. Zwar steht der Korb am Ufer und der Brenner wird mehrfach betätigt, der Effekt eines leuchtenden Heißluftballons ist allerdings (logischerweise) dahin. Schade, den das hätte bestimmt toll ausgesehen, etwa so wie auf dem Bild von Sport in Augsburg, das wahrscheinlich aus dem letzten Jahr stammt. So wirkt das Ganze eher deplaziert und hätte auch weggelassen werden können.

Der Lauf startet pünktlich um 21:30h, für mich ein paar Minuten später, denn ich stehe ziemlich weit hinten in der Startgasse. Apropos pünktlich: Pünktlich zum Start hat es natürlich auch angefangen stark zu regnen und zu gewittern, so dass ich mich an den diesjährigen M-net Firmenlauf erinnert fühle, bei dem alle Läufer ebenfalls bereits vor dem Startschuss nass bis auf die Knochen waren. Einziger Unterschied heute: Der Veranstalter weißt darauf hin, dass wir auf eigene Verantwortung starten und im Falle einer Verschlechterung der Wetterlage (was eigentlich kaum noch möglich ist, außer wir werden noch mit Blitzen verwöhnt) selbst entscheiden müssen, ob wir abbrechen oder weiterlaufen.

Abbrechen kommt für mich natürlich nicht infrage, zumal meine Anreise distanzmäßig länger war als der Lauf an sich. Also laufe ich los. Oder eher: Ich würde gerne loslaufen, das würde aber für viele blaue Flecken und malträtierte Achilles-Sehnen bei den Läufern vor mir sorgen, denn wie üblich beim Massenstart treten wir uns erstmal gegenseitig auf die Füße. Ich halte mich daher ganz links und laufe am Feld vorbei. Hier rächt sich die Uhrzeit, denn wie bereits erwähnt ist es stockdunkel und der starke Regen macht das Laufen auch nicht angenehmer. Blöderweise sehe ich nämlich durch meine Brille überhaupt nichts, so dass ich diese abnehme und für die folgenden fünf Kilometer in der Hand halte.

Das Rennen beende ich mit Platz 96 von 628 in einer Zeit von 22:35 Minuten, was allerdings nebensächlich ist, denn es ging mir ja in erster Linie um das Event an sich.

Die Rückfahrt ist dann nochmal spannend, denn die Beleuchtung an meinem Fahrrad ist defekt und da die Strecke zu 90% durch den Wald führt befolge ich die alte Chirurgen-Weisheit: „Wo sehen nicht geht, ist fühlen keine Schande“.

Notiz an mich selbst: Beleuchtung reparieren lassen wäre eine gute Idee. Werde mich wahrscheinlich bei der nächsten nächtlichen Fahrt erneut darüber ärgern.

Der Vollständigkeit halber: Da ist das Ding!

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CinemaxX SneakPreview: High-Rise

Dienstag, 20:50h. Ich stehe im Cinemaxx an der Kasse, so wie jeden Dienstag – da ist nämlich Sneak Preview. An sich ein spannendes Konzept: Fünf Euro Eintritt zahlen (bzw. 6,50€ für die Loge), dafür wird im Vorfeld halt nicht gesagt, welcher Film gezeigt wird. In der Vergangenheit konnte ich dadurch wirkliche Blockbuster schon Wochen im Voraus sehen, des Öfteren bin ich aber auch böse auf die Nase gefallen. Ein reines Glücksspiel also.
Seitdem ich die Systematik der Filmauswahl verstanden habe, kann ich mit hundertprozentiger Trefferquote bereits vorher sagen, um welchen Film es sich handelt, insofern fällt für mich der Entscheidungsprozess recht kurz aus: Ich lese mir daheim schon mal die Inhaltsangabe und – wenn vorhanden – eine Rezension durch und gehe dann ins Kino – oder halt nicht.

Vor mir steht eine Gruppe bestehend aus zwei jungen Damen und drei jungen Herren, die das Prinzip der Sneak offenbar nicht so ganz verstanden haben. Jedenfalls reden sie wasserfallartig auf den armen Kinomitarbeiter an der Kasse ein und bombardieren ihn mit Fragen. Das Gespräch verläuft in etwa wie folgt:
sneakpreview„Was ist denn die Sneak Preview?“
„Eine Filmreihe, in der wir jede Woche einen Überraschungsfilm zeigen.““
„Ah, okay. Welcher Film kommt denn heute?“
„Kann ich nicht sagen, dann wäre es ja keine Überraschung mehr.“
„Der ist aber ja ab 18 Jahren freigegeben. Ist der brutal?“
„Weiß ich nicht.“
„Ist das ein Horrorfilm?“
„Weiß ich nicht.“
„Das musst Du doch wissen, dann kannst du uns das doch auch sagen.“
„Das Konzept der Sneak ist aber, dass man den Filmtitel im Voraus nicht kennt, dafür gibt es den halt für fünf Euro.“
„Aber wenn der gruselig ist, oder eklig…“

Ich beschließe, dass ich nicht mehr so viel Zeit habe im Leben und mir das echt nicht länger antun möchte.
„Heute läuft High-Rise“, sage ich.
Die Gruppe dreht sich kollektiv zu mir um.
„Woher weißt Du das?“ fragen sie mich. Auch der Mitarbeiter an der Kasse schaut mich jetzt interessiert an. Würden die auch David Copperfield nach seinen Tricks fragen?
„Ich weiß es halt. Heute läuft High-Rise mit Jeremy Irons, der Film spielt in einem Hochhaus und ist kein Horrorfilm.“ Hätte ich da bloß schon gewusst, wie sehr ich mich irre!
Die Gruppe dreht sich kollektiv um und kauft Karten für die Sneak Preview. Ich atme erleichtert durch, denn endlich darf auch ich an die Kasse.

Ortswechsel: Ich sitze im Kinosaal, das Licht geht aus, der Film fängt an, das Unheil nimmt seinen Lauf.
Kurz zusammengefasst erwartet den Zuschauer folgendes:
highriseDer Film spielt in einem Hochhaus, das grob in drei Bereiche eingeteilt werden kann. In den unteren Etagen vegetiert die Unterschicht mehr schlecht als recht vor sich hin, kontinuierlich geplagt von Platznot, Schuldenlast und dem Mangel am Nötigsten.
In den mittleren Etagen lebt die Mittelschicht, ständig darauf bedacht, die Unterschicht zu unterdrücken, ständig nach Beachtung durch die Oberschicht geifernd.
In den Penthäusern frönt die Oberschicht der Dekadenz, das Leben besteht aus wilden Parties, die nur durch Orgien unterbrochen werden. Dieses Leben wird in einem Höchstmaß an Ignoranz auf Kosten der Unterschicht geführt, die einerseits in Müllbergen versinkt (Plastischer als mit dem Zitat „Scheiße fällt von oben nach unten“ kann man das nicht ausdrücken), andererseits unter Strom- und Wassermangel leidet.
Bei einem erneuten Stromausfall kommt es zur Rebellion der Unterschicht, moralische Normen verlieren gegen den triebhaften Teil des Individuums, die Situation eskaliert vollkommen: Frauen werden zu einer Währung, eine Farbdose wird Auslöser für eine Schlägerei, es kommt zu Plünderungen, Vergewaltigungen, Mord und Totschlag.
Das ehemals elegante Hochhaus verwahrlost, Müllsäcke stapeln sich in den Gängen bis zur Decke, dazwischen liegen Leichen und ein funktionierender Fernseher; die verlesenen Nachrichten verhallen ins Leere.

hiddlestonSymptomatisch für den gesamten Film ist die Szene, in der Tom Hiddleston mit dem Rücken auf dem kalten, harten Boden liegt und auf die Trümmer und Müllberge um ihn herum schaut. Eine Träne bahnt sich ihren Weg aus seinem Augenwinkel und läuft seine Wange herunter. In diesem Moment hat er wohl realisiert, in was für eine ausweglose Situation er unverschuldet geraten ist. Der Film ist kompletter Müll, die Chance, etwas Ordentliches daraus zu machen, liegt in Trümmern und Hiddleston findet keinen Ausweg. Fast tut er mir ein wenig leid.

Was gibt es sonst noch über den Film zu sagen?
Die Filmmusik stammt von Clint Mansell, einem für den Soundtrack zu The Fountain mit dem World Soundtrack Award ausgezeichneten Komponisten. Das war allerdings bereits 2007. Was er davor oder danach gemacht hat, ist mir nicht bekannt, genauso wie mir dieser Komponist zuvor nicht bekannt war. Macht aber auch nichts. Zusammenfassend kann ich sagen, dass Mansell einen hervorragenden Job gemacht hat, denn der Soundtrack passt absolut zu dem Film und zeugt von einem stimmigen Gesamtkonzept.

erikmeijer

Erik Meijer

An dieser Stelle möchte ich Erik Meijer zitieren, einen bekannten Fußballspieler und Philosophen. Warum? Dazu gehen wir ein paar Jahre zurück, genauer gesagt ins Jahr 1997, Erik Meijer hatte gerade seine erste Saison bei Bayer Leverkusen absolviert. Am vorletzten Spieltag der Fußball-Bundesliga sicherte sich der FC Bayern München die Meisterschaft und verwies Bayer Leverkusen auf Platz 2. Das inspirierte Erik Meijer zu der legendären Aussage: „Nichts ist scheißer als Platz 2“.

Warum ich diese Glanzstunde deutsch/niederländischer Fußball-Rhetorik ins Gedächtnis rufe? Weil es die Kombination Film und Soundtrack gut beschreibt. Nur das ich mich in diesem Fall nicht entscheiden kann, welches dieser beiden Elemente eigentlich scheißer ist.
Schade, schade. Aus der Grundidee hätte man viel machen können. Hätte.

SportScheck StadtLauf Augsburg

Gestern abend habe ich mir noch gedacht: „Mann Junge, Du bist schon lange nicht mehr gelaufen“, nämlich schon seit dem M-net Firmenlauf nicht mehr, und der ist immerhin schon 3,5 Wochen her. Dann war ich aber doch zu faul mir die Laufschuhe anzuziehen, außerdem steht ja heute der StadtLauf auf dem Programm, da bekomme ich genug Bewegung.

StadtlaufAugsburgStrecke21,1 Kilometer quer durch Augsburg, von der Citygalerie vorbei am Roten Tor, weiter Richtung Zoo/Botanischer Garten, dann durch den Siebentischwald zum Eiskanal und den Lech rauf bis zur Nagahama-Allee, auf der anderen Lechseite wieder runter bis zur Friedberger Straße und dann noch vom Schwabencenter rauf zur Nagahama-Allee. Zum Schluss fehlt dann nur noch der Zieleinlauf an der Citygalerie. Klingt weit, ist es auch. Halbmarathon halt.

Die Bedingungen sind ein Traum, die Temperaturen angenehm, zudem regnet es nicht. Um 09:30h fällt der Startschuss, und kurz vorher sagt mir mein Kollege und Sparringspartner noch: „Lass uns heute mal langsam angehen, nicht so wie beim Wings for Life“. Ich bin gespannt, was er unter „langsam“ versteht, da höre ich auch schon den Schuss, sehe noch eine Staubwolke, ein Heuballen kullert durch’s Bild und mein Kollege ist weg. Naja, so war es nicht nicht ganz, aber „langsam“ ist nach meiner Definition auch anders (er legt eine 3:33 vor).

Trotzdem: Heute läuft es einfach rund, bis Kilometer 16 kann ich mithalten, danach sehe ich ihn langsam am Horizont verschwinden. Ich suche mir einen Pacemaker, an den ich mich dranhänge (offizielle Pacemaker gibt es leider nicht, aber es sind ja genügend Läufer zur Orientierung vorhanden). Erstaunt stelle ich fest, dass ich gut in der Zeit liege, überlege kurz, ob ich mir eine Gehpause gönnen soll, lache mich selbst aus, verfluche mich dafür, dass ich mich selbst auslache, und laufe einfach weiter – immer einen Fuß vor den anderen.

Obwohl ich schon seit einigen Kilometern total fertig bin mit der Welt, kämpfe ich mich über die Strecke und plötzlich sehe ich das Ziel vor Augen. Bereits auf der Strecke standen viele Zuschauer, die applaudiert haben, auch zwei Samba-Truppen waren darunter. Aber was uns hier auf den letzten Metern erwartet, ist schon der Hammer: Ich komme mir ein wenig vor wie die Radfahrer bei der Tour de France beim Aufstieg nach L’Alpe d’Huez: Die Zuschauer säumen den Weg, nur eine enge Gasse bleibt zum Laufen, es ist laut, die Stimmung ist grandios.

Apropos grandios: Grandios ist auch, was ich sehe, als ich die Uhr an der Ziellinie sehe: 1:46:23 Bruttozeit, was mich zu meiner persönlichen Bestleistung von netto 1:45:20 bringt. Ein großartiges Gefühl, das mich auch über meine mit Blasen übersäten Füße hinwegtröstet…

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M-net Firmenlauf 2016

Hatte ich mir beim Wings for Life World Run über weite Strecken nichts sehnlicher gewünscht als Wasser, so sollte mein Wunsch vier Tage später beim M-net Firmenlauf mehr als erfüllt werden. Nur leider anders als erhofft, denn die Erfüllung äußert sich in Regen. Aber nicht irgendein Regen, sondern ein den ganzen Tag über konstanten Regen, der für eine geschlossene Wasserdecke auf der Fahrbahn sorgt.

Ich freue mich schon fast ein wenig, als gegen Mittag die Tropfendichte nachlässt und fast so etwas wie eine Wetteränderung zum Guten verspricht. Aber weit gefehlt: Die Regenwolken mussten wohl nur mal kurz nachladen.

So stehe ich also mit zwanzig Kollegen im Startblock und bin nass bis auf die Knochen. „Macht nichts“, denke ich mir, denn ein Mensch kann aufgrund Millionen Jahren der Evolution nun mal nur bis auf die Haut nass werden und kein Stück weiter. Also kann es nur noch besser werden.

19:00h. Der Startschuss fällt und die Meute setzt sich in Bewegung. Von über 10.000 gemeldeten Startern haben sich immerhin knappe 8.500 Läufer erbarmt und sind erschienen – und ich bin jetzt mitten unter ihnen. Auch wenn die Läufer vor mir echt nichts dafür können, ist es doch ein ekelhaftes Gefühl, jedes Mal einen Schwall Brackwasser gegen die Schienbeine zu bekommen, wenn sie auf den Boden auftreten. Aber beschweren darf ich mich wirklich nicht, denn den Läufern hinter mir geht es da kein Stück besser.

Es ist ja nicht der Regen alleine, der diesen Lauf echt unangenehm macht: Neben der Luftfeuchtigkeit von grob geschätzten 280% herrschen auch noch frühsommerliche Temperaturen von +9°C – ein echtes Traumwetter eben.

Mnet-polarMeine Strategie ist daher schnell klar: Schauen, dass ich so schnell wie möglich im Ziel bin, damit ich so schnell wie möglich heim komme. So finde ich mich dann nach weniger als einer Minute auch schon in der HF-Zone 5 wieder, die bei mir eine Frequenz zwischen 167 und 186 markiert. Da bleibe ich dann auch bis zum Ende des Laufs, schließlich sind wir ja nicht zum Spaß unterwegs und außerdem muss ich auch mal dringend aufs Klo, MUSS also schneller laufen.

mnet-finish

Das Ziel erreiche ich nach 6,3 Kilometern – dank einer Durchschnittszeit von 4:34min/km – bereits nach 28:09 Minuten. Für mich eine Bombenzeit, reicht aber dennoch nur für eine passablen Platz 831, was mir zeigt, dass alle anderen wohl den gleichen Plan hatten wie ich.